Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
schüttelte er den Kopf.
›Es ist allein meine Schuld, und ich muss mich dafür verantworten.‹
Er hob den Blick.
›Vor dir, vor meinem Herrn und vor ihm‹, dabei nickte er mit dem Kopf in die Richtung des Davonschreitenden.
Seine Augen zeigten einen Kummer, den ich nicht begreifen konnte.
›Das verstehe ich nicht. Ich habe aus Unverstand einen Fehler begangen, und für den kannst du doch unmöglich verantwortlich sein.‹
›Oje, Sie verstehen noch nicht viel von dem, was diese Gesellschaft ausmacht‹, warf van Neyenrode ein. ›Er hat vom Daimyo die Verantwortung für Sie übertragen bekommen. Er bürgt also mit seinem Leben für Ihre Sicherheit.‹
Ich schluckte und ich blickte in der Hoffnung, dass all das nur ein schlechter Scherz sei, von einem zum anderen. Doch es stimmte, und mir waren in diesem Moment noch nicht einmal alle möglichen Konsequenzen bekannt.
›Was kann ich tun, um das Unheil, dass ich angerichtet habe, wieder gutzumachen?‹
›Du kannst und musst gar nichts unternehmen. Ich bin dafür verantwortlich und werde auch dafür geradestehen.‹
›Aber ...‹, ich wurde mit einer wegwischenden Geste von Katakura Shigenaga unterbrochen. ›Nicht jetzt und hier! Wir gehen zurück zum Anwesen, und wenn der Fürst da ist, wird alles weitere besprochen.‹
Er wandte sich noch einmal kurz an den Holländer.
›Ich denke, alles Notwendige ist gesagt. Sollte es Neuigkeiten geben, werden wir Sie informieren.‹
Cornelis van Neyenrode nickte zur Bestätigung und sagte bedrückt zu mir:
›So viel zu dem Gedanken, dass Sie hier sicherer sind als in Ihrer Heimat. Ich hoffe, es geht alles gut aus und wir sehen uns noch einmal wieder.‹
Er nickte mir zu und entfernte sich.
Ich schaute ihm hinterher, und in meinem Kopf ging alles wirr durcheinander. Doch Shigenaga drängte zum Aufbruch. Ich wollte mit ihm über das Geschehene sprechen, doch er winkte nur mürrisch ab. Bedrückt folgte ich ihm und hing, im Gästezimmer seines Hauses allein gelassen, meinen Gedanken nach. Doch ich kam zu keinem Ergebnis. Ich verstand nicht einmal vollständig, was eigentlich geschehen war. Um diesen ziellosen Grübeln zu entgehen, versenkte ich mich in Meditation.
Es war Abend geworden, als ich von Katakura Shigenaga abgeholt wurde. Ohne dass er sich auf ein Gespräch einließ, führte er mich zum Empfangsraum des Fürsten. Als wir den Raum betreten hatten, bedeutete er mir, dass ich warten sollte, und ging allein nach vorn. Dort fiel er auf die Knie und sprach in traurigem, unterwürfigem Ton mit Date Masamune. Dessen Miene wurde bei jedem Wort ernster, und schließlich scheuchte er ihn mit einer unwirschen Handbewegung zur Seite und winkte mich heran.
Nachdem ich, wie ich es gelernt hatte, nach vorn gekommen war, übersetzte Shigenaga seine Worte ohne mich dabei anzusehen.
›Ich bin bestürzt! Mein Diener hat kläglich versagt, und er muss nun für seine Fehler geradestehen! Ich bin sehr betrübt, dass Sie wegen dieser Unachtsamkeit in Gefahr gekommen sind. Aus diesem Grund werde ich vorläufig auch nicht erlauben, dass Sie dieses Gelände verlassen.‹
Abweisend hatte er Shigenaga beobachtet, bis dieser mit der Übersetzung fertig war.
›Doch nun zu einem wichtigeren Thema.‹
Ich riss erstaunt die Augen auf. Was sollte wichtiger sein als das eben Angesprochene.
›Das Gespräch mit dem alten Shogun verlief so, wie Sie es erwartet haben, und er war zufrieden mit dem Verlauf der Mission. Aber leider wurde ich nach der Audienz, als ich schon den Rückweg antreten wollte, von einem Diener seines Sohnes abgefangen. Tokugawa Iemitsu hatte erfahren, dass ich zuerst bei seinem Vater Bericht erstattet hatte, und schäumte vor Wut. Er ließ eine andere Audienz absagen, und ich musste sofort bei ihm vorsprechen.‹
Ich folgte Masamunes Worten mit immer größerem Unbehagen. Dass er jetzt über solche Dinge sprechen wollte, konnte ich nicht verstehen. Für mich war es viel wichtiger, wie die missliche Lage, in die mein Beschützer durch mich gekommen war, entschärft werden konnte. Ich musste allerdings auf die Wünsche des Fürsten eingehen, denn links und rechts an den Wänden saßen andere Samurai und verfolgten das Geschehen.
Masamune hatte erklärt, dass der amtierende Shogun durch die Art des Berichtes zwar besänftigt wurde, doch das er offen Zweifel am Wahrheitsgehalt anmeldete. Er zweifelte die Kampftauglichkeit der Shaolin-Mönche an, und das war schon fast eine Beleidigung des Daimyo. Irgendwie hatte Iemitsu von meiner Anwesenheit erfahren und wollte, weil er mich für einen dieser Mönche hielt, eine Vorführung von mir haben. Da ich aber Masamunes Gast war, wollte dieser das nur zugestehen, wenn ich mich damit einverstanden erklärte.
Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass er eine solche Wahl hatte, und fragte deshalb:
›Können Sie denn diesen Wunsch ablehnen?‹
Kopfschüttelnd antwortete er:
›Das ist kein Wunsch, das ist eine Aufforderung, der ich eigentlich nachkommen muss. Da Sie aber mein Gast sind, bin ich nicht bereit, es ohne Ihr Einverständnis zuzulassen, egal, was für Konsequenzen es hat.‹
Na prima, er sagte, er wolle es nicht zulassen, wenn ich nicht will, und setzte mich gleichzeitig unter Druck, indem er mir kundtat, dass es Konsequenzen für ihn haben würde. Außerdem nahm ich Bilder aus Shigenagas Gedanken wahr, die mich beängstigten. Wie ich erkannte, sah er sich schon in einen Schwertkampf mit dem Polizeipräfekten verwickelt, dem er sich offenkundig unterlegen fühlte.
Nachdenklich senkte ich den Kopf und suchte nach einer Lösung aus diesem Dilemma. Eine Bewegung des Fürsten veranlasste mich, hochzuschauen, und ich bemerkte seine Ungeduld. Ich holte schon Luft, um mein Einverständnis zu dieser Schaustellung zu geben, als mir ein Gedanke kam. Ein kurzer Blick in Shigenagas bedrücktes Gesicht, und ich wusste, was zu tun war.
›Wie sehen die Folgen aus, die Katakura Shigenaga wegen meiner Unachtsamkeit zu erwarten hat?‹
Stille! Mein Beschützer wagte es nicht, das zu übersetzen, und schaute mich bestürzt an.
›Übersetz es bitte.‹
Er schwieg immer noch.
›Keine