Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel


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die Au­gen und sag­te:

      ›Die Ge­fahr, dass sich die bei­den dar­über aus­tau­schen, ist eher ge­ring, denn sie pfle­gen meist nur Kon­takt, wenn es öf­fent­lich not­wen­dig er­scheint. Aber wie soll ich die Ge­sprä­che in die ge­wünsch­te Rich­tung len­ken, wenn ich je­dem den glei­chen Be­richt er­stat­te.‹

      Ich lä­chel­te und schlug vor, dass wir den Ge­sprächs­ver­lauf üben, in­dem er den Sho­gun spielt und ich sei­nen Part über­neh­me.

      Die sich an­schlie­ßen­den Dia­lo­ge nah­men viel Zeit in An­spruch, da wir ver­schie­de­ne Va­ri­an­ten durch­spiel­ten. Erst als uns eine Schlecht­wet­ter­front er­reich­te, be­en­de­ten wir das Ge­spräch, denn die Mann­schaft hat­te alle Hän­de voll zu tun, um das Schiff si­cher auf Kurs zu hal­ten. Wir räum­ten den Platz beim Heck­mast, um nicht im Weg zu sein, und ich sah ge­bannt der Mann­schaft bei ih­rer Ar­beit zu. Die Sicht wur­de im­mer schlech­ter, star­ker Re­gen setz­te ein, und das Schiff muss­te mit ho­hen Wel­len­ber­gen kämp­fen. Un­ter hef­ti­gem Schlin­gern und Schau­keln ging es die gan­ze Nacht und auch den fol­gen­den Tag wei­ter. Erst als wir die ja­pa­ni­sche Küs­te er­reich­ten, wur­de das Wet­ter bes­ser. Aber als wir in die Mee­ren­ge zwi­schen Kyus­hu und Hons­hu ein­lie­fen, ver­schlech­ter­ten sich die Be­din­gun­gen wie­der. Der Ka­pi­tän ent­schloss sich, den nächs­ten Ha­fen an­zu­lau­fen und erst bei Wet­ter­bes­se­rung die Fahrt fort­zu­set­zen. Der klei­ne Ha­fen lag in ei­ner Bucht, die durch eine Hü­gel­ket­te vor dem Wind ge­schützt war. Da es nur ein Fi­scher­ha­fen war ver­ließ kei­ner das Schiff, und ich wur­de wie­der zu Date Ma­sa­mu­ne ge­ru­fen, um un­ser Ge­sprächs­trai­ning fort­zu­set­zen.

      Am nächs­ten Mor­gen bes­ser­te sich das Wet­ter, und wir setz­ten un­se­re Rei­se fort. Shi­ge­na­ga soll­te recht be­hal­ten, denn auf der gan­zen rest­li­chen Fahrt hat­te das Schiff ge­gen wid­ri­ge Win­de an­zu­kämp­fen. Zwi­schen den großen In­seln gab es vie­le klei­ne­re und kleins­te, manch­mal nur Fels­klip­pen, de­ren Um­schif­fen der Be­sat­zung die vol­le Auf­merk­sam­keit ab­ver­lang­te. Erst als wir das of­fe­ne Meer er­reich­ten und in nord­öst­li­che Rich­tung um­schwenk­ten, wur­de es ein­fa­cher. Der Wind war nicht mehr ganz so stark und sei­ne Rich­tung auch ein we­nig güns­ti­ger. Wir folg­ten mehr oder we­ni­ger dem Küs­ten­ver­lauf von Shi­ko­ku und ka­men bes­ser vor­an. Die­se See­rei­se nahm fast drei Wo­chen in An­spruch, in de­ren Ver­lauf ich im­mer wie­der zum Dai­myo ge­ru­fen wur­de, da sei­ne Be­den­ken noch nicht rest­los zer­streut wa­ren. Die Ge­sprä­che wa­ren sehr lang­wie­rig, weil ich ja im­mer noch Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga als Dol­met­scher brauch­te. Aus die­sem Grund und we­gen des un­auf­hör­li­chen Re­gens be­kam ich auf der gan­zen Fahrt nicht viel zu se­hen. Zur Ent­schä­di­gung hat­ten wir seit der Ein­fahrt in die Bucht, in der Edo lag, das schöns­te Wet­ter. Die Son­ne wärm­te von ei­nem strah­lend blau­en Him­mel, und das Schiff durch­pflüg­te ru­hig und gleich­mä­ßig das nur leicht ge­kräu­sel­te Was­ser. Ich stand mit Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga an der Re­ling und schau­te auf die wei­te Ebe­ne, der wir ent­ge­gen­streb­ten.

      ›Was er­war­test du von un­se­rem Land, und wie stellst du dir dein wei­te­res Le­ben hier vor?‹, frag­te mich Shi­ge­na­ga un­ver­mit­telt.

      Aus mei­nen Ge­dan­ken ge­ris­sen, schau­te ich hoch und über­leg­te.

