Ein Liebesabenteuer. Alexandre Dumas
»Nun,« sagte sie hinausgehend zu mir, »was bleibt mir in der Hauptstadt Belgiens zu sehen übrig?«
»Madame Pleyel, wenn Sie wollen.«
»Madame Pleyel! Madame Pleyel, die große Künstlerin? die, von welcher Lißt mir so viel gesagt hat?«
»Dieselbe.«
»Sie kennen sie?«
»Sehr gut.«
»Und Sie können micb ihr vorstellen?«
»In einer halben Stunde.«
»Einen Wagen.«
Und meine ungarische Enthusiastin gab einem Kutscher ein Zeichen, welcher herbeieilte, und als er mich erkannte, seinen Wagenschlag mit Eifer öffnete.
Zu einer besonderen Verwunderung gereichte meiner Reisegefährtin diese Bekanntschaft, welche nicht nur macht, daß auf den Straßen von Paris von zehn Personen, die mir begegnen, fünf mich mit dem Kopfe oder mit der Hand begrüßen, sondern mich auch in die Provinz begleitet, die Grenze mit mir überschreitet und mir ins Ausland folgt. Nun waren wir in Brüssel angekommen, und in Brüssel waren es, die Kutscher mit inbegriffen, nicht mehr fünf, sondern acht Personen von zehn, die mich kannten.
Wir stiegen in einen Wagen; Madame Pleyel wohnte sehr weit entfernt in der Tiefe der Vorstadt Searbeck, so viel ich mich erinnern konnte, so daß meine schöne Begleiterin Zeit genug hatte, mich über die große Künstlerin zu befragen, die wir besuchen wollten, und ich, auf ihre Fragen zu antworten.
Ich kannte Madame Pleyel seit etwa fünfundzwanzig Jahren. Eines Tages meldete man sie mir an, als sie noch keinen anderen Nimbus hatte, als die commmerzielle Berühmtheit ihres Mannes. Ich kannte sie nicht persönlich; ich sah bei mir eine junge magere braune Frau mit weißen Zähnen, schwarzen, prächtigen Augen und einer unglaublichen Beweglichkeit der Physiognomie eintreten.
Beim ersten Anblick begriff ich, daß ich eine Künstlerin vor mir habe.
Und in der That, noch in der Unbestimmtheit treibend, ein enthusiastisches Herz in sich schlagen fühlend, wußte sie noch nicht, zu welcher Kunst sie hingezogen wnrde; und kam, mich um Rath zu fragen, was sie thun solle.
Zu dieser Zeit glaubte sie im Theater ihre Bestimmung zu finden.
Ich war im Begriff, Kean zu schreiben. Ich ging zu meinem Tische, ich nahm mein Manuscript, ich öffnete es bei der Scene zwischen Kean und Anna Damby und las es ihr vor; die Situation war eine ähnliche.
Ueberdies war Madame Pleyel nicht frei: sie hatte einen Mann; um aufs Theater zu gehen, mußte sie mit gesellschaftlichen Verhältnissen brechen, deren Zerreißung immer schmerzlich ist.
Ich hatte das Glück, sie wenigstens augenblicklich zu überzeugen, daß alle Bühnentriumphe nicht so viel Werth sind wie die ruhige Monotonie des ehelichen Lebens.
»Sie spann Wolle und blieb zu Hause,« schrieben die alten Römer auf das Grab ihrer Matronen.
Ich selber, damals ein Mann von zwei und dreißig Jahren, war ganz erstaunt, einer Frau von zwanzig gegen über so vernünftig gewesen zu sein.
Ich hatte seit einem oder zwei Jahren nicht mehr von ihr reden hören. Plötzlich erfuhr ich, daß ihr ein Unglück begegnet sei. Ich habe vergessen von welcher schändlichen Schlinge sie das Opfer gewesen —— sie war genöthigt, sich zu verbannen.
Sie dachte nicht an mich in ihrem Unglück, so groß, daß sie an nichts dachte, als Frankreich zu verlassen.
Sie reiste mit ihrer Mutter ab.
Alle Beide waren in Hamburg nahe daran, vor Hunger zu sterben, als sie eines Tages beim Vorübergehen vor einem Laden von musikalischen Instrumenten eine große Lust bekam, einzutreten, als ob sie ein Piano kaufen wolle, um ihr Herz mit ein wenig Harmonie zu erfrischen.
