Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg. Gerstäcker Friedrich
von Paulinens Lippen hören konnte. So seien Sie denn jetzt mein Fürsprecher - legen Sie ein gut Wort für mich ein, Mrs. Pitt, und glauben Sie mir, daß Sie mich dadurch zum glücklichsten Menschen der Welt machen."
„Und was sagt meine Pauline dazu?" frug die Mutter mit weicher Stimme, indem sie, die Tochter unterstützend, mit ihr in die Mitte des Zimmers getreten war.
„Ich weiß es nicht, Mutter," flüsterte das Mädchen, ihren Kopf nur noch tiefer an der Mutter Schulter bergend - „viel zu rasch ist Alles gekommen, um ein Wort zu sprechen, das mich für mein ganzes Leben bindet. Laßt mir Zeit - laßt mir Zeit!"
„Ich will Sie nicht drängen Pauline," sagte Holleck, mit einem eigenen Zittern der Stimme, „nicht von dem ersten Augenblick verlangen, was Sie für das ganze Leben binden soll. Nur Eins sagen Sie mir - nur den einen Trost lassen Sie mir, bis Sie mein Geschick entscheiden - daß ich glauben darf, Sie - wären mir ein ganz klein wenig gut, und nicht wenigstens schon jetzt entschlossen, meine treue Werbung zurück zu weisen."
Pauline antwortete ihm nicht. Eine Weile noch blieb sie in derselben Stellung an der Mutter Schulter, dann streckte sie, aber ohne ihn anzusehen, die Hand nach ihm aus, die er ergriff und leidenschaftlich küßte.
„Oh Dank, tausend Dank!" rief er, „und bis morgen, übermorgen, wenn Sie wollen, will ich nun meinen Urtheilsspruch von Ihren Lippen mit Freuden erwarten."
„Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen," sagte in dem Augenblick eine ruhige tiefe Stimme, und auf der Schwelle des Zimmers stand Mr. Pitt, noch in seinem bestäubten Rock, /71/ wie er eben unten im Hof vom Pferd gestiegen, und betrachtete mit ernstem Blick die Gruppe.
„Charles," rief seine Frau, sich rasch und erschreckt gegen ihn wendend. „Du schon zurück - und um Gottes willen, wie todtenbleich siehst Du aus - was ist geschehen? Mein Kind? was ist mit meinem Charley?"
„Beruhige Dich, liebes Herz," sagte Mr. Pitt, „ich bringe Dir keine schlechte Nachricht, wenn ich auch von dem Ritt ein wenig angegriffen aussehen mag. - Ich bin eine weite Strecke in einem Zug galoppirt und die Bewegung eben nicht mehr so recht gewöhnt. Guten Tag, Mr. Holleck. Wenn ich nicht irre, komme ich da eben zu einer Familienscene - wie? - Pauline in Thränen und sehr erregt. Die Mutter auch gerührt und Sie nicht im rothen Minerhemd - darf man da vielleicht gratuliren?"
Es lag in dem Ton, mit dem der sonst so gelassene Mann diese Worte sprach, eine so kalte, bittere Ironie, daß selbst Pauline davon betroffen wurde und überrascht, ja bestürzt zu ihm aufsah. Holleck am wenigsten war das veränderte Benehmen des sonst so gütigen und nur manchmal durch seine Geschäfte zerstreuten Mannes entgangen, und ein eigenes, un- behagliches Gefühl überkam ihn, das er vergebens zu bekämpfen suchte.
„Mein guter Mr. Pitt," sagte er - „ich habe heute gewagt -"
„Charles," fiel aber die Frau ein, „etwas muß geschehen sein, Du bist so sonderbar erregt - so hab' ich Dich kaum noch gesehen!"
„Die Geschäfte, liebes Kind, die Geschäfte," warf der Mann leicht hin und mit einer fast gewaltsam erzwungenen Fröhlichkeit. „Du glaubst gar nicht mehr, wie toll sie es jetzt da oben in den Minen treiben, und was für Mittel und Wege versucht werden, nur Gold, immer nur Gold zu gewinnen. Nicht wahr, Holleck, man muß da manchmal zu ganz sonderbaren Sachen seine Zuflucht nehmen, um das eine und einzige Ziel recht ordentlich und besonders recht rasch zu erreichen?"
„In der That, Mr. Pitt," sagte Holleck, und er mußte sich Mühe geben, dem nicht einmal fest auf ihm haftenden /72/ Blick des Mannes zu begegnen, „aber wenn man Glück und nur ein klein wenig Geschick hat -"
„Das war das rechte Wort, Holleck," rief Mr. Pitt rasch und heiser lachend, „Geschick - sagten Sie nicht so? - Geschick! Das ist das Zauberwort für den Geschäftsmann, und ein klein wenig Glück muß dann freilich dabei sein."
