Schattendrache. Azura Schattensang
versammelt. Leises zustimmendes Gemurmel erklang.
„Wessen Schuld ist das? Sicherlich ist es nicht das Verschulden der hart arbeitenden Bevölkerung!“ Einige Menschen klatschten zaghaft. „Es ist die Schuld der Herrscher! Erst wurden wir von der harten Hand König Roderichs geknechtet und nun sitzt seine verschollene Nichte auf dem Thron und will uns weiß machen, dass ab jetzt alles besser wird?! Ich sage euch: Glaubt nicht an diese falschen Versprechungen! Nichts wird sich ändern, wenn wir nicht selbst dafür sorgen!“
Ein wütendes Raunen ging durch die Menge und Stimmen wurden laut. Plötzlich flog ein angebissener Apfel in Richtung des Podestes und verfehlte den Mann knapp.
„Ich weiß nicht, was du hier willst, aber Unruhe kannst du woanders stiften!“ Ein älterer Mann hob drohend die Faust und erhielt unterstützenden Jubel aus der Menge.
„Königin Aurelia hat in ihrer kurzen Amtszeit mehr für uns einfache Leute getan, als ihr uns in hundert Jahren versprechen könnt. Wir sollten dankbar für solch eine gütige Königin sein!“, rief eine Frau und erntete Applaus dafür.
„Pah!“, machte der Sprecher auf dem Podest und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Das Zeitalter der Könige ist vorüber! Ihr klammert euch an einen längst verblassten Traum!“
„Es wurden uns Änderungen versprochen und bisher wurden diese Versprechen eingehalten“, argumentierte ein anderer Mann.
„Und dann? Glaubt ihr wirklich, dass die Königin auch nur einen Zipfel ihrer Macht abtreten wird?!“, hielt der Sprecher dagegen. „Diese Königin ist genauso verschlagen wie alle anderen Monarchen. Mit diesen Versprechungen versucht sie nur uns – das Volk – ruhig zu halten, bis sie ihre Macht gefestigt hat!“
„Das stimmt nicht!“, schrie ein kleines Mädchen, welches auf den Schultern seines Großvaters saß. „Königin Aurelia ist gütig und mutig! Sie hat den Schattenkönig ganz alleine besiegt und damit den gesamten Kontinent gerettet!“
Die Menschenmenge stimmte dem Mädchen zu und weiteres verdorbenes Obst wurde dem Sprecher entgegen geworfen.
„Außerdem wird sie jemanden aus dem einfachen Volk heiraten!“, kam es von einer Gruppe von Frauen, welche sich synchron an die Brust fassten und verträumte Blicke miteinander tauschten.
Der Sprecher begann mit den Zähnen zu knirschen. „Das ist meine letzte Warnung!“, schrie er. „Löst euch von diesen Gedanken und schließt euch uns an! Wir sind die Menschen dieses Landes! Wir allein wissen, was gut für uns ist! Wir werden dafür sorgen, dass sich die Gesetze in diesem Land zu unseren Gunsten ändern!“
„Und das ist meine letzte Warnung!“, rief ein kräftiger Mann und sprang mit einem Satz auf das Podest. „Nimm die Beine in die Hand und lauf, wenn du weißt, was gut für dich ist. Wir wollen deine ketzerischen Worte nicht hören!“
„Das wird euch noch leid tun“, fauchte der Sprecher, als er sich unter Pfiffen und Buh-Rufen zurückzog.
Als die Sonne hinter dem Horizont verschwand und die Nacht endlich Einzug hielt, wussten die Dorfbewohner, dass es keine leere Drohung gewesen war. Noch in der gleichen Nacht brannte das halbe Dorf nieder.
Im Schloss war es dunkel und still. Seit der Abendmahlzeit waren einige Stunden vergangen und die meisten Bewohner hatten sich inzwischen auf ihre Gemächer zurück gezogen. Constantin war, wie so oft in den letzten Tagen, von einer inneren Unruhe ergriffen und schlenderte ziellos umher. Als er den Gang zu Aurelias Gemächern passierte, hielt er kurz inne. Er freute sich für sie, dass sie jemanden gefunden hatte, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Auch wenn es bei ihm eine Spur der Bitterkeit zurückließ. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er ihr niemals das hätte geben können, was sie am meisten brauchte.
