Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Helm unter dem Kinn befestigte war, so dass er nur noch von dem Haarzopf gehalten wurde, der durch das Loch in der Mitte des Helms gezogen war. Er rutschte immer wieder ins Gesicht, und die Halbmaske verdeckte die Augen. Wenn er die nicht getragen hätte, hätte ich diesen Schnitt nicht gewagt, denn eine Verletzung des Gesichtes wollte ich auf keinen Fall provozieren. Doch da die Schnur über die Halbmaske gezogen war, hatte ich nur auf dieser einen starken Kratzer hinterlassen.
Schwer atmend stand er vor mir. Ihm war mit Sicherheit klar, dass er aus diesem Duell nicht mehr siegreich hervorgehen konnte, aber eingestehen wollte er es nicht. Um ihm die Entscheidung abzunehmen, trat ich drei Schritte zurück, senkte das Schwert und neigte den Kopf.
Es war für ihn ein Dilemma, denn er hatte mich züchtigen wollen, weil ich es ihm gegenüber an Respekt hatte fehlen lassen und nun war ihm die nächste Schmach zugefügt worden. Er, ein Meister des Schwertkampfes, musste sich eingestehen, dass meine Angriffe auch andere Folgen hätten haben können. Wenn er sich jetzt geschlagen gab, war seine Ehre noch mehr befleckt.
Doch nun tat Date Masamune, was wir vorher abgesprochen hatten. Er wandte sich mit der Bitte, etwas sagen zu dürfen, an den Shogun. Nachdem er die Erlaubnis erhalten hatte, stand er auf, trat an Sanada Masanori heran und sagte so laut, dass alle es hören konnten:
›Metsuke Sanada Masanori, es ist keine Schande, diesem Mann unterlegen zu sein. Er ist ein Großmeister der chinesischen Yamabushi und in vielen Kampfarten bewandert. Er hat mir und meinen Dienern das Leben gerettet, und ich bin ihm verpflichtet, weshalb ich ihn in unser Land einlud. Leider haben ich und auch Katakura Shigenaga versagt, denn wir haben ihn nicht genügend mit unseren Sitten und Gebräuchen vertraut gemacht. Also trifft uns die Schuld an seinem unhöflichen Verhalten. Wir müssten dir Genugtuung geben, doch das verweigerte er uns. Bei einem Gespräch vor diesem Kampf teilte er mir mit, wie sehr er sein Fehlverhalten bedauert und dass er nichts sehnlicher wünscht, als diese Schmach zu tilgen.‹
Er wandte sich kurz mir zu und gab mir damit ein verabredetes Zeichen.
›Wenngleich es seine Ehre nicht zulässt, sich schwächer zu zeigen, als er ist, wird er sich deiner Gnade oder Ungnade unterwerfen.‹
Bei diesen Worten hatte ich mich auf mein linkes Knie herabgelassen, das Schwert neben mein angewinkeltes rechtes Bein auf den Boden gelegt und meinen Kopf gesenkt. In dieser Stellung wartete ich auf seine Entscheidung, denn der Daimyo meinte, er könne nichts anderes mehr tun, als die Sache friedlich beizulegen. Da der Fürst indes nichts dem Zufall überlassen wollte, hatte er noch ein paar Fäden gezogen.
Die Entscheidung fiel dem Metsuke nicht leicht, denn er empfand es als beschämend, einem wie mir so offensichtlich unterlegen zu sein. Auf der anderen Seite wäre es nicht mehr ehrenvoll gewesen, mich in dieser Situation zu züchtigen. Die Zeit verrann, und unschlüssig schaute er auf mich herab. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass sich Tokugawa Hidetada zu seinem Sohn hinüberbeugte und ihm etwas zuraunte. Unwillig sah der Shogun seinen Vater an, erhob sich jedoch und forderte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden.
Es waren nur wenige Sätze, die er sprach, doch in seiner Stimme lag etwas Bestimmendes. Als er geendet hatte, schaute er fragend zu dem Metsuke. Der verneigte sich tief vor ihm, drehte sich um, kam auf mich zu und forderte mich mit einer Geste zum Aufstehen auf. Als ich mich langsam, das Schwert liegenlassend, erhoben hatte, schaute er sich kurz um und rief Katakura Shigenaga heran, mit dem er ein paar Worte wechselte, die Shigenaga übersetzte:
›Sanada Masanori hat mich gefragt, ob du verstanden hast, was der Shogun gesagt hat?‹
›Nein.‹
›Das sagte ich ihm auch schon, da du erst einige wenige Worte unserer Sprache verstehst. Deshalb soll ich dir das Gesagte übersetzen.‹
Er machte eine kurze Pause und verneigte sich leicht in Richtung des Shogun.
›Tokugawa Iemitsu hat den Metsuke aufgefordert, die Streitigkeiten mit dir beizulegen. Er sagte, für ihn sehe es so aus, als würde deine vermeintliche Unhöflichkeit auf zwei Missverständnissen beruhen. Zum einen, weil Sanada Masanori annahm, dass du mit unseren Umgangsformen vertraut seist, und zum anderen, weil du nach deinem äußeren Erscheinungsbild anscheinend im Rang weit unter ihm stehst. Natürlich schützt Unwissenheit nicht vor Strafe. Da du aber ein Gast von Date Masamune bist und er die Verantwortung übernommen hat, wünscht er eine friedliche Beilegung des Konflikts. Außerdem wurde ihm berichtet, du seist so etwas wie ein General.‹
Erstaunt zog ich die Brauen hoch, doch Shigenaga gab mir mit den Augen einen Wink und fuhr fort:
›Was ja bedeuten würde, dass ihr beide in etwa den gleichen Rang habt, weshalb die Höflichkeitsformen deinerseits gar nicht so hätten ausfallen müssen, wie er es erwartet hatte.‹
Er deutete nun auf meinen Gegner und übersetzte, was dieser dazu gesagt hatte.
›Sanada Masanori hat erkannt, dass du ein großer Bushi bist, und er ist sehr beeindruckt von deinen Fähigkeiten. Aus diesem Grund und natürlich weil der Shogun es so wünscht, wird er damit diese unglückliche Begegnung als vergessen betrachten. Doch er stellt eine Bedingung!‹
Katakura Shigenaga holte tief Luft und sah mir unsicher in die Augen.
›Er möchte mehr über deine Art zu kämpfen erfahren. Aus diesem Grund wünscht er, dass weitere Treffen stattfinden, in denen du ihn unterweist.‹
Das gefiel mir nicht so sehr, denn ich wusste ja nicht, was daraus entstehen würde. Andererseits war es in diesem Moment kaum möglich, abzulehnen, ohne ihn schon wieder zu beleidigen. Deshalb versuchte ich es mit einem Kompromiss.
›Ich werde seinem Wunsch natürlich nachkommen, doch der Metsuke sollte eins bedenken. Um den Stand der Kampffertigkeiten zu erreichen, den ich jetzt habe, musste ich acht Jahre lang täglich von morgens bis abends trainieren. Es gab in dieser Zeit nur wenige Tage, an denen das Training ausfiel, und viele andere erreichen diesen Stand nie oder erst nach vielen Jahren.‹
Shigenaga übersetzte synchron, was ich gesagt hatte, und ich konnte beobachten, wie sich die Miene von Masanori wandelte, erst ins Ärgerliche, dann ins Interessierte und schließlich in ein Lächeln.
›Ich merke schon, es gibt viel zu erfahren und zu lernen, auch wenn ich Ihre Kampffertigkeit vielleicht niemals erlange.‹
In seiner Miene war der Schalk