Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Hafen ankamen, wurde dem Kapitän sofort das Eintreffen des Fürsten gemeldet und er empfing den Daimyo, noch bevor dieser das Schiff betrat. Die sich anschließende Unterhaltung konnte ich, da sie japanisch geführt wurde, nicht verstehen, und weil Katakura Shigenaga nicht dolmetschte, hatte ich Muße, mir das Schiff genauer zu betrachten.
Ich hatte noch nie ein Segelschiff aus der Nähe gesehen, und die, die ich von Bildern her kannte, waren mit diesem hier nicht vergleichbar. Anscheinend mischten sich in dieser Schiffskonstruktion mehrere Bauweisen. Der Rumpf hatte ein sehr hohes Heck und einen wesentlich niedrigeren Bug. Das Heck mit den Aufbauten erinnerte mich an spanische und portugiesische Segelschiffe, die ich auf Bildern gesehen hatte. Den Bug aber konnte ich gar nicht zuordnen, denn unterhalb des eigentlichen Decks war noch einmal so eine Art Vorbau oder Galerie, die um den Bug herumführte. Dort wurde der Anker abgelegt, wenn das Schiff auf See war, und einige Taue, die zur Spitze des Bugspriets und dem dort befestigten Segel führten, deuteten darauf hin, dass dieses von hier aus bedient wurde. Des Weiteren hatte das Schiff drei Masten. Einen im vorderen Teil des Schiffes, fast am Bug, dieser war annähernd so hoch wie der Hauptmast, der sich ungefähr in der Mitte des Schiffes befand. Der dritte Mast hatte höchstens die halbe Höhe des Hauptmastes und befand sich im Heckbereich des Schiffes.
Die Besegelung schien wieder eine Mischung aus verschiedenen Schiffsbauweisen zu sein. Obwohl sie gerefft waren, konnte man erkennen, dass die Segel am Bugspriet und am Heckmast normale Leinensegel waren, während die an den großen Masten mit Bambuslatten durchzogen waren. Das Steuerruder schien wie der gesamte Heckaufbau einem portugiesischen Schiff entlehnt zu sein, und drei Luken, die sich auf jeder Seite des Aufbaus befanden, deuteten auf eine Bewaffnung mit sechs Kanonen hin.
Ich war gerade dabei, die Details in mich aufzunehmen, als ich durch den Aufmarsch einer Gruppe chinesischer Soldaten aus meinen Betrachtungen gerissen wurde. Eine Einheit von zwanzig Soldaten, geführt von einem Offizier, marschierte im Gleichschritt auf uns zu.
Der Fürst und der Kapitän unterbrachen ihr Gespräch und blickten der Truppe entgegen. Als sie uns erreicht hatten, fuhr der Offizier die Japaner barsch an.
›Sie haben kein Recht, sich hier an Land aufzuhalten! Begeben Sie sich sofort wieder auf Ihr Schiff, sonst sehe ich mich gezwungen, Sie in Gewahrsam zu nehmen!‹
Die Japaner schienen nach dem Gespräch, das der Fürst mit dem Kapitän geführt hatte, in wenig guter Stimmung zu sein und hatten die Hände schon am Schwertheft, doch Wang Lee behielt die Ruhe, trat vor den Offizier und fragte:
›Darf ich erfahren, warum Sie diese Gäste Chinas so unhöflich behandeln?‹
›Gäste Chinas? Es müsste doch jedem bekannt sein, das nach einem Kaiserlichen Erlass keine japanischen Seeleute das chinesische Festland betreten dürfen, und dieses Schiff hier durfte den Hafen nur mit einer Sondergenehmigung anlaufen! Doch beinhaltet sie nicht die Genehmigung des Landgangs! Also, gehen Sie uns aus dem Weg, und lassen Sie uns unsere Pflicht tun!‹
Wang Lee wich nicht von der Stelle, lächelte freundlich und erwiderte:
›Es tut mir leid, doch ich muss Ihnen widersprechen. Diese Leute hier sind Teil einer japanischen Gesandtschaft, die am Kaiserhof weilte. Der Fürst, Date Masamune, hatte die Genehmigung des Kaisers, dass Shaolin-Kloster zu besuchen, und wir Mönche haben die Gesandtschaft zu ihrem Schiff geleitet. Es ist also keinesfalls unberechtigt, dass sich diese Japaner an Land aufhalten.‹
Der Offizier war sichtlich verunsichert und betrachtete die Kampfmönche, die zwischen ihm und den Japanern standen. Doch so ganz ohne Widerrede wollte er sich nicht geschlagen geben.
