Hafterlebnisse eines DDR-Bürgers 2. Teil. Jürgen Brand
es die Reeperbahn. Woher sollten wir auch mehr wissen, vonseiten der DDR wurde nur Schlechtes berichtet, damit man denken sollte, im Westen lebten nur Arbeitslose, Obdachlose, Prostituierte, Drogensüchtige und ein paar Kapitalisten, die mit der Peitsche in der Hand ihre Arbeiter antrieben. Doch wir waren auf keinen Fall so naiv, auf diese Hetzkampagne gegen die BRD zu bauen. Schließlich würden die Behörden nicht solch einen Aufriss machen, wenn es wirklich stimmte. Denn dann hätte man uns doch laufen lassen können. Nein, denen, die nicht an den Staat glaubten, gönnte man kein besseres Leben im Westen.
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In den folgenden Wochen kamen die unterschiedlichsten Typen zu uns auf die Zelle: Ein Gefangener kam in den Keller, weil er verbotenerweise tätowiert hatte. Ein anderer wegen einer Rauferei und wieder ein anderer, weil er sich nach mehrmaliger Aufforderung keinen Knopf angenäht hatte. Nach kurzem Aufenthalt merkte man, dass der so schnell keinen Verstoß mehr begehen würde, so wie der rumjammerte. Uns aber holte keiner raus aus diesem Kellerloch. Doch dem Gefängnispersonal gegenüber ließen wir uns nicht anmerken, dass es uns sehr belastete, diese Verhältnisse auszuhalten.
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Nach ein paar Wochen im Keller meldete sich diesmal Bernstein zum Hungerstreik und sagte: „Ich fordere eine Untersuchungskommission, um diese Terrorhaft zu prüfen. Das hier ist menschenfeindlich!“ Er zog den Hungerstreik 8 Tage durch. Die Dienststelle in Ostberlin musste benachrichtigt worden sein, denn ein Oberst kam einmal vorbei und befragte ihn. Die mussten was machen, um ihr angekratztes Image wieder gerade zu rücken. Aber nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern allein nur um des eigenen Vorteil willens. Immerhin war die DDR auf D-Mark oder Dollar angewiesen. Und wenn solche Fälle wie unsere rauskämen, wollte nicht gerade der Knast Thale oder Torgau schuld sein.
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Unser Fenster war auf der Höhe der Gehwege außerhalb des Gebäudes und so hörten wir die im Gleichschritt marschierenden Gefangenenkompanien laut und deutlich. Wenn sie zum Beispiel sangen „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht, die Internationale erkämpft das Menschenrecht …“ , hätten wir kotzen können! Dieses Lied, die sog. „Internationale“ hört man heute noch auf dem Parteitag einer gewissen Partei, wenn dieser im TV übertragen wird. Das ist eine Verhöhnung und Beleidigung der tausenden Toten und Angehörigen von Opfern der DDR-Diktatur.
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Die Gefangenen sangen von Freiheit und Menschenrecht, was aber dem eigenen Volk verwehrt wurde. In der DDR gab es keine Presse- oder Meinungsfreiheit, keine freien Wahlen, keine freie Berufswahl, keine Reisefreiheit, kein Streikrecht, keine freie Justiz.
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400 westdeutsche Bürger wurden insgesamt von der Stasi aus der BRD in den Osten verschleppt, weil sie gegen die Unterdrückung der Menschen dort gearbeitet haben. Irgendwann musste die Grenze der Perversität erreicht sein, doch war es nur die Spitze des Eisbergs. Zum Schutz gegen Feinde des Sozialismus wurden im Auftrag der DDR Morde ausgeübt. Die Schuldigen dürfen sich heute auf Kosten unserer Steuergelder auch noch ein schönes Leben machen! Honeckers bester Freund war Gaddafi – bekanntermaßen ein Terroristenchef. Aber für die DDR waren diese Terroristen alle Freiheitskämpfer.
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Nun hatte ich noch 20 Monate vor mir und aus dem Keller war ich noch lange nicht raus. Der Steinke musste seine Sachen packen und wusste nicht, wo er hingebracht werden würde. Später hörten wir, er sollte nach Cottbus zur Ausreise gekommen sein. Das war gut möglich, denn er hatte Verwandtschaft „drüben“.
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Eines Tages hörten wir durch das Fenster, wie ein Hofarbeiter, der die Wege fegte, unserem Kellerfenster näher kam. „Hallo, komm doch mal her!“, rief Bernstein. Er kam tatsächlich zu uns, musste aber unauffällig bleiben und dabei weiterfegen.
