LiebesTaumel. Axel Adamitzki
er auch nicht vorgehabt, sich das heute dort anzusehen.
»Uns?«, sagte Vivian mit großen Augen.
»Ja, mit mir haben noch zwei junge Kolleginnen angefangen.«
»Aha. Jung und hübsch?«
»Jung und hübsch.«
»Und warum bist du dann gestern überhaupt zurückgekommen?«
Wusste sie das nicht mehr? Die Enttäuschung in Clemens wuchs beständig, riss eine erste kleine Wunde auf.
»Weil ich mit dir feiern wollte. So, wie wir es uns am Morgen vorgenommen hatten. Ich erinnere mich, dass du dich darüber sehr gefreut hast, ich erinnere mich auch, dass du mir schreiben wolltest, wenn es etwas Wichtiges in deinem Leben geben würde. Doch ich hab nichts von dir gehört. Aber halt! Das stimmt nicht. Eine Lüge hast du mir geschrieben: Ich kann heute nicht. Ich bin bei meiner Mutter. Vielleicht bleibe ich heute Nacht hier. Da warst du doch schon gar nicht mehr bei ihr, oder?«
Plötzlich war es kein Gespräch mehr, plötzlich schwebten Vorwürfe und Anklagen über dem Frühstückstisch, plötzlich wurde es ein Streit.
»Ah! Und jetzt habe ich alles verdorben, weil ich vom Tod meines Vaters gehört habe? Und obwohl ich ihn nie kennengelernt habe, mir gestern Abend ganz sicher nicht nach Feiern zumute war?« Was für ein ungerechter Vorwurf!
»Warum hast du mir das mit deinem Vater dann nicht einfach schon gestern geschrieben? Irgendetwas wie: Mein Vater ist tot, ich verstehe das alles nicht. Ich brauche ein wenig Ruhe. Das hätte gelangt. Ich wäre für dich da gewesen.«
»Ach ja, ich vergaß, du tust ja immer das Richtige.« Vivian nickte mürrisch, obwohl sie wusste, dass er nicht unrecht hatte – doch ließ sie diesen Gedanken jetzt nicht zu.
Und erbost fuhr sie fort: »Das habe ich eben auch ziemlich deutlich gemerkt, bei deinen Worten ... dass ich dir deine Karriere vorwerfen würde. So ein Unsinn!«
»Unsinn? … Warum habe ich dann das Gefühl, dass du ganz weit weg von mir bist? Warum?«
»Ich bin hier! Aber vielleicht bin ich ja nicht so, wie du mich gern möchtest. Das täte mir dann wirklich sehr leid.«
Jetzt war es wahrhaftig ein Streit! Zynisch, sinnlos, hässlich und sehr verletzend.
»Wie möchte ich dich denn?«
Vivian antwortete nicht, stand auf, ging zum Fenster, sah hinaus und sagte beiläufig: »Ich muss jetzt noch etwas erledigen. Sehen wir uns an diesem Wochenende noch?«
Sie wollte weg, wollte weg von ihm, das hatte er begriffen.
»Etwas erledigen?«
»Ja.«
Stille trat ein. Sie sagte nichts, machte keine Andeutung. Und zusehends entfernten sie sich tatsächlich voneinander, verrannten sie sich in ihren Verletzlichkeiten.
Clemens war enttäuscht und unnachgiebig, stand auch auf, ging zum Kühlschrank und stellte das Marmeladenglas hinein.
»Heute sind die Außenaufnahmen, und dann muss ich den Text lernen. Für Montag. Ich denke, ich werde keine Zeit mehr haben.«
Vivian drehte sich zu ihm hin und sah ihn an, anklagend und gleichzeitig auch ... ängstlich.
»Dann ist es wohl besser, wenn ich jetzt gehe.«
Clemens blieb am Kühlschrank stehen, sah sie ebenso vorwurfsvoll und ängstlich an, und er nickte nur.
Sekunden später war sie weg. Ohne einen Abschiedskuss, ohne ein weiteres Wort.
Ab und an waren sie auch in den letzten drei Jahren im Zorn auseinandergegangen, doch hatten sie noch nie einen solch tiefen, trennenden und vorwurfsvollen Streit gehabt.
Kapitel 5
Am nächsten Tag, es war ein ruhiger Sonntag, war das Wetter endgültig umgeschlagen. Die Sonne lag warm auf Bäumen, Büschen und Straßen und erfreute die Besucher der Strandpromenaden in Überlingen und an all den anderen Orten am Bodensee. Sie ließ zudem die Krokusse auf den Wiesen aufbrechen – über Nacht war es frühlingshaft geworden.
