Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
ich es diesem bedeutenden Mann gegenüber an Respekt habe fehlen lassen. Aber mir sind die Folgen, die dieses Fehlverhalten nach sich ziehen können, nicht klar. Außerdem verstehe ich nicht, wie es dir gelungen ist, diese wenigstens für den Moment abzuwenden.‹
Er holte tief Luft.
›Die Folgen einer solchen Beleidigung, denn das ist dein Verhalten für ihn gewesen, wären in diesem Augenblick im günstigsten Fall mit Schlägen abgegolten worden. Da du aber als Ausländer erkannt wurdest, hätte es auch mit deinem Tod enden können.‹
Ich schluckte. Das hatte ich nicht erwartet.
›Ich konnte das durch mein Eingreifen erst einmal verhindern. Der Metsuke, Sanada Masanori, will das aber nicht auf sich beruhen lassen.‹
›Metsuke?‹
›Der Holländer Cornelis van Neyenrode übersetzte es als Polizeipräfekt, doch bin ich mir nicht sicher, ob das die Position richtig umschreibt. Die Metsuke stehen nämlich über der Polizei, also den Sicherheitskräften, die für die öffentliche Ordnung zuständig sind. Sie sind für weit mehr zuständig. Selbst mein Herr muss sich ihnen gegenüber vorsichtig verhalten und darf sie sich nicht zum Feind machen.‹
Oje, das war kein Fettnapf, in den ich getreten war, das war siedendes Öl. Doch es kam noch schlimmer.
›Sanada Masanori ist der Metsuke von Edo und als ein hervorragender Schwertkämpfer bekannt. Gerüchte besagen, dass er jede Gelegenheit zu einem Zweikampf nutzt. Die Aussicht auf einen solchen hat ihn dann auch davon abgehalten, dich zu bestrafen.‹
›Ein Duell mit dir, nehme ich an?‹
›Ja, ich denke, so könnte man es ausdrücken.‹
›Aber ich war es doch, der ihn, wenn auch aus Unwissenheit, beleidigt hat.‹
›Und ich bin für deine Sicherheit verantwortlich. Ich konnte es nicht zulassen, dass du Schaden nimmst, und habe ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass du Gast von Date Masamune bist, dass ich für dich verantwortlich bin und für deinen Fehler einstehe. Daraufhin hat er Genugtuung gefordert und wollte sich zu diesem Zweck mit meinem Herrn in Verbindung setzen.‹ Seine Miene wurde noch betrübter. ›Der Fürst hat mir vorhin mitgeteilt, dass dies bereits geschehen ist. Ich werde also mit ihm kämpfen und mein Bestes geben.‹
Das klang überhaupt nicht zuversichtlich. Ich sann über das weitere Vorgehen nach, doch Date Masamune zeigte immer mehr Ungeduld.
›Gut, übersetz jetzt dem Daimyo alles genau so, wie ich es sage. Frag nicht nach, und unterbrich mich bitte nicht.‹
Er nickte, und ich begann:
›Ich werde nicht zulassen, dass ein anderer für meine Fehler büßen muss!‹
Shigenaga schaute mich mit großen Augen an und schwieg. Erst nachdem ich eine auffordernde Handbewegung gemacht hatte, begann er stockend zu übersetzen.
›Also, ich werde diesem Mann zur Genugtuung zur Verfügung stehen.‹
Masamune setzte zu einer Antwort an, daher sprach ich schnell weiter:
›Ich denke, dass wir in diesem Zusammenhang auch das andere Problem lösen können.‹
In diesem Moment hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.
›Der Kampf, den der Metsuke zur Herstellung seiner Ehre wünscht, sollte im Beisein des alten und des neuen Shogun stattfinden. Date Masamune würde damit die Forderung des Shogun erfüllen, und ich kann meine Ehre verteidigen.‹
Ich bediente mich dieses Schachzugs, da ich bemerkt hatte, wie hoch die Ehre eines Mannes in dieser Gesellschaft eingestuft wurde, und der Erfolg blieb nicht aus.
›Wieso deine Ehre?‹, fragte Shigenaga nach, ohne vorher zu übersetzen.
›Denkt ihr denn, dass es ehrenvoll für mich ist, wenn ein anderer für meine Fehler einstehen muss?‹
›Ich wusste nicht, dass es in deiner Heimat so ...‹
›Bitte, übersetze es und diskutiere jetzt nicht mit mir!‹
Resignierend kam er meiner Aufforderung nach.
Beim Daimyo erreichte ich genau das, was ich beabsichtigt hatte. Ich schien in seiner Achtung zu wachsen, obwohl er einige Bedenken hatte. Er erkundigte sich sofort, ob ich Erfahrungen im japanischen Schwertkampf hätte. Als ich das verneinte, machte er ein bedenkliches Gesicht, doch ich hatte zwei Argumente, die ihn überzeugten.
Zum Ersten fragte ich ihn, ob er in China den Eindruck gewonnen hätte, dass ich mich nicht verteidigen könne. Das verneinte er sofort, und ich wies zum Zweiten darauf hin, dass der Shogun etwas von den Kampffertigkeiten der Shaolin sehen wollte. Das überzeugte ihn, und wir begannen sofort mit der Planung.
Ich bat den Fürsten, mir mehr über die Regeln und den Verlauf eines solchen Kampfes mitzuteilen. Aufmerksam lauschte ich den Ausführungen und forderte ihn dann auf, mir einen Übungspartner zur Verfügung zu stellen. Er benannte Katakura Shigenaga, der nach seiner Rüstung schicken ließ, denn ich wollte, dass es möglichst realistisch stattfand.
Bei näherer Betrachtung der Umstände wurden uns einige Probleme bewusst. Der Daimyo hegte Zweifel, dass es überhaupt zu einem Kampf kommen würde. Da ich kein Samurai war, würde es der Metsuke vermutlich für unter seiner Würde erachten, sich auf einen Zweikampf mit mir einzulassen. Ich überlegte kurz und fragte dann:
›Was bin ich denn in seinen Augen?‹
›Nun, zuallererst ein Ausländer und dann vielleicht ein Mönch. Beides wäre aber unter seiner Würde.‹
Katakura Shigenaga gab zu bedenken:
›Aber er ist ein kämpfender Mönch. Meinem Sohn gegenüber habe ich ihn als einen Sohei ausgegeben. Vielleicht würde Yamabushi es noch besser treffen.‹
Die anderen Samurai hatten sich bisher an dem Gespräch nicht beteiligt. Vermutlich wurde Shigenaga deshalb auch zurechtgewiesen, weil er den Fürsten sehr vertraulich angesprochen hatte. Unterwürfig verbeugte er sich vor dem Daimyo, übersetzte mir aber auf dessen Befehl hin seinen Einwurf.
Um die Situation zu entschärfen, antwortete ich schnell.
›Wenn ich ihm als Sohei oder Yamabushi vorgestellt werde, was ja, wenn ich richtig verstanden habe, Kriegermönche sind, wird er dann den Kampf immer noch ablehnen?‹
›Das sind zwar