›Das müssen Sie mir erst einmal beweisen! Von einer solchen Genehmigung habe ich keine Kenntnis, und ich erfülle hier auch nur meine Pflicht!‹
›Der Fürst hat ein Dokument vom Kaiserhof, das diese Reise genehmigt. Er wird es Ihnen auf Wunsch bestimmt zeigen. Außerdem müsste Ihnen die Sondergenehmigung des Schiffes dies auch bestätigen, denn es ist hier, um die Gesandtschaft an Bord zu nehmen.‹
In diesem Augenblick mischte sich Date Masamune ein. Der dolmetschende Samurai, hatte das bisherige Gespräch übersetzt und kam mit der Reisegenehmigung, die ihm der Fürst gegeben hatte, nach vorn. Er hielt sie dem Offizier hin und sagte:
›Der Fürst Date Masamune versteht die Unruhe nicht und möchte das Missverständnis mit der Vorlage dieses Dokumentes beenden.‹
Nachdem der Offizier einen kurzen Blick auf das Kaiserliche Siegel geworfen hatte, setzte er eine andere Miene auf und antwortete, ohne den Inhalt der Genehmigung überhaupt zu lesen:
›Entschuldigen Sie! Ich tue nur meine Pflicht, und mir war diese Genehmigung nicht bekannt. Dürfte ich noch erfahren, wie lange Sie sich in Lianyungang aufhalten werden?‹
Katakura Shigenaga drehte sich zum Daimyo um und leitete die Frage weiter. Der machte eine wegwerfende Handbewegung und gab eine gereizte Antwort, doch ich hatte das Gefühl, dass der Samurai sie nicht wortwörtlich übersetzte.
›Sobald das Schiff zum Auslaufen bereit ist, werden wir den Hafen verlassen. Da sich der Tag aber bereits dem Ende zuneigt, wird es vermutlich erst morgen früh geschehen.‹
Der Offizier bedankte sich für die Auskunft und machte mit seiner Truppe kehrt.
Der Zwischenfall zeigte, wie gespannt das Verhältnis zwischen Japan und China immer noch war. Keine der beiden Seiten traute der anderen über den Weg, und der kleinste Zwischenfall konnte zu einer blutigen Auseinandersetzung führen.
Date Masamune war immer noch sehr verstimmt, vor allem weil ihm der Kapitän berichtet hatte, dass sie das Schiff nicht verlassen durften. Der Handel war deshalb nur über Mittelsmänner und mit zusätzlichen finanziellen Aufwendungen möglich gewesen.
Missmutig drehte er sich um und wollte aufs Schiff gehen. Dabei fiel sein Blick auf mich, und er ließ mich durch Katakura Shigenaga fragen, ob ich mich entschieden hätte.
›Ja!‹, sagte ich. ›Ich habe lange überlegt, alles abgewogen und bin zu dem Schluss gekommen, Ihr Angebot anzunehmen.‹
Das Gesicht des Fürsten hellte sich auf, doch Wang Lee und Chen Shi Mal begehrten auf:
›Xu Shen Po, das kannst du nicht machen. Du gehörst hierher, und es ist schon schlimm genug, dass du nach Wudang gehen willst. Dort haben