Homunkulus Rex. S. G. Felix
der ihm am Tisch gegenüber saß. Robert schätzte ihn auf Ende zwanzig. Der Mann sah nicht wie ein Vertreter aus, der einem auf Teufel komm raus etwas verkaufen wollte. Er war blass und hatte eine alte Jeans und ein graues Hemd an, dem ein Knopf fehlte. Er faltete die Hände und machte einen erstaunlich aufgeräumten und fachkundigen Eindruck. »Es ist aber unnötig, sich aufzuregen. Wir sind Profis. Wir wissen, was wir tun.«
»Das hört man gern. Ich zweifle nicht daran, dass Sie Ihren Job verstehen. Nicht nach allem, was Sie mir schon erklärt haben. Ich will nur nichts falsch machen.«
»Hier gibt es kein Richtig und kein Falsch. Es gibt nur Entscheidungen, Herr Mester. Sie stehen hier nicht vor Gericht. Und hier kann Sie niemand heimlich abhören. Sie können offen aussprechen, was Sie denken. Und Sie müssen sich dabei nicht schuldig fühlen. Das, was Sie wollen, ist nichts Unrechtes. Das ist es nur für diejenigen, die uns glauben machen wollen, dass es Unrecht sei.
Sie wollen einen Klon von sich anfertigen lassen. Das ist laut geltendem Recht strengstens verboten und wird mit mindestens zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft.«
»Das weiß ich.« Die Konsequenzen laut auszusprechen half Robert überhaupt nicht. Es ängstigte ihn.
»Gut. Aber wir beide wissen auch, dass die Eliten dieses Landes sehr wohl Klone von sich machen lassen können, und niemand von denen musste bisher deswegen ins Gefängnis. Und wissen Sie warum? Weil sie zu den Eliten gehören. Sie sind Stars, Politiker, Wirtschaftsbosse, Banker oder gehören zum einflussreichsten Bevölkerungsanteil der leistungslosen Erben, die es sich leisten können. Bei diesen Menschen sehen die Behörden gerne weg. Manchmal gegen eine großzügige Zuwendung, die es offiziell natürlich nicht gibt. Und manchmal auch ohne Bestechung.
Wir aber, Herr Mester, wir gehören nicht zur Elite. Wir sind diejenigen, die Tag und Nacht vom Staat überwacht werden, weil wir unseren Lebensunterhalt nur durch Arbeit bestreiten können.
Würden wir beide uns jetzt auf offener Straße und nicht in diesem Raum unterhalten, würde das durch die öffentlichen Überwachungskameras aufgezeichnet, und eine KI würde unser Verhalten als verdächtig einstufen, nur weil zwei Fremde ein längeres Gespräch miteinander führen. So weit ist es mittlerweile gekommen. In der real existierenden Zwei-Klassen-Gesellschaft sind wir die Entrechteten.«
Robert hatte eigentlich nicht viel übrig für gesellschaftskritische Debatten. Er wollte nur seinen Traum verwirklichen. Aber er ließ sein Gegenüber ausreden, um die Motivation der Leute, in deren Hände er sich begeben wollte, zu verstehen.
»Was Sie tun wollen, Herr Mester, ist nichts anderes als für sich das in Anspruch zu nehmen, was jedem Menschen zustehen sollte: Freiheit. Deshalb will ich, dass Sie Gedanken an Gefängnis und Strafen oder Verbote vergessen; Sie machen sich sonst nur verrückt.«
Robert kratzte sich wieder am Nacken. Eine Übersprunghandlung, die kaum gegen seine Nervosität half. »Ich verstehe. Dennoch mache ich mir über die Risiken Sorgen. Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, als einen Klon von mir zu erschaffen, um das Land zu verlassen, dann würde ich sie nutzen.«
»Es gibt mit Sicherheit andere Möglichkeiten. Sie könnten versuchen, Ihren Tod vorzutäuschen. Das war bis vor einigen Jahren noch die beliebteste Methode. Heute ist dies aber de facto unmöglich. Der Staat kennt die Tricks seiner Abweichler. Die Erschaffung eines Klons, der Ihr Leben übernehmen wird, ist jetzt der sicherste Weg. Denn er ist teuer. Wir haben das nun schon einige hundert Male gemacht. Und bisher hat es immer funktioniert.«
»Das klingt gut.« Robert entspannte sich ein wenig aufgrund dieser Information.