      ›Ich weiß es nicht. Ich bin mir auch nicht si­cher, ob es rich­tig war, dem Ruf von Date Ma­sa­mu­ne zu fol­gen. Die we­ni­gen Bro­cken eu­rer Spra­che, die du mir bis­her bei­brin­gen konn­test, sind auch nicht dazu an­ge­tan, mei­ne Un­si­cher­heit zu zer­streu­en. Des­we­gen füh­le ich mich im Mo­ment sehr un­wohl bei dem Ge­dan­ken, wie­der ein­mal ganz von vorn an­zu­fan­gen.‹

      Er lach­te kurz auf.

      ›Was er­war­te­test du denn? Hast du wirk­lich ge­glaubt, dass ich dir in den we­ni­gen Stun­den, die uns bis­her zur Ver­fü­gung stan­den, un­se­re Spra­che hät­te bei­brin­gen kön­nen? Ging das bei dei­nem Ein­tref­fen in Chi­na so schnell?‹

      ›Nein‹, ich schüt­tel­te den Kopf. ›Na­tür­lich nicht, doch was ich bis­her von dir er­fah­ren habe, er­scheint mir ziem­lich kom­pli­ziert, und ich habe ein­fach Be­den­ken, dass ich mich falsch ver­hal­te oder die Er­war­tun­gen des Fürs­ten nicht er­fül­len kann.‹

      ›Mach dir nicht schon jetzt Ge­dan­ken über Din­ge, die du noch gar nicht ein­schät­zen kannst. Ich habe mit mei­nem Herrn dar­über ge­spro­chen, und er hat mich be­auf­tragt, dir un­se­re Spra­che bei­zu­brin­gen. Au­ßer­dem soll ich in der ers­ten Zeit im­mer in dei­ner Nähe sein, um dich mit un­se­ren Sit­ten und Ge­bräu­chen ver­traut zu ma­chen.‹

      Er wand­te sich von mir ab und deu­te­te in die Fer­ne.

      ›So­bald wir im Ha­fen von Edo an Land ge­gan­gen sind, ach­test du bit­te ge­nau auf das, was ich tue. Da du kei­ne Schwer­ter trägst und alle nach dei­nem äu­ße­ren Er­schei­nungs­bild dar­auf schlie­ßen wer­den, dass du zur un­te­ren Stan­des­rie­ge ge­hörst, musst du be­stimm­te Din­ge ge­nau be­ach­ten. Ich wer­de dir im­mer die ent­spre­chen­den Hin­wei­se ge­ben.‹

      Shi­ge­na­ga dreh­te sich zu mir um und sag­te fast ein we­nig fei­er­lich:

      ›Date Ma­sa­mu­ne hat mir mit­ge­teilt, dass er so­bald als mög­lich die­sen Um­stand ver­än­dern möch­te. Ich weiß es nicht ge­nau, aber ich ver­mu­te, dass er dich zu ei­nem Bus­hi mit ei­nem an­ge­mes­se­nen Rang ma­chen will. Doch dazu musst du un­se­re Spra­che schon ei­ni­ger­ma­ßen be­herr­schen, und zu­dem wird es erst in Sen­dai ge­sche­hen kön­nen.‹

      ›Sen­dai?‹

      ›Hab ich dir noch nichts von Sen­dai er­zählt?‹

      Ich schüt­tel­te den Kopf.

      ›Oh, dann wird es Zeit, denn Sen­dai ist die Re­si­denz­stadt des Fürs­ten. Er hat vor vier­und­zwan­zig Jah­ren die­ses klei­ne Dorf dazu aus­er­ko­ren. Auf dem Hü­gel der grü­nen Blät­ter ne­ben dem Fluss Hi­ro­se ließ er sei­ne neue Burg er­rich­ten. Dass er die Er­laub­nis des Sho­gun be­kam, war eine große Ehre, denn fast al­len Dai­myos wur­de es un­ter­sagt, Bur­gen zu bau­en, und vie­le be­ste­hen­de Bur­gen wur­den zer­stört oder ih­rer Ver­tei­di­gungs­an­la­gen be­raubt.‹

      Er schau­te mich er­war­tungs­voll an, um zu se­hen, wel­chen Ein­druck die­se Wor­te auf mich mach­ten. Doch ich wuss­te im­mer noch zu we­nig über die hie­si­gen Ver­hält­nis­se, um es auch nur an­nä­hernd ein­schät­zen zu kön­nen.

      Ein we­nig ent­täuscht fuhr er fort:

      ›Nun, vor zwan­zig Jah­ren sind wir in Sen­dai ein­ge­zo­gen. Aber fast die Hälf­te der seit­dem ver­gan­ge­nen Zeit war der Fürst im Auf­trag des Sho­gun un­ter­wegs oder in Edo. Auch ich habe Sen­dai schon län­ger nicht mehr be­sucht und freue mich, es bald wie­der­zu­se­hen.‹

      Sehn­süch­tig wan­der­te sein Blick in die Fer­ne.

      ›So­bald wir die Er­laub­nis be­kom­men, wer­den wir Edo ver­las­sen. Doch wer kann schon sa­gen, wann das sein wird.‹

      Nach ei­nem kur­zen Schwei­gen setz­ten wir mit be­lang­lo­se­ren The­men un­se­re Un­ter­hal­tung fort, bis wir in den Ha­fen von Edo ein­lie­fen.

      Das Schiff hat­te, seit es ge­sich­tet wor­den war, große Auf­merk­sam­keit


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