Sie war damals noch nicht die bewundernswürdige Künstlerin, die sie gegenwärtig ist; aber indessen hatte das Unglück bei ihr die Flamme des Genies belebt. Sie setzte sich vor das Instrument, ließ ihre Finger auf die Klaviatur fallen, und gleich die ersten Accorde, die sie hervorbrachte, glichen einem herzzerreißenden Geschrei.
Der Kaufmann, der sie nicht kannte, und nur die kaufmännische Höflichkeit für eine gewöhnliche Käuferin gezeigt hatte, näherte sich ihr und hörte zu.
Sie spielte keine bekannte Arie: sie improvisirte; aber in dieser Improvisation lag Alles, was sie seit drei Monaten gelitten; Liebestäuschung, Schmerzen, vereitelte Hoffnungen, Thränen, Verbannung. Da war selbst das entsetzliche Geschrei eines Geiers, der über ihr schwebte, und welchen man dm Hunger nennt.
»Wer sind Sie, und was kann ich für Sie thun?« fragte sie der Kaufmann, als sie geendet.
Sie brach in Thränen aus und erzählte ihm Alles.
Da machte ihr der vortreffliche Mann begreiflich, welch' ein strenger aber erhabener Lehrer der Schmerz sei; er zeigte ihr die geheimnißvolle Stimme, vermöge welcher die Vorsehung sie zum Glück, zur Berühmtheit, vielleicht zum Ruhme treibe; sie zweifelte an sich selber, er, beruhigte sie, ließ sein bestes Piano zu ihr bringen und redete ihr zu, ein Concert zu geben.
Ein Concert! ein Concert, zu geben sie, welche noch am Tage zuvor mit ihrem Genie unbekannt war.
»Der Kaufmann bestand darauf, übernahm alle Kosten, kurz, er stand für Alles.
Die arme Marie entschloß sich dazu.
Sie hieß Marie, wie die Malibran, wie die Dorval.
Ich bin der vertraute Freund dieser berühmten und unglücklichen Frauen gewesen.
Ich habe Unrecht, das Beiwort unglücklich ist nur auf die beiden Anderen, auf die Sängerin und die Schauspielerin anwendbar; das Beiwort glücklich muß man dagegen mit dem Namen Marie Pleyel in Verbindung setzen.
» Sie war glücklich, denn ihr Concert fand Beifall, und sie sah die Zukunft des Erfolges vor sich, die ihr bevorstand.
Zehn Jahre lang ertönten Petersburg, Wien, Dresden von ihren Erfolgen. Sie kehrte in ihr Vaterland Belgien zurück, und gegen alles Herkommen ließ man ihr Gerechtigkeit widerfahren.
Man ernannte sie zum Professor am Conservatorium.
Da kehrte sie nach Paris zurück, wohin ihr der Ruf vorangegangen war: sie gab Concerte und machte Fourore.
Ich sah sie wieder.
Dann ging ich nach dem zweiten December nach Belgien, und zum dritten Mal fand ich sie wieder.
Als wir an ihrer Thür klingelten, kannte Madame Bulyowsky sie ebenso gut wie ich.
Ihre Kammerfrau stieß ein Freudengeschrei aus, als sie mich erkannte!
»O! wie erfreut wird Madame sein!« rief sie.
Und ohne daran zu denken, die Thür hinter uns zu schließen, eilte sie in den Salon, indem sie meinen Namen ausrief.
»Nun,« fragte ich meine Reisegefährtin, »zweifeln Sie noch, daß wir gut empfangen werden?«
Sie hatte keine Zeit zu antworten, als Marie Pleyel uns majestätisch wie eine Königin, graziös wie eine Künstlerin entgegenkam.
»Umarmen Sie sich vorher einander,« sagte ich zu den beiden Frauen, »Sie werden hernach Bekanntschaft machen.«
Meine Reisegefährtin umschlang Marie Pleyel's Hals mit ihren beiden Armen, und einen Augenblick brachte ich damit zu, diese beiden Wesen von so verschiedenem Anblick und so wahrhaft schön? jede von einer der anderen entgegengesetzten Schönheit zu bewundern.
Madame Bulyowsky, schlank, biegsam, blond? und? rosig, voll Innigkeit, wie die deutschen und die ungarischen Frauen.
Madame Pleyel, groß, mit wunderbar ausdrucksvollen Formen, braun, ruhig, fast strenge.
Ein Bildhauer, der diese Gruppe hätte wiedergeben, diese beiden so entgegengesetzten Naturen hätte darstellen können, würde einen glänzenden Erfolg gehabt haben.