The Butterfly Tales: Imogen. Nadja Losbohm

The Butterfly Tales: Imogen - Nadja Losbohm


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darüber, dass er hatte annehmen können, ihre Königin sei unfähig, mit dieser Situation umzugehen. „Sie hat sie einkerkern lassen, aber das Gift, das in den Gefangenen wütete, hatte bereits andere außerhalb der Zellen angesteckt. Jenen gelang es, die Festgenommenen zu befreien, und zusammen flohen sie. Lange haben wir nicht verstanden, wieso all das passiert und warum unsere Freunde zu unseren Feinden wurden. Eines Tages kehrte eine Rebellin reumütig in unser Reich zurück, beugte ergeben das Knie und gab uns dringend benötigte Antworten. Sie erzählte davon, dass die Abtrünnigen es auf unseren größten Schatz abgesehen hätten, der verborgen in einer für Menschenaugen unsichtbaren Höhle auf die Zeit wartet, in der er ans Tageslicht treten wird. Die Aufgabe der Wächterinnen unter uns, und ich bin eine von ihnen, ist es, diesen Schatz zu behüten nicht nur bis zu jenem Moment, sondern auch darüber hinaus, denn eine Prophezeiung besagt, dass der Schatz dafür sorgen wird, dass das Chaos in der Welt und das Leid der Menschen beendet und sie den Dealan-Dè ähnlicher werden, die weder Hunger kennen noch Kälte und keine Krankheiten erfahren, wie es die Menschen tun. Die Rebellen wollen, dass immer Chaos herrscht. Sie können die Menschen nicht ausstehen, in denen sie nur niedere Kreaturen sehen und denen sie sich überlegen fühlen. In ihren Augen sind sie schwach, der Magie nicht fähig und in ihrer Entwicklung unterlegen. Sie ergötzen sich daran, wie sie sich gegenseitig bekriegen und zerfleischen, ob nun mit Worten oder Waffen. Die Abtrünnigen haben sogar selbst Zwietracht gesät, um dies zu fördern. Doch um gänzlich zu verhindern, dass sich die Prophezeiung erfüllt, wollen sie den Schatz zerstören, und dafür gehen sie über Leichen“, erklärte Imogen weiter.

      Zittrig lehnte sie sich gegen einen Baum, hoffend auf einen Moment der Erholung, nur einen winzig kleinen. Der hätte ihr schon gereicht. Doch ganz gleich, wie sehr sie vor Erschöpfung stöhnte, Blake ignorierte all diese Zeichen und nahm sie lieber Huckepack, als länger an einem Ort zu verweilen.

      „Wir müssen in Bewegung bleiben“, brummte er und rutschte sich Imogen auf seinem Rücken zurecht. „Diese Höhle, die du erwähnt hast, liegt also nicht in eurer Welt. Wieso nicht? Warum habt ihr eure ach so große Kostbarkeit nicht in eurem Reich versteckt und dort beschützt?“, wollte er wissen.

      Imogen seufzte. „Darüber müsstest du mit unserer Königin sprechen. Es war ihre Entscheidung. Es stand mir nicht zu, diese zu hinterfragen. Nach allem, was ich jedoch weiß, vermute ich, dass es zu den Vorkommnissen ebenfalls eine Vorhersage gibt, die nur sie kennt. Als Anführerin unseres Volkes obliegt es allein ihr, Wissen zu teilen oder für sich zu behalten.“

      Das Privileg der Oberhäupter nannte Blake es. Darin unterschieden sich ihre Welten allem Anschein nach so gar nicht. Er konnte darüber nur die Nase rümpfen.

      „Wenn die Aufstände bereits geschrieben standen“, fuhr Imogen fort, „wäre der Schatz auch nicht in unserem Reich sicher gewesen. Ich frage mich, ob eine der Wächterinnen die Initiatorin für den Raub war? Denn nur diese wissen, wo das Versteck liegt.“

      Blake schnaubte. Er war sich absolut sicher, auch ohne die einzelnen Beteiligten zu kennen, dass jemand aus den Reihen der Wächterinnen tief mit drin steckte. Imogen mochte sich darüber noch den Kopf zerbrechen, doch er versuchte ganz anderes zu begreifen. „Du sagst, dein Volk hat das Leid der Menschen nie erfahren. Es kennt keinen Hunger, keine Kälte, keine Krankheiten. Wozu habt ihr dann Heilerinnen?“, fragte er somit.

      „Die Dealan-Dè brauchen zum Leben nicht viel. Wir ernähren uns von Blütennektar und –staub“, antwortete sie ihm.

      „Aha, und was ist im Winter?“, hakte Blake nach.

