Sky-Navy 05 - Das schweigende Schiff. Michael Schenk
begann die Notbeleuchtung ein mattes oranges Licht auszustrahlen.
„Magnete!“, befahl Buron und betätigte den Schalter an seinem Anzug.
Die Anziehungskraft der Bodenplatten war relativ gering, reichte aber aus, auch den Piloten mit den Füßen nach unten auszurichten und ihn sanft herunterzuziehen. Dieser stieß ein schmerzerfülltes Schnalzen aus, als er aufsetzte. „Mein rechter Lauf ist gebrochen.“
„Ausführende Hand der Maschine, melde mir die Schäden“, forderte Buron benommen. „Beim Feuerfall von Istwagh, was ist geschehen? Ausführende Hand des Schiffes, sind wir kollidiert?“
Der Pilot schlurfte zu seinem Sitz und zog das gebrochene Bein hinter sich her. Erneut stieß er ein schmerzerfülltes Schnalzen aus, als er seinen Stachel in den Pheromontrichter schob. Hastig zog er ihn zurück. Die Bordbionik war schwer beschädigt und arbeitete nur mit Notstrom. Sie leitete eine derartig undefinierbare Kakophonie von Düften in den Trichter, dass diese die Sinne des Piloten zu überfordern drohten. „Ich kann es nicht feststellen, Hoch-Wort. Doch wir trafen auf jeden Fall mit einem soliden Körper zusammen. Ich kann nicht sagen, ob wir ihn trafen oder er uns.“
„Das macht wohl keinen Unterschied“, stieß Buron hervor.
Der Technikoffizier saß bereits an seinem Platz und versuchte seine Konsole zu reaktivieren. „Alle Systeme sind ausgefallen, Hoch-Wort. Ich versuche sie zu reaktivieren, doch das wird seine Zeit brauchen. Wir haben umfangreiche Schäden erlitten.“
„Ich weiß, Hand“, sagte Buron grimmig. „Andernfalls hätten wir längst wieder Energie. Sprecher, ich brauche eine Verbindung zu allen Räumen. Ich muss wissen, wie es der Besatzung geht und was sie mir zu melden haben.“
„Das ist nicht möglich, Herr. Alle Sprecheinrichtungen sind ausgefallen.“
„Natürlich.“ Buron war von sich enttäuscht. Er musste sich auf seine Erfahrung und seine Pflichten besinnen. „Schließt die Raumanzüge. So erhalten wir auch Verbindung zu jenen, die das ebenfalls getan haben. Außerdem werden wir das Schiff absuchen müssen. Wir können die Schäden nicht von hier aus beurteilen oder beheben.“
Sie zogen die Hinterleibsstacheln aus den Trichtern der Sitze, zogen die Schutzhüllen aus den Gürteltaschen der Anzüge und schoben sie auf die Stachelfutterale. Dann zogen sie die Kapuzen aus den Kragen hervor und drückten sie gegen die Halswülste. Als sich die Kontakte schlossen blähten sich die kugeligen Helme auf. Die interne Versorgung aktivierte sich ebenso automatisch, wie die eingebauten Kommunikatoren.
„Hier spricht das Hoch-Wort. Alle überlebenden Besatzungsmitglieder geben ihre Meldung!“ Erst herrschte Schweigen, dann sprachen gleich mehrere Norsun gleichzeitig, bis Buron lautstark anwies, die Meldung in der Rangfolge der Abteilungen abzugeben. Was er und die anderen zu hören bekamen, war erschreckend.
„Hier ist Maasla, niederer Kristallputzer der Hände der Maschine. Ich bin im Gang vor dem Maschinenraum. Das Tor ist geschlossen und ich sehe an seiner Anzeige, dass im Maschinenraum keine Atmosphäre vorhanden ist. Ich… Ich fürchte, dort lebt niemand mehr.“
„Rurod, ausführende Hand der Heilung. Ich bin wohlauf.“
„Hier ist die ausführende Hand der Bionik Kenra. Ich befinde mich im Hauptdepot der Bioniks, zusammen mit drei Wartungshänden. Einer von ihnen ist schwer verletzt und wir könnten Hilfe brauchen.“
Eine Reihe weiterer Meldungen liefen ein und ergaben ein sehr unerfreuliches Bild der Gesamtlage. Von 217 Norsun hatten nur 47 überlebt. Einige von ihnen waren in bedenklicher Lage, weil sie entweder verletzt waren oder von einer gefährlichen Situation bedroht wurden, denn bislang wurde keiner der Brände an Bord bekämpft.
„Bionikerin Kenra, kannst du einige der Bioniks aktivieren und für Rettungsarbeiten programmieren?“, fragte Buron hoffnungsvoll.
