The Butterfly Tales: Imogen. Nadja Losbohm
hatte, dass es möglich sein konnte, wovon er sprach. Doch hier hatte er nun den Beweis: ihre Reaktion.
„Es ist möglich“, flüsterte er, „deine Kraft kann aus dir selbst herauskommen. Du musst nur daran glauben.“ Imogen schüttelte den Kopf. Ob nun als Verneinung auf seine Aussage oder ob aus Verwirrung vermochte er nicht zu deuten. Doch er beobachtete sie dabei, wie sie beinahe hilfesuchend zu Arren blickte. Sein notwendiges Übel, das schweigend bei ihnen gestanden hatte, nickte ihr zu.
„Ich würde seinem Rat folgen. Ich habe Leute sagen hören, dass es wie Magie wirkt, wenn Blake kämpft, ob mit oder ohne Waffe, und das kommt ganz sicher nicht von irgendwelchen phantastischen Schwingen auf seinem Rücken“, meinte Arren und zwinkerte seinem Partner zu. Dieser wandte sich wieder Imogen zu.
„Siehst du, er vertraut mir“, merkte er an, was sie höhnisch auflachen und einwenden ließ, dass sich die beiden bereits längere Zeit kannten als Imogen Blake kannte. Der Meuchelmörder hob die Hand und brachte sie zum Schweigen. „Das stimmt, aber immerhin vertraust du uns genug, um uns um Hilfe zu bitten“, erinnerte er sie.
Imogens Lippen öffneten sich, bereit, ihm eine Antwort darauf zu geben. Doch die Widerworte, die sich in ihrem Kopf zusammengefügt hatten, fanden den Weg nicht zu ihrem Mund. Somit verschränkte sie nur die Arme vor der Brust und gab sich geschlagen. Sie wusste, dass sie zumindest diesen Kampf verloren hatte.
Blake schmunzelte über ihren Anblick, kam jedoch nicht umhin zu denken, dass daran etwas nicht stimmte. Nun, es stimmte so einiges nicht an ihrem Anblick und der gesamten Situation. Immerhin stand vor ihm ein menschengroßer eingeschnappter, aber nicht minder kämpferischer und vor allem ein sehr hübscher Schmetterling. Blake schüttelte den Kopf, um Gedanken dieser Art loszuwerden, und das war es auch nicht wirklich, was nicht zur Symmetrie des Bildes passte. Symmetrie – das war es! Es war die Ungleichheit von Imogens Silhouette, die ihm Rätsel aufgab.
„Bevor wir weitergehen, habe ich noch eine Frage an dich“, sagte er und wartete auf ihre Erlaubnis, sie stellen zu dürfen. Als sie sie ihm nickend erteilte, fuhr er fort. „Warum hast du dir nicht auch den anderen Flügel abgeschnitten, wenn er doch unnütz ist? Ich könnte mir vorstellen, dass du ohne das verdammte Ding einfacher und unauffälliger durch das Gebüsch gekommen wärst.“
Vor Empörung entglitten Imogen sämtliche Gesichtszüge. Wut stieg in ihr auf, die sie an Blake ausließ. Sie versetzte ihm einen kräftigen Stoß gegen die Brust, sodass er zurücktaumelte. „Nenn es nicht Ding und auch nicht verdammt! Ich wurde mit ihnen geboren. Sie sind ein Teil von mir. Beleidigst du sie, beleidigst du mich. Und glaube ja nicht, dass ich nicht darüber nachgedacht hätte, es zu tun! Doch was auf meine Waffe zutrifft, trifft auch auf meinen verbliebenen Flügel zu. Außerdem, hast du schon einmal versucht, dir etwas abzutrennen?“, fuhr sie ihn an und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Als Blake den Kopf schüttelte, rief sie: „Es tut verflucht weh!“ Damit drehte sie ihm den Rücken zu und deutete auf einen Schnitt, den sie sich selbst an einem Felsen zugefügt hatte in der Hoffnung, sich den Flügel an ihm abzureißen.
Blake lehnte sich vor und betrachtete sich die Verletzung. „Soll ich es machen?“ fragte er kurzerhand.
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„Oh Bruder! Ich hatte dich gebeten, dass es nicht zu blutig wird“, seufzte Prinzessin Laoghaire und verbarg ihr leidig verzogenes Gesicht in den Händen.
„Ach komm schon, Mimose. Zu einer guten Geschichte gehört so etwas dazu“, warf Prinz Anrai lachend ein. Er amüsierte sich köstlich über den Anblick seiner Schwester. Diese jedoch schüttelte den Kopf.
„Zu einer guten Geschichte gehört Liebe“, entgegnete sie ihm.