      „In unserem Reich gibt es keinen Winter, kein Eis, keinen Schnee. Dort blühen die Blumen das ganze Jahr über, und wenn wir unsere Heimat verlassen, gibt es genug Proviant, den wir mitnehmen können.“ Sie löste ihren Arm, den sie um Blakes Hals gelegt hatte, um sich festzuhalten, und klopfte mit ihrer Hand auf ihre Hüfte, wo ein kleiner lederner Beutel an einem Gürtel befestigt war, in dem sie ihre Wegzehrung aufbewahrte. „Was die Heilerinnen angeht: Ja, wir bekommen keine eurer Krankheiten wie Erkältungen. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht verletzen können. Wir stolpern, fallen und brechen uns den Fuß. Wir stoßen uns den Kopf und bluten. Unsere Heilerinnen versorgen uns mit ihrer Magie, sodass nach wenigen Minuten nichts mehr von einem gebrochenen Knochen zu spüren und von einer Platzwunde nichts zu sehen ist.“

      „Wie überaus praktisch“, merkte Blake unter ihr an. „Wieso kommt ihr dann nicht in unsere Welt und helft den Menschen mit euren Künsten, statt auf irgendeinen Zeitpunkt zu warten, der in ferner Zukunft liegt? Wenn das überhaupt alles stimmt.“ Prophezeiungen und schwammige Aussagen – pah! In Blakes Augen war das bloßer Humbug. „Und was zum Henker ist dieser verdammte Schatz, von dem du ständig redest?“, fuhr er sie an. Geduld war noch nie eine seiner Stärken gewesen. Er wollte stets alles und das am besten sofort. So ging es ihm auch mit Imogens Erklärungen.

      „Unsere Welt existiert im Verborgenen. Die Begegnungen, die mit euch beiden im Übrigen eingeschlossen, von unseres- und euresgleichen sind abzählbar an einer Hand, geschweige denn, dass euresgleichen von uns gehört hätte“, murmelte Imogen. „Wenn das Schicksal es aber nun so wollte, dass unsere Völker aufeinandertreffen, dann ist das so“, fügte sie achselzuckend hinzu, während Blake schnaubte.

      „Schicksal – was für ein Irrsinn“, nuschelte er so leise, dass Imogen es nicht hörte und sie weitersprach.

      „Es ist uns strengstens untersagt, den Menschen zu helfen, indem wir ihre Gebrechen heilen, oder uns in ihre anderweitigen Belange einzumischen. Es heißt, ihr müsst all das Elend durchmachen, durch es wachsen, aus ihm lernen.“

      „So ein Blödsinn!“, entfuhr es Blake heftig. „Was sollen wir lernen? Dass es egal ist, wie viel Gutes man tut, wie gut man sich benimmt, denn am Ende leidet man trotzdem? Das ist es nämlich, was ein Menschenleben bedeutet: Leiden, das von kleinen Momenten der Freude unterbrochen wird. Wenn man Glück hat.“

      „Wenn wir euch vor der vom Schicksal festgelegten Zeit helfen, dann droht uns das Entfernen unserer Flügel. Ein Schmetterling ohne Flügel: das Zeichen dafür, dass man versagt hat. Es ist ein Zeichen der Schande“, sagte sie, ihre Stimme zuletzt auf ein Flüstern gesenkt.

      Blake schnalzte missbilligend mit der Zunge. Er sah in ihren Worten nur eines: Die Dealan-Dè, so wundersam sie auch sein mochten, standen den Menschen in ihrer Arroganz in nichts nach und dachten zuallererst an sich selbst. Allerdings hätte er noch ewig so weiter mit ihr diskutieren können und wäre doch nicht auf einen Nenner mit ihr gekommen. Als er es hinter sich schniefen hörte, runzelte er die Stirn. Es war Imogen, die anfing zu weinen. Aufgrund der Vorwürfe, die er vorgebracht hatte? Großartig, dachte er, eine flennende Frau, ein heulender Schmetterling hockt auf meinem Rücken. Was sollte er jetzt tun? Er konnte mit so etwas nicht umgehen. Ein Beweis dafür war seine nächste Frage. „Ist das der Grund, wieso dir ein Flügel fehlt?“

      Imogen schluchzte herzzerreißend und presste ein Ja hervor. Sie weinte bitterlich und Blake ließ sie, bis sie sich soweit gefangen hatte, dass sie reden konnte. „Ich kann, ich darf nicht sagen, was der Schatz genau ist. Nur so viel, dass ich ihn beschützen sollte und gescheitert bin. Ich hatte schon sehr lange Wache gehalten, bin nur für einen kurzen Moment eingenickt. Das nächste, das ich weiß, ist, dass ich von mehreren Händen gepackt durch den Dreck gezerrt wurde, man mich festband und mir meinen Flügel abschnitt. Sie haben dabei gelacht, über mein Schreien und mein Flehen, haben Scherze gemacht und sich darüber ausgelassen, welch erbärmlichen Anblick ich bieten werde mit einem Flügel.“

      Imogens Verzweiflung wuchs stetig und ließ sie mehr und mehr zittern, sodass es selbst Blakes Herz erweichte. Kurzerhand setzte er sie ab und wies sie an, auf einem Baumstumpf Platz zu nehmen.

      „Können eure Heilerinnen, na ja, das nicht reparieren?“, fragte er vor ihr kniend.

      Zu Boden blickend schüttelte sie den Kopf. „Dazu sind nicht einmal sie fähig“, presste sie hervor. Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen und vergoss bittere Tränen. Es schien, als würden all ihre Gefühle, die sie seit dem Überfall auf sie zurückgehalten hatte, um einfach nur zu funktionieren und fliehen zu können, nun mit einem Mal aus ihr herausbrechen.

      Hilfesuchend


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