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„Was macht ihr da unten und wie viele seid ihr?“, fragte er.
„Wir haben Dauerarrest und die wollen uns verrecken lassen“, sagte Bernstein.
„Hast du was zum Rauchen?“, fragte ich.
Er sagte: „Ich habe nichts hier, außer den Zigarettenkippen, die ich hier massenweise zusammengefegt habe.“ Die lagen alle in seinem Eimer.
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„Kriege ich die?“, fragte ich. Und so bekam ich so viele Kippen ins Fenster gekippt, dass es allemal drei Wochen reichen würde.
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„Viel Glück euch“, sagte der Gefangene und verschwand, weil er weiter arbeiten musste. Ein super Zug von ihm, denn nicht jeder hätte sich so verhalten und uns arme Schweine mit Tabakwaren versorgt. Tage später brachte er noch selbst gedrehte Zigaretten und Streichhölzer. Wäre er erwischt worden, wäre er seinen Posten als Hausarbeiter los gewesen. Schade, dass ich ihn später nie wieder sah, um mich richtig bei ihm zu bedanken.
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Bernstein war Nichtraucher und verstand meine Freude so gar nicht!
„Du bist doch so schlau, nun überleg doch, wie wir aus dem Loch rauskommen. Dann bringt der uns beim nächsten Mal eine Säge mit und wir türmen“, sagte der Bernstein. „Nur dass der Stacheldraht und die Hunde nicht mitmachen“, lachten wir und hakten die Sache ab. Wir wollten schließlich auch in einem Stück heile rauskommen.
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Die Höhe des Kopfgeldes, die der Staat für einen Bürger kassierte, war keinem genau bekannt. Mich wunderte trotzdem, dass der Westen sich für meist unbekannte Personen von der DDR so viel Geld abknöpfen ließ. Fakt ist, dass auch kriminelle Bürger oder Spitzel in den Westen kamen – als „Schläfer“ (wartende Spione) wurden sie in den Westen abgeschoben, um nach gewisser Zeit wieder mit der Stasi Kontakt aufzunehmen. Allein in Westberlin sollen bis zu 4.000 Spitzel Geheimnisse an die Stasi verraten haben oder sie waren offizielle Mitarbeiter der „Behörde“. Es gab auch Hunderte von Frauen aus der DDR, die im Auftrag der Stasi gezielt Kontakt zu westdeutschen Besuchern suchten. Wenn dann ein intimes Verhältnis geschaffen war, horchten sie sie aus oder überredeten sie, als IM oder Agent mitzumachen. Oft wurden dabei auch kompromittierende Fotos als Druckmittel eingesetzt. Es gab praktisch nichts, was es nicht gab im Sumpf des Sozialismus. Außenstehende wussten nichts davon und darum war sie auch so erfolgreich, gefährlich und unberechenbar, diese Staatssicherheit.
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Nun waren nur noch Bernstein und ich im Keller in Thale. Weil er auch von der Situation frustriert war, meldete er dem Polizisten, der die Zelle kontrollierte: „Herr Wachtmeister, Buchenwaldgedächniszelle 1, es melden sich zwei Bundesbürger.“
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Das ging sofort an höhere Stellen, was uns vorher klar war. Aber so vergaßen die einen wenigstens nicht. „Mal sehen, wer den längeren Atem hat“, sagte ich zu Bernstein. „Wir“, erwiderte er, „und die Gerechtigkeit wird siegen.“ Dessen war ich mir auch sicher. Aber nach Jahren des vergeblichen Wartens zu glauben, dass es bald geschafft ist, war schwer. Auf die DDR-Behörden war schließlich kein Verlass. Doch dass alles auch nie klappen könnte, blendeten wir aus. Bevor ich das erste Mal in Haft war, hatte ich auch nicht gedacht, dass bei den Behörden und anderen staatlichen Stellen solche Verbrecher arbeiteten. Und dass in Thale im Keller die falschen Personen sitzen, wusste ich jetzt. Aber was sollten wir machen, als kleine Lichter im Wind? Wie viel Angstschweiß und Tränen hatte ich den letzten 4 Jahren vergossen ... Bei mir dachte ich: Wie pervers sind die denn und was lassen die sich noch einfallen, um unschuldige Leute fertigzumachen?! Wer will, kann ja freiwillig in der DDR bleiben, aber ich will das nicht. Nur in den Köpfen der SED war das nicht angekommen.