„Aber, Charles, wie bist Du nur heute?" rief Mrs. Pitt, die ihren Mann mit immer steigender Besorgniß betrachtet hatte. Ihr, die ihn so genau kannte, konnte nicht entgehen, daß etwas ganz Außergewöhnliches vorgegangen sein mußte, wenn sich alle ihre Gedanken auch nur noch immer auf den Sohn concentrirten - „bringst Du denn wirklich endlich Nachricht von ihm?"
„Ja" - nickte der Mann ihr freundlich zu - „sorge Dich nicht weiter, ich habe einen Brief."
„Einen Brief?" rief Holleck unwillkürlich aus.
„Nicht wahr, das wundert Sie auch, daß der Schlingel endlich einmal schreibt?" lachte der Kaufmann und suchte in der Brusttasche nach dem erwähnten - „ah, da ist er - aber was der Junge für eine Pfote schreibt - können Sie leicht schlechte Handschriften lesen, Holleck?"
„So ziemlich, wenn sie nicht zu unleserlich sind," erwiderte der junge Mann und fühlte, wie er, trotz der Gewalt die er sich anthat, erbleichte.
„Na, dann versuchen Sie einmal bei der da Ihr Glück," lachte Paulinens Vater, aber sein Lachen klang hohl und unnatürlich, und er reichte zugleich Holleck einen etwas zerdrückten, offenen Zettel, den dieser mit unruhiger Hand nahm und entfaltete. Sein Blick flog dabei scheu durch das Zimmer, aber Mr. Pitt stand vor ihm, und vor seinen Augen schwammen die Züge auf dem Blatte. Gewaltsam faßte er sich und las mit lauter Stimme:
„Der mich beraubte und verwundete, ist -" er schwieg, und entsetzt flog sein Blick zu der drohenden Gestalt vor ihm empor.
„William Holleck!" schrie da der Kaufmann mit donnernder Stimme, indem er einen Revolver aus seiner Tasche riß und spannte. „Schurke und Mörder!" /73/
„Heiliger, erbarmungsvoller Gott!" rief Mrs. Pitt, indem sie in Entsetzen die Hände faltete, „was ist geschehen?"
„Und Du - tausendfacher Bube," rief Mr. Pitt außer sich, „der Du Dich nicht gescheut, die meuchlerische Mordwaffe gegen den Freund zu heben - jetzt wagst Du auch noch in demselben Haus, das Deine Schurkenhand auf den Tod getroffen, um die Tochter zu werben? Nieder auf die Kniee, Canaille, oder beim ewigen Gott, ich besudele meine Hand mit Deinem Blut, das dem Henker gehört. Nieder auf die Kniee, Räuber und Mörder!"
Holleck hatte gefühlt, wie ihn seine Kräfte verließen, als der erste Verdacht seiner Entdeckung über ihn kam. Jetzt, der Mündung der Pistole gegenüber, als die Gefahr nicht mehr drohte, sondern in ihrer ganzen Furchtbarkeit über ihn hereingebrochen war, gewann er im Nu seine Geistesgegenwart wieder.
Er war entdeckt, und Flucht noch das Einzige, was ihn retten konnte.
„Papa! schieß hier nicht im Zimmer!" rief die kleine Therese, die erstaunt und erschreckt die heftigen Worte gehört hatte, ohne sie zu begreifen.
„Vater, um Gottes willen!" rief auch die Frau. Aber der sonst so ruhige Mann war außer sich.
„Zurück da!" rief er, indem er die Gattin rasch bei Seite schob - „zurück von mir! -"
Das war der letzte günstige Moment für den Verbrecher. Die Thür hatte Mr. Pitt verstellt, aber das Fenster nach dem kaum zwölf Fuß tiefer liegenden Hof stand offen. Mit einem verzweifelten Satz sprang Holleck darauf zu, und ehe der Vater nur recht wußte, was er eigentlich beabsichtigte, hatte er schon die Hand auf das Fensterbrett gelegt und schwang sich hinaus.
In dem nämlichen Moment drückte Mr. Pitt ab, und der Schuß dröhnte durch das Haus - Pulverrauch füllte die Stube, und als der Kaufmann nach dem Fenster sprang, erkannte er nur eben noch die Gestalt des Flüchtigen, der sich, ehe er zum zweiten Mal zielen konnte, hinter den Ställen jeder Gefahr entzog. Von dort floh er in und durch den /74/ Garten, und in dem Gewirr der kleinen, hinter diesem liegenden Gäßchen wäre eine Verfolgung unmöglich gewesen.
Pauline war neben der Mutter in die Kniee gesunken und Therese schreiend in ihre Arme geflüchtet. Mr. Pitt aber, wieder vollkommen gesammelt, stieg erst in den Hof hinunter, um vor allen Dingen danach zu sehen, ob er den Verbrecher vielleicht doch getroffen habe und Blutspuren ans dem Boden erkennen könne. Im Haus unten waren die Leute indessen ebenfalls zusammengelaufen, Mr. Pitt bedeutete sie aber, ruhig ihrer Arbeit nachzugehen, die gesuchten Zeichen fand er ebenfalls nicht - er hatte jedenfalls in der furchtbaren Aufregung gefehlt, und langsam schritt er wieder in das Zimmer