Eleonore Gräfin von Seestedten, die jüngere Schwester des Grafen zu Hohenberg, hatte ihre Familie zum Sonntagsmenü geladen. Und alle waren gekommen: ihr ältester Sohn Maximilian mit Frau und ihre Tochter Sandra mit Ehemann, Joachim Graf von Gerstein. Sogar Gideon, ihr Jüngster, noch unverheiratet, noch auf der Suche nach der Richtigen – wobei er keinen großen Wert auf das Finden legte –, war aus Berlin angereist.
Freiwillig war allerdings niemand von ihnen zu diesem Essen gekommen, doch Eleonore hatte sie alle in der Hand: Maximilian leitete die Bankfiliale in München, Joachim, ihr Schwiegersohn, war der Bankdirektor in Stuttgart. Mit ihren dreißig Prozent der Anteile konnte sie recht schnell für Veränderungen sorgen, und das wussten ihre Kinder. Und deshalb saßen sie hier.
Bei Gideon war es sogar noch einfacher, sie brauchte ihm nur den monatlichen Scheck über dreißigtausend Euro zu streichen, und schon wäre er mittellos gewesen, doch daran dachte sie nicht. Nein, sie liebte Gideon mehr als die anderen, denn er war wie sie – skrupellos und durch und durch egoistisch. Gideon war wirklich ihr Sohn, und mit ihm hatte sie noch viel vor. Die anderen beiden waren eher wie ihr Ehemann Gerold Graf von Seestedten, weich und harmlos.
Dr. Geller hatte ihr vorab keinen Einblick in das Testament ihres Bruders gewährt, also musste sie heute, während des Essens, ihre Kinder ›auf Kurs‹ bringen, wie sie es nannte.
»Es gibt da das Problem der Hohenberg-Stiftung. Ich befürchte, mein dummer Bruder hat einen Großteil seiner siebzig Prozent dieser Stiftung vermacht. Und mit diesem Geller ist nicht zu spaßen. Aber sollten wir am Ende zusammen neunundvierzig Prozent haben, können wir ihm das Leben verdammt schwer machen. Bei mehr als fünfzig Prozent hätte er kaum etwas zu sagen, doch daran möchte ich jetzt noch nicht glauben. Ihr wisst, ich bin eher vorsichtig.«
Alle sahen Eleonore enttäuscht an, denn alle hatten mit einem größeren Teil des Erbes gerechnet. Auch wenn sie nicht so hart waren wie sie, gierig waren sie allemal.
Doch die Hoffnung stirbt erst am Mittwoch, waren wohl ihre Gedanken.
»Ich habe gehört, es soll da auch so eine Bürgerliche geben, die am Mittwoch dabei ist«, sagte Maximilian, ihr ältester Sohn.
Eleonore winkte zynisch lächelnd ab.
»Das ist nur eine kleine Krankenschwester mit ihrer Tochter.«
»Ist diese Tochter nicht seine Tochter?«
»Unsinn. Es gab da mal so ein Gerücht. Und Sabine war so schlau gewesen, sich nie mehr zu rühren.«
Eleonore Gräfin von Seestedten hatte auch Sabine Schreiber in der Hand. Doch das wussten nur die beiden Frauen – und so sollte es auch bleiben.
»Und was, wenn er der Kleinen doch ein paar Millionen vermacht hat? Einfach so?«, fragte Sandra zwischen zwei Löffel Mousse au Chocolat.
Eleonore lachte erbost und gehässig. »Darum würde sich dann Gideon kümmern.« Und an ihren Jüngsten gewandt fuhr sie fort: »Sie soll ja sehr hübsch sein. Also hättest du auch noch ein wenig Spaß dabei.«
Gideon sah seine Mutter achtsam an.
»Ab welchem Betrag soll ich denn zum Einsatz kommen?«
Alle lachten.
»Um kleine sechsstellige Beträge kümmern wir uns nicht, außer die Kleine gefällt dir.«
»Und Beträge darüber ...?«
»... wirst du zur Bank zurückführen. Wir lassen uns nicht bestehlen. Zehn Prozent davon gehen dann selbstverständlich auf dein Konto.«
Gideon nahm die Hand seiner Mutter und küsste sie.
»Mama, du bist die Beste.«
Ihre