Galaxy Kids 2. Lars Burkart
„Nichts, nichts. Hier muss doch irgendetwas sein“, beeilte sie sich viel zu schnell sich zu erklären.
„Hier ist nichts. Hier gibt es nur gähnende Leere.“
Jenni begann ihre Instrumente zu checken. Sie tat das nicht aus einer besonderen Angst oder einem unguten Gefühl heraus. Sie musste etwas tun. Sie fürchtete sonst den Bezug zur Realität zu verlieren. Nach kaum einer Minute in diesem Raum ging bereits ihr Zeitgefühl flöten. War es eine Minute?
War es weniger?
Mehr?
Die Triebwerke liefen einwandfrei. Der Sauerstoffvorrat lag bei mehr als neunzig Prozent, der Energievorrat war knapp darunter; sie waren also wirklich noch nicht allzu lange hier.
So was, sie hätte schwören können, schon viel länger hier zu sein. Wie man sich doch täuscht. Zufällig stolperte sie über eine Einstellung in ihren Instrumenten, die sie bisher noch nicht entdeckt hatte. Timer nannte sie sich. Und war genau das, was der Name versprach. Vor ihren Augen liefen zwei Zeitangaben ab. Die eine war die bisher verbrachte Zeit im Hyperraum. Eine Minute, zwölf Sekunden. Die andere war die noch verbleibende Zeit. Drei Minuten und achtundvierzig Sekunden.
Warum noch so lange? Hatte Oxo nicht gesagt der Hyperraumflug wäre so gigantisch schnell? Sie beschloss ihn bei nächster Gelegenheit zu fragen.
Jetzt wusste sie wenigstens woran sie war. Und nachdem sie das Nicole gesagt hatte, wurde auch diese ruhiger.
Genau drei Minuten und achtunddreißig Sekunden später begann ein mündlicher Countdown abwärts zu zählen.
„Zehn, neun, acht …“
Auch auf dem Display lief die Zahlenreihe runter.
Bei drei wappneten sie sich für den Sprung.
„Zwei, eins. Verlassen des Hyperraums. Jetzt.“
Diesmal geschah der Übergang wesentlich auffälliger. Mit einem heftigen rucken begann es. Ihre Körper fühlten sich für einen Moment ungeheuer schwer an, als wögen sie eine Tonne, obwohl sie eigentlich schwerelos waren. Dann wurde aus der Schwärze des Hyperraums das normale All. Sterne kehrten zurück. Die Sonne. Die Planeten und ihre Monde. Alles war wieder da.
„Ausweichen“, schrie Jenni unvermittelt.
Nicole überlegte nicht. Instinktiv lenkte sie eine scharfe Rechtskurve. Haarscharf ging der Laserbeschuss links an ihr vorbei. Jenni machte dasselbe, in entgegengesetzter Richtung. Auch an ihr ging der Beschuss knapp vorbei. Fast bildete sie sich die Hitze des Geschosses ein. War nicht ihre rechte Seite eine Spur heißer geworden?
„Verdammter Mist, was ist denn …“, weiter kam sie nicht. Ein neuerlicher Beschuss zwang ihr eine weitere Kursänderung auf.
Zum umsehen blieb keine Zeit. Schon kam der nächste Beschuss.
Was ist hier los? Warum …?
Laut Oxos Berechnungen sollten sie sich einen knappen Meter neben dem Generator befinden. Dort, so vermutete er, würden sie in einem für die Verteidigungssensoren toten Winkel stecken. Na gut, es war nur eine Vermutung gewesen. Aber was hier geschah, war etwas völlig Anderes. Klammheimlich hatten sie auftauchen wollen, stattdessen steckten sie inmitten einer Schlacht. Und bisher nicht einmal einen Wimpernschlag Zeit zur Orientierung.
Schon wieder so ein wildes Ausweichmanöver, diesmal schützte sie nur ein steiler Aufstieg vor einem Treffer. Was ist denn hier nur los?
Unter all den Ausweichmanövern erhaschten sie endlich einen Blick. Es war erschütternd. Sie waren nicht bei dem Generator herausgekommen.
Jenni schätzte die Entfernung auf etwas mehr als einen Kilometer. Nicht wirklich viel … aber unter dem Dauerfeuer …
Sie richtete sich aus, tarierte ihren Flug, durch die schnellen, überhasteten Manöver war sie leicht ins schlingern geraten. Erst einmal auspendeln! Durchatmen!
Auch Nicole versuchte Ruhe in ihre Bewegungen zu bringen. Den Generator aus den Augenwinkeln beobachtend, hielt sie Ausschau nach Jenni. Sie waren ein gutes Stück voneinander entfernt. Nun näherten sie sich langsam wieder an.
„Alles okay bei dir?“
„Ja, verdammt. Das war knapp.“
Knapp war gar kein Ausdruck. Es war auch noch lange nicht vorbei. Noch während sie sich aufeinander zu bewegten, wurden sie beschossen. Die Anzüge erwiesen sich als goldrichtig. Mit ihren Jägern wären sie niemals so flink gewesen.
Dann stoben sie wieder auseinander