Er musste Kyle dafür Respekt zollen, dass er Aurelia ins Leben zurückgeholt hatte. Wie auch immer er es angestellt haben mochte. Niemand schien Genaueres darüber zu wissen. Allerdings er hatte den Verdacht, dass Lillith, Raik und Aurelia sehr genau wussten, was geschehen war. Was auch immer die Gründe waren, weswegen sie sich darüber ausschwiegen: Er hegte kein Interesse daran dies zu hinterfragen. Das Wichtigste war, dass Aurelia lebte.
Außerdem hatte er im Moment Sorgen von ganz anderer Art. In seinem Nachlass hatte Meister Albion darüber verfügt, dass er – Constantin – sein Nachfolger und somit Führer des Ordens der weißen Zauberer werden sollte. Einerseits freute er sich darüber und fühlte sich geehrt, auf der anderen Seite war er sich nicht sicher, ob er der Verantwortung gerecht werden konnte. Immer, wenn er daran dachte, überfiel ihn eine gewisse Art von Panik und er begann rastlos umherzuwandern.
Die Hände in die Taschen seiner Hose gesteckt, ging er weiter. Den Blick auf den steinernen Boden gerichtet, nahm er kaum Notiz von seiner Umgebung.
Schließlich erreichte er den Gang zu seinem Zimmer und stieß beinahe mit Sharon zusammen, als er um die Ecke bog.
„Was zur...“, fluchte er und sah sie überrascht an. „Was machst du hier?“
„Das Gleiche könnte ich dich fragen“, schnappte sie und trat einen Schritt zurück.
„Ich musste mir mal die Beine vertreten“, grollte er und rieb sich den Nacken.
Sharon legte den Kopf schräg und musterte ihn eingehend.
„Dir geht es nicht gut. Das sieht man dir an“, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Vielen Dank für die Blumen.“ Er wollte an ihr vorbei gehen, doch sie hielt ihn fest.
„Möchtest du darüber reden?“
Erstaunt sah er sie an. „Solch ein Angebot ausgerechnet von dir? Sonst interessierst du dich doch auch nicht für die Belange anderer. Es sei denn, es handelt sich dabei um deinen Bruder oder Orias.“
Geräuschlos schnappte Sharon nach Luft und ließ ihn los. Wortlos schritt Constantin an ihr vorbei und hielt auf die Tür zu seinem Zimmer zu.
„Ich wollte mich lediglich für deine Hilfe während der Schlacht revanchieren“, rief sie ihm hinterher.
Ohne sich umzudrehen hob er eine Hand zum Dank und verschwand in seinem Zimmer. Nachdem er die Tür hinter sich ins Schloss fallen gelassen hatte, warf er sich auf das Bett und vergrub das Gesicht in den Kissen. Wie gern hätte er sich mit Aurelia unterhalten. Er vermisste sie. Sie war so nah und doch schien sie Meilen weit entfernt zu sein.
Aurelia saß kerzengerade auf dem schlichten dunklen Thron. Das Holz der Rückenlehne drückte ihr unangenehm in den Rücken. Der Thron war alles andere als bequem und sollte wohl die Schwere der Bürde der Herrschaft symbolisieren. Unmerklich rutschte sie auf dem Sitz nach vorne, während sie mit den Händen die Lehnen umklammerte. Der schwere Stoff ihres schwarzen Kleides raschelte leise bei der Bewegung. Noch immer trug sie die Farben der Trauer, um an die Gefallenen der Schlacht zu erinnern. Die Schrecken des Kampfes waren noch längst nicht verblasst und hatten im Volk tiefe Spuren hinterlassen. Um den Menschen ihre Anteilnahme zu zeigen, hingen die Flaggen im Schlosshof auf Halbmast. Auch Kyle, sowie sämtliche anderen Bewohner des Schlosses, waren stets in schwarzer Kleidung anzutreffen.
Inzwischen hielt Aurelia fast täglich Audienzen ab, um sich der Belange des Volkes anzunehmen. Neben all den wichtigen oder auch weniger wichtigen Dingen im Land, fand sich ein nicht enden wollender Strom an Menschen, die Aurelia gegenüber ihre Trauer bekunden oder ihr zu ihrer Verlobung gratulieren wollten. Doch im Vergleich zu der Nachricht, welche der alte Mann soeben verkündet hatte, nahmen sich alle anderen Anliegen als dekadente Spitzfindigkeiten aus.
Aurelia biss sich auf die Lippen, während sie den Resten seiner Ausführung lauschte. Wie sie bereits befürchtet hatte, war die Rebellion im Land längst nicht zum Stillstand gekommen. Offensichtlich suchten die Rebellen nach