Trotz ihrer hohen Vermehrungsrate waren die Verluste der Norsun während ihrer Kriege so hoch, dass sie inzwischen künstliche Soldaten entwickelt hatten. Es waren biomechanische Konstruktionen, welche aus organischen und künstlichen Komponenten zusammengesetzt wurden. Die Norsun verstanden es organische Schaltungen zu züchten, die nicht nur ihrer Programmierung folgten, sondern auch lernfähig waren. Man nannte die künstlichen Helfer Bioniks und konnte sie nicht nur für den eigentlichen Kampf, sondern auch für Unterstützungsaufgaben einsetzen. Äußerlich unterschieden sie sich kaum von ihren Herren, allerdings fehlten deren Pheromonfühler.
Die Herndaskar verfügte über dreihundert dieser Einheiten, die desaktiviert in zwei Depots gelagert wurden.
Kenra war eines der wenigen Weibchen an Bord des Schiffes und für Wartung, Programmierung und den Einsatz der Bioniks zuständig. Der Umgang mit diesen Konstruktionen war diffizil, vor allem aufgrund der richtigen Einstellung der biologischen Schaltplatinen.
Der Stimme der Bionikerin war eine gewisse Verärgerung anzuhören. „Das könnte ich, Hoch-Wort, wenn mir genug Energie für die Programm- und Wartungseinheiten zur Verfügung stehen würde. Besorg mir Energie, Herr, und ich gebe dir die hilfreichen Hände meiner Bioniks.“
Buron´s Rüssel zog sich voller Frustration ein wenig zusammen. Es gefiel ihm nicht, dass Kenra eine tiefere Beziehung zu den Bioniks zu empfinden schien, als für die männlichen Angehörigen der Besatzung. Selbst ihn, das Hoch-Wort des Schiffes, hatte sie schon abgewiesen. „Ihr müsst im Wartungsbereich Kristallspeicher und Energielader für die Bioniks verfügbar haben. Sicher lässt sich etwas zusammenbauen, mit dem ihr die Programm- und Wartungseinheit versorgen könnt.“
„Wir werden unser Möglichstes tun, Herr“, versicherte Kenra.
Buron trat an die Konsole eines der einfachen Techniker. „Nun, Hand, wie sieht es aus?“
„Ich konnte meine Konsole neu starten und lasse die Systemanalyse laufen. Es steht nicht gut, Herr. Viele Routinen der Unterprogramme reagieren nicht. Mit Sicherheit können wir keines der wichtigen Schiffsysteme von hier aus starten. Nicht ohne Hauptenergie.“
Die ausführende Hand der Maschine nickte zu den Worten seines Untergebenen zustimmend mit den Fühlern. Der Norsun deutete zu den wenigen transparenten Scheiben, die sich am oberen Rand der Zentrale entlangzogen und den Ausblick in den Weltraum ermöglichten. „Herr, wir sind ohne Antrieb und ohne Fühler. Wenn uns ein weiteres Objekt bedroht, so können wir nicht reagieren und ausweichen.“
Buron stieß einen schnalzenden Laut aus. „Dann werden wir dafür sorgen, dass wir wieder Energie bekommen. Ausführende Hand des Schiffes und Hand der Seher, ihr bleibt hier. Hand der Maschine, du bleibt bei deiner Konsole. Sprecher und Stecher, ihr folgt mir. Wir gehen zum Maschinenraum und untersuchen dabei das Schiff auf das Ausmaß der Schäden. Da die Schwerkraft ausgefallen ist, gilt dies auch für die Lebenserhaltung. Unsere Anzüge können uns nur begrenzt versorgen. Wir müssen schnellsten eine Notversorgung sicherstellen.“
Die Verluste an Leben waren Buron weitestgehend bekannt. Als Norsun hatte er gelernt diese zu akzeptieren. Weit wichtiger war für ihn der Zustand des Schiffes, denn dieser entschied über die Zukunft der Überlebenden.
Buron und seine Begleiter benutzten den Nothebel, um das Tor der Zentrale zu öffnen. Die beiden Hälften der achteckigen Konstruktion begannen sich unten zu teilen und klappten dann, wie die Teile einer Schere, auseinander, bis sie in den Deckenhalterungen einrasteten.
Im dahinterliegenden Gang brannten nur wenige Notlichter. Sie schalteten die Kragenscheinwerfer ein und gingen in Richtung auf den Schacht, über den sie das mittlere Hauptdeck erreichen konnten. Dort führten zwei Gänge gradlinig in die Heckkugel mit den Maschinenräumen. Die gläsernen Gänge des mittleren Rumpfteils waren ein Teil dieser Wege. Innerhalb des Schachtes gab es keine Liftkabine, doch das war kein Problem. Die Konstruktion der Norsun besaß eine Art Teleskopstange mit angerauter Oberfläche. Dass man vom oberen Pol der Bugkugel bis hinunter zu ihrem unteren sehen konnte, störte keinen der Norsun, denn sie kannten keine Höhenangst.
Sie kletterten die Stange hinunter bis sie die Höhe des Hauptdecks erreichten und ignorierten dabei den zerschmetterten Leib eines Besatzungsmitglieds, den