»Ich erkläre Ihnen jetzt noch einmal zusammengefasst den Ablauf.« Der junge Mann nahm einen Schluck Wasser aus einem Glas und stellte es sorgsam wieder auf dem Tisch ab. »Nach Ihrem OK beginnen wir mit der Produktion des Klons. Das wird einige Wochen dauern. Es können aber auch bis zu drei Monate sein. Gibt es hierbei Probleme, werde ich Sie informieren.«
»Wie werden Sie mit mir in Kontakt treten?«
»So wie wir an Sie das erste Mal herangetreten sind, als wir Sie auf Ihrem Weg nach Hause von Ihrer Arbeit abgefangen haben. Unsere Treffen werden aber vielleicht nicht an diesem Ort hier stattfinden. Dieser Keller ist nur einer von vielen Orten, die wir nutzen. Wir haben mehrere Stützpunkte, die von der Überwachung des Staates verschont sind.«
»Kann ich umgekehrt auch Sie und Ihre Organisation kontaktieren?«
»Nein, das wäre zu gefährlich. Wir kommen auf Sie zu. Umgekehrt ist es nicht möglich. Da müssen Sie uns schon vertrauen.«
Robert gefiel der Gedanke nicht. »Wenn es denn nicht anders geht«, sagte er enttäuscht.
»Sicher würde es gehen, aber wir wollen kein Risiko eingehen - und Sie doch auch nicht.«
Robert war sich im Klaren, dass er immenses Vertrauen aufbringen musste, um die Sache durchzuziehen. Es gab hier keinen Vertrag mit Unterschrift, keine Kontaktadressen, kein Widerrufsrecht oder dergleichen. Er bewegte sich außerhalb des Gesetzes. Das wurde ihm allmählich bewusst. Es wurde ihm erschreckend klar. »Schon gut, ich habe verstanden. Fahren Sie bitte fort.«
»Wenn der Klon fertig ist und einwandfrei funktioniert, erfolgt der technisch gesehen schwierigste Teil. Dieser beinhaltet erstens die Übertragung Ihres implantierten Überwachungschips auf den Klon. Und zweitens die Übertragung sämtlicher gespeicherter Informationen der Synapsen aus Ihrem Gehirn auf das Gehirn des Klons.«
»Das bedeutet, dass er alles wissen wird, was ich weiß? Auch meine intimsten Geheimnisse?«
»Ausnahmslos alles«, sagte der junge Mann und sah Robert fest in die Augen. »Er wird von da an nicht nur Ihr Wissen erhalten. Er wird dieselben Erfahrungen, Gefühle, Vorlieben und Abneigungen haben. Dieselben Sorgen und Ängste. Er wird nicht nur eine perfekte Kopie sein. Er wird Sie sein, Herr Mester.«
Robert atmete tief durch, hatte aber trotzdem das Gefühl kaum Luft zu bekommen. »Ich verstehe. Und was ist mit dem Chip in meinem Nacken? Werde ich fortan ohne leben?«
Jeder Bürger vom Säugling bis zum Greis war verpflichtet, einen Überwachungschip in seinem Nacken implantiert zu haben. Heutzutage erfolgte die Implantierung sofort nach der Geburt eines Menschen. So wie es bei Robert auch der Fall war. Der Chip diente zum einen der Überwachung der vitalen Funktionen, um nach offiziellen Angaben die Gesundheit der Bürger sicherzustellen. Zum anderen war es möglich, den Träger des Chips zu orten. Dies war allerdings gesetzlich reglementiert und beschränkt. Eine dauerhafte Nachverfolgung des Aufenthaltsortes einer Person war untersagt. Sie sollte lediglich der Sicherheit dienen und daher nur in Ausnahmefällen von einer autorisierten Behörde ermöglicht werden. Die Liste der Ausnahmen war jedoch im Laufe der Zeit seit Einführung des Chips länger und länger geworden. Es reichte schon aus, wenn jemand ein Taschentuch auf einem von Kameras überwachten öffentlichen Platz fallen ließ, was eine Ordnungswidrigkeit darstellte, deren rechtssichere Verfolgung die Identifizierung des Signals des Chips zur Verifizierung des 'Tathergangs' möglich machte. In der Praxis war es also eher umgekehrt: Die Nicht-Ortung einer Person wurde mehr und mehr zur Ausnahme, obwohl dies dem Sinn des Gesetzes widersprach.
Robert würde also nach der Transplantation des Chips aus seinem Nacken in den seines Klons ein Risiko eingehen, da er ohne Chip in der Öffentlichkeit nicht auffallen durfte. Ebenso konnte er dann nicht mehr zur Arbeit gehen, denn der Chip diente unter anderem auch zur Registrierung seines täglichen Arbeitsbeginns und dessen Endes.
»Sie werden für ein paar Tage ohne Chip leben. Dazu ist es erforderlich, dass Sie in der Zeit in Ihrer Wohnung bleiben, während Ihr Klon an Ihre Stelle tritt und mit Ihrem Chip zur Arbeit gehen wird. Bevor wir Sie aus dem Land bringen, bekommen Sie einen neuen Chip. Er wird Ihnen eine andere Identität geben, mit der wir die zahlreichen Grenzkontrollen passieren können.«
»Eine andere Identität? Aber wenn jemand mein Gesicht aufnimmt und mit der Datenbank abgleicht, wird man feststellen, dass ich Robert Mester bin und nicht jemand anderes. Dann bin ich doch aufgeflogen. Da nützt mir doch die Identität auf meinem neuen Chip nichts.«
»Das stimmt nur zum Teil. Nicht