„Was das angeht, werden wir wohl niemals übereinkommen. Aber du wirst doch inzwischen einsehen, dass es Sinn ergibt, dass er ihr den Flügel entfernt? Er ist unnütz geworden, und es gibt noch zwei weitere gute Gründe dafür. Erstens, ein einflügeliger Schmetterling sieht albern aus. Zweitens, den Mann, unseren Blake, sieht man auf der Tapete mit ihr ab hier“, er deutete auf eine Stelle auf der Wandverkleidung, „gänzlich ohne Flügel.“
Prinzessin Laoghaire lugte hinter ihren Fingern hervor und stellte fest, dass ihr Bruder Recht hatte. Sie seufzte. „Na schön. Mach weiter. Aber bitte schmücke die Sache nicht zu lebhaft aus. Wenn du mir eklige Worte um die Ohren haust, schreie ich.“
Prinz Anrai rollte mit den Augen und winkte ab. „Keine Angst. Ich werde Rücksicht auf dich nehmen, und bald wirst du auch wieder an der Reihe sein zu erzählen“, sagte er und zwinkerte ihr zu. „Vorher kommt noch der Rest meiner Szene.“
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Imogen wusste nicht, was sie mehr schockieren sollte: der Vorschlag an sich oder die Art, wie er ihn vorgebracht hatte? Trocken, ohne jegliche Emotion, ja schon beinahe herzlos und etwas müde war er in den letzten Sekunden gewesen. Wo war der Mann hin, der davor Mut machende Worte gesprochen und sie dazu angespornt hatte, auf ihre eigene innere Kraft zu vertrauen? Von Blakes Launen wurde ihr schwindelig, und einen Schmetterling schwindelig zu machen, das wollte schon etwas heißen.
Vielleicht war seine fehlende Sentimentalität aber auch das, was sie nun brauchte. Sie hatte eine innige Verbindung zu ihren Flügeln, und zugegebenermaßen war sie in der Hinsicht feige, es selbst zu tun. Sie fürchtete sich davor, zu zögern und zu zaghaft vorzugehen, was nur dazu führen würde, dass sie noch mehr litt. Was sie brauchte, zumindest in dieser Situation, waren emotionaler Abstand und zielgerichtetes Denken und Handeln. In einer Ecke ihres Kopfes wusste Imogen, dass Blake Recht hatte. Nur noch ihr Herz musste mitziehen.
Imogen atmete tief durch, straffte die Schultern und sah dem Mann in die Augen, der zwar nicht ihr Henker, jedoch ihr Folterknecht war. Sie kannte die Berichte über die menschlichen Richtmethoden und Möglichkeiten zur Erpressung eines Geständnisses oder zur Bestrafung. Sie hätte nie gedacht, dass ihr selbst solches Leid zugefügt werden würde.
„Ich bin bereit. Tue es“, sagte sie mit fester Stimme und reckte ihr Kinn stolz vor.
Umgehend nickte Blake und wies Arren an, Imogen vorzubereiten. Dieser packte sie an den Handgelenken und führte sie zu einem Baum, um den sie ihre Arme legen sollte wie zum Willkommensgruß der Natur. Imogen hätte beinahe gelacht über die Ironie, die sich hierin verbarg. Die Natur hatte ihr ihre Flügel gegeben. Nun war sie dabei, als man sie ihr nahm.
Bevor Blake auch nur die Klinge gezogen hatte, begann Imogen zu zittern und zu weinen. Arren, der auf der anderen Seite des Baumes, ihrem Richtblock, stand und ihre Arme festhielt, flüsterte ihr beruhigend zu: „Ich bin bei dir. Ich lasse dich nicht allein. Du wirst sehen, alles wird danach besser werden.“
Imogen lächelte gequält. Sie hoffte so sehr, dass er Recht behalten würde, und das dies hier ihr Opfer war, das sie für etwas Größeres hergab. Als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, wurde ihren Gedanken ein Ende gesetzt. Es war Blake, der sich zum Schlag bereit machte.
Mit den Füßen schob er Blätter und Zweige auf dem Waldboden beiseite und ebnete die Erde, um einen sicheren Stand zu haben. Er hob die Arme, mit beiden Händen sein Schwert umfassend.
„Bist du sicher, dass du das tun willst?“, fragte Arren ihn.
Blake schnaubte. „Von wollen kann keine Rede sein. Es ist nun einmal notwendig. Ich tue, was getan werden muss, und jetzt halte sie ruhig“, knurrte er. Sein Gesicht war eine versteinerte Miene, die Imogen aufkeuchen ließ. Empfand er wirklich gar nichts in diesem Moment? Kein Mitleid, keine Sympathie? Doch war dies wirklich das, was gerade vonnöten war? Nein, schalt sie sich innerlich und spannte ihren Körper an, um Arren zu helfen, sie still zu halten.
„Mach endlich“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und kniff die Augen zusammen.
„Ich zähle bis drei“, hörte sie Blake sagen. Imogen begann zu wimmern.
„Eins.“
Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Nicht mehr lange und ihre Beine würden unter ihr nachgeben. Würde Arren sie aufrechthalten können? Worüber man so nachdachte, wenn…