Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Fürsten in die Mitte genommen, so dass mich die Blicke der Neugierigen kaum erreichten.
Zwei Träger mit einer Sänfte und eine Eskorte eilten herbei. In dem Moment verstand ich erst, warum es so lange gedauert hatte, bis wir von Bord gegangen waren. Der Fürst musste sich standesgemäß zu seiner Residenz in Edo begeben, weshalb er die Ankunft der Sänfte abwartete.
Nachdem Date Masamune in der Sänfte Platz genommen hatte, setzte sich unser Zug in Bewegung. Durch meine Position in dieser Prozession konnte ich fast nichts von der Umgebung wahrnehmen, und nach einer Weile gab ich es auf, die Dächer der meist einstöckigen Gebäude anzustarren.
Eine halbe Stunde mochte der Marsch durch die engen Straßen und Gassen gedauert haben, als wir das nahe bei der Burg des Shogun erbaute fürstliche Anwesen erreichten. Wir folgten eine Weile dem Kanal, der die Burgmauer umfloss, und bogen schließlich in das Anwesen des Daimyo ein. Masamune verließ die Sänfte, wurde von seinem Hofstaat empfangen, und der Zug löste sich auf. Katakura Shigenaga kam zu mir und forderte mich auf, ihm zu folgen. Wir gingen auf ein nicht weit entferntes kleineres Gebäude zu, und Shigenaga erklärte mir, dass es sein Haus sei. Mit Stolz wies er darauf hin, dass er auf Grund seiner hervorragenden Stellung, die er bei seinem Herrn innehatte, im Anwesen des Daimyo wohnen durfte, wenn er sich in Edo aufhielt. Wir betraten das Gebäude durch einen mit vielen Schnitzereien verzierten Eingang, und ich wurde in das Gästezimmer geleitet. Dort verließ er mich, um seine Angehörigen zu begrüßen.
Verunsichert ließ ich mich in der Mitte des Raumes in Meditationshaltung nieder, um zur Ruhe zu kommen. Doch es dauerte nicht lange, als eine junge Frau die Tür öffnete und mich durch Zeichen bat ihr zu folgen. Wir begaben uns zu einen kleineren Gebäude, das als Badehaus genutzt wurde. Dort befand sich ein großer Zuber mit warmem Wasser, und frische Kleidung lag für mich bereit. Nachdem mir meine Begleiterin dies begreiflich gemacht hatte, verließ sie mich, und ich begann mich ausgiebig zu reinigen. Ein wenig unschlüssig stand ich vor der Kleidung, doch eingedenk der Erfahrungen, die ich bei meiner Ankunft in Shaolin gemacht hatte, legte ich sie an. Es war ungewohnt, und ich hatte einige Probleme damit. Unschlüssig, was nun zu tun war, öffnete ich die Tür, und sofort erhob sich die junge Frau, die auf der kleinen Terrasse gewartet hatte. Mit einer freundlichen Geste forderte sie mich auf, ihr zu folgen. Bevor wir Shigenagas Haus durch den Gästeeingang wieder betraten, zog sie ihre Reisstrohsandalen aus. Ich folgte ihrem Beispiel, was sie mit einem freundlichen Lächeln quittierte. Meine Begleiterin ging am Gästezimmer vorbei und geleitete mich zum Empfangsraum. Dort blieb ich, meine Umgebung musternd, stehen. Mir gegenüber, am anderen Ende des Raumes, saß mein Dolmetscher auf einem kleinen Hocker, rechts neben ihm ein junger Samurai und auf der anderen Seite eine Frau mittleren Alters. Mit ihr hatte er sich gerade unterhalten, als er zu mir aufblickte.
Kurz auflachend winkte er mich zu sich heran.
›Oje, ich muss dir wirklich noch viel beibringen und erklären.‹
Er deutete auf einen Platz vor sich und forderte mich zum Sitzen auf. Der junge Mann neben ihm machte ein erstauntes Gesicht, und seine Hand zuckte schon in Richtung seiner Schwerter. Katakura Shigenaga bemerkte es und wies ihn barsch zurecht. Nach einem kurzen Wortwechsel wurde ich ein wenig freundlicher, doch forschend gemustert. Der Herr des Hauses wandte sich wieder mir zu und sagte:
›Du musst das Verhalten meines Sohnes entschuldigen, dieser formlose Umgang mit einem anscheinend dem niedrigsten Stand Angehörigen ist für ihn ungewohnt. Ich habe ihm gerade erklärt, dass du keineswegs das bist, was er vermutet. Nach meinen Erklärungen hält er dich jetzt für einen Sohei. So werden bei uns die Kriegermönche genannt. Das kommt dem, was du bist, ja auch am nächsten, und vom Stand her stehen diese Männer nur wenig unter den Bushi. Ich habe ihm erklärt, dass du Date Masamunes und mein Lebensretter bist. Aber ich glaube, am meisten hat ihn beeindruckt, dass ich sagte, dass du ein weit besserer Krieger bist als die meisten Samurai, die er kennt.‹
Ich holte Luft und setzte zu einer Erwiderung an, doch er unterbrach mich.
›Ich weiß, dass du das nicht magst‹, fuhr er lächelnd fort. ›Aber du musst bedenken, dass bei uns andere Werte gelten, und ich habe auf keinen Fall gelogen.‹
Damit war für ihn das Thema abgeschlossen, und er deutete auf den jungen Mann.
›Also, das ist mein Sohn Yoshimoto‹, ich neigte das Haupt vor ihm, und er grüßte zögernd zurück.
Shigenaga wandte sich nach der anderen Seite und deutete auf die Frau.
›Und das ist seine Mutter, meine Konkubine.‹
Auch sie begrüßte ich auf die gleiche Weise, und lächelnd neigte sie den Kopf.
›Eine meiner Töchter hast du ja auch schon kennen gelernt‹, er deutete zum Eingang und zeigte auf die junge Frau, die sich dort niedergelassen hatte.
Ich wandte mich um und erntete eine höfliche Verbeugung.
›Nun, in meinem Haus und wenn keine anderen Personen anwesend sind, ist es nicht notwendig, einen förmlichen Ungang zu pflegen. Wir können so zwanglos wie auf dem Schiff miteinander umgehen, doch nun muss ich dich in einigen Regeln und Ritualen unterweisen.‹
Er sprach kurz mit seinen Familienangehörigen, und nachdem seine Tochter uns Tee gereicht hatte, verließen sie uns.
Als wir allein waren, erklärte er mir, dass diese drei die einzigen engen Familienangehörigen seien, die sich in Edo aufhielten. Alle anderen, darunter auch seine Frau, befanden sich in Sendai.
Nach dieser kurzen Einleitung begann er mich darüber aufzuklären, wie ich mich im Anwesen des Daimyo zu verhalten hätte. Bei dieser Gelegenheit setzten wir auch meinen Sprachunterricht fort. Das Erlernen der japanischen Sprache gestaltete sich etwas leichter als der erste Sprachunterricht, den ich in meinem neuen Leben bekommen hatte. Zum einen lag es daran, dass mein Lehrer diesmal das Chinesische, in dem wir uns gut verständigen konnten, zur Erklärung nutzte. Zum anderen fiel es mir sehr viel leichter, weil ich gleichzeitig seine Gedankenbilder wahrnahm. Das Wort hatte also ein Bild oder besser gesagt, eine Gestalt, wodurch es sich mir besser einprägte.«
Fehlverhalten mit Folgen
»Der erste Tag, den ich in Japan zugebracht hatte, war relativ ereignislos vergangen. Am nächsten Vormittag war ich noch