Holzperlenspiel. Irene Dorfner

Holzperlenspiel - Irene Dorfner


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sind eindeutig, sehen Sie selbst.“ Fuchs drehte die Leiche zur Seite und legte die Rückenpartie frei. „Die Stellen hier am Rücken zeigen deutlich, dass der Mann dort oben heftig gegen das Geländer gestoßen oder mit Gewalt dagegen gedrückt wurde. Und diese Spuren an den Schultern deuten darauf hin, dass er sehr fest gehalten wurde.“

      „Vielleicht ist er auch nur gestolpert?“

      „Aber nein, dann würden die Spuren am Körper anders aussehen. Die Höhe des Geländers stimmt exakt mit diesen Stellen am Rücken überein. Er selbst hat keine Abwehrspuren, keine Anzeichen, dass er aktiv geworden wäre. Sehen Sie doch her,“ schrie er beinahe und zeigte auf die verschiedenen Verfärbungen an den Schultern und am Rücken.

      „Ist ja schon gut, reagieren Sie doch nicht gleich so empfindlich, ich mache auch nur meine Arbeit. Müssen wir von einem Mann als Täter ausgehen?“

      Fuchs schüttelte den Kopf, er war zwar schnell beleidigt und reagierte gereizt, war aber nicht nachtragend.

      „Nicht unbedingt. Das Opfer war sehr schmächtig und Frauen sind bei Weitem nicht diese schwachen Wesen, als sie sich gerne selber sehen. Ich lege mich hier nicht fest, es könnte sich um einen Täter oder um eine Täterin handeln.“

      „Todeszeitpunkt?“

      „Grob geschätzt ca. 5.00 Uhr heute Morgen.“

      „Jetzt ist es gerade mal halb 9.00 Uhr – was wollte der Mann um diese unchristliche Zeit hier?“, murmelte Viktoria und erwartete keine Antwort. Wie dem auch sei: Wenn Sie mit ihm fertig sind, lassen Sie ihn in die Gerichtsmedizin bringen.“

      „Das weiß ich selbst,“ schnauzte Fuchs, „ich mache meine Arbeit auch nicht erst seit heute.“

      Viktoria verdrehte die Augen – dieser Fuchs war heute mal wieder besonders gut gelaunt.

      „Weiß irgendjemand, um wen es sich bei dem Toten handelt?“

      Zaghaft meldete sich ein Mönch, der augenscheinlich demselben Orden angehörte wie der Tote, beide trugen braune Kutten, die mit einem hellen Strickgürtel zusammengehalten wurden. Hatte der Mann dort in der Ecke schon lange gestanden? Viktoria Untermaier ging auf ihn zu.

      „Wer sind Sie und wie kommen Sie eigentlich hier rein? Die Türen sind durch Polizisten abgeriegelt.“

      „Gott zum Gruße, mein Name ist Bruder Siegmund. Ich habe die heilige Messe im Bruder-Konrad-Kloster vorbereitet und natürlich war mir nicht entgangen, dass die Polizei in der Basilika ist. Ich habe sofort gespürt, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Da mir der Zugang durch das Haupt- und Seitenportal von den Polizisten verwehrt wurde, bin ich von der Bruder-Konrad-Kirche über den Klostergarten durch den normalerweise verschlossenen Seiteneingang hinein – ich habe den Schlüssel. Leider muss ich gestehen, dass ich sehr neugierig bin. Ich hoffe, Sie können mir verzeihen.“ Der kleine, dicke Mann mit den kurzen grauen Haaren und dem Rauschebart sah sie schuldbewusst an. Er musste fast 60 Jahre alt sein und hatte ganz bestimmt schon sehr viel mit den Händen gearbeitet, die schrundig und mit Narben übersät waren. Außerdem sprach er zwar hochdeutsch, hatte aber einen deutlich schweizerischen Akzent.

      „Neugier kenne ich, ich bin selbst damit geplagt, aber für meinen Beruf ist dieses Laster sehr von Vorteil, Sie dürften in ihrem Job damit Probleme bekommen. Ist Neugier nicht eine der Todsünden?“ Energisch schüttelte Bruder Siegmund den Kopf.

      „Aber nein junge Frau, da irren Sie sich. Neugier gehört nicht dazu.“

      „Wie dem auch sei, wenn Sie nun schon mal hier sind: einer Ihrer Glaubensbrüder wurde tot aufgefunden, er wurde ermordet. Sehen Sie sich in der Lage, den Mann zu identifizieren?“

      Als Bruder Siegmund diese Nachricht hörte, schlug er die Hände vors Gesicht, nickte und folgte Viktoria. Vor dem Toten blieben sie stehen. „Kennen Sie den Mann?“

      „O mein Gott!“, rief er laut aus und bekreuzigte sich mehrfach. „Das ist Bruder Benedikt.“

      „Er wurde ca. gegen 5.00 Uhr früh getötet.“

      „Das darf doch nicht wahr sein,“ rief er aus und bekreuzigte sich abermals. „Um diese Uhrzeit durfte Bruder Benedikt eigentlich nicht hier sein. Es ist mir unbegreiflich, warum er sich überhaupt hier in der Basilika aufgehalten hat.“

      „Was soll das heißen?“

      „Zum einen ist der Tagesablauf in unserem Orden streng festgelegt. Wir beginnen unseren Tag erst um 6.30 Uhr mit dem stillen Gebet, 5.00 Uhr ist auch für uns eine sehr frühe Zeit. Und zum anderen wird von einem Mitbruder die Messe hier in der Basilika vorbereitet, Bruder Benedikt ist nicht Teil unserer Gemeinschaft in Altötting. Er ist zu Besuch bei uns, um unsere Arbeit näher kennenzulernen, wir sind weit über die Grenzen hinaus für unsere gute und erfolgreiche Arbeit bekannt. Was hatte er um diese frühe Uhrzeit in der Basilika zu suchen?“

      „Woher kommt Bruder Benedikt?“

      „Aus Österreich, genauer gesagt aus Wiener Neustadt. Das dortige Kapuziner-Kloster ist verhältnismäßig klein und möchte auch mit unserer Hilfe die Aufgaben und Arbeiten erweitern und neu strukturieren. Natürlich sind wir da gerne behilflich, wir helfen uns untereinander und stützen uns, wo wir nur können. Aber ich schweife ab, das interessiert Sie bestimmt alles nicht. Sie sind aus einem schrecklichen Grund hier und ich plappere einfach darauf los. Entschuldigen Sie bitte, aber wenn ich nervös bin, rede ich ohne Punkt und Komma. Sagen Sie mir bitte, was mit Bruder Benedikt geschehen ist. Sind Sie sicher, dass es sich nicht um einen Unfall handelt?“

      „Leider ja, Bruder Benedikt wurde ermordet.“

      Wieder bekreuzigte sich Bruder Siegmund mehrfach, nicht bewusst, sondern nur um irgendetwas zu tun.

      „Aber Näheres erfahren wir nach der Obduktion.“

      „Sie wollen ihn gerichtsmedizinisch untersuchen lassen?“, rief Bruder Siegmund entsetzt. „Das dürfen Sie nicht und ich bezweifle, dass Ihnen der Orden eine Obduktion erlaubt.“

      „Ich fürchte, dass wir darauf keine Rücksicht nehmen können.“ Immer wieder wurden die Beamten mit Hinterbliebenen konfrontiert, die nicht wollten, dass die Verstorbenen obduziert werden – verständlicherweise. Trotzdem waren sie nicht in der Position, das zu verhindern, denn auch sie mussten sich an Gesetze halten. Viktoria hatte es sich schon lange abgewöhnt, mit den Hinterbliebenen deswegen zu diskutieren, und dachte nicht daran, sich auch jetzt nicht mit diesem Orden und seinen Anhängern diesbezüglich auseinanderzusetzen. Sie hielt das Tütchen mit der Holzperle vor Bruder Siegmunds Gesicht. „Diese Holzperle haben wir bei dem Toten gefunden.“

      „Darf ich?“, fragte Bruder Siegmund und Viktoria gab ihm das Tütchen. Er hielt sich die Holzperle vors Gesicht und gab sie wieder zurück.

      „Ich würde sagen, dass das eine Perle ist, wie sie massenweise für die Herstellung von Rosenkränzen verwendet werden. Früher benutzte man dafür Nüsse und Obstkerne, dann ging man über zu Holzperlen, die man zum Glück auch heute noch hauptsächlich verwendet. Aber auch die Rosenkränze gehen mit der Zeit, werden zwischenzeitlich mit den verschiedensten Materialien gefertigt, z.B. Rosenquarz, was ich ja noch verstehen kann, Amethyst, bunte Glasperlen, sogar Gold und Silber – alles, was das Herz begehrt. Aber das gebräuchlichste Material sind diese Holzperlen, die mir persönlich immer noch am besten gefallen. Wir haben in unserem Bruder-Konrad-Kloster alte Rosenkränze ausgestellt, die Sie sich gerne ansehen können.“

      „Interessant, das werde ich vielleicht auch tun. Warum glauben Sie, hielt Bruder Benedikt diese Holzperle in der Hand?“

      „Das weiß ich nicht, da kann ich Ihnen nicht helfen. Wir haben zumindest keine dieser losen Perlen in unserem Kloster. Früher, als ich noch jung war, haben wir Rosenkränze noch selbst hergestellt, verkauft und verschenkt – aber das ist lange her. Jeder von uns besitzt selbstverständlich einen schlichten Rosenkranz. Vielleicht ist Bruder Benedikts Rosenkranz kaputtgegangen? Haben Sie schon nachgesehen?“

      „Aber sicher haben wir das, aber konnten nicht eine einzige Perle finden.“ Viktoria war sich sicher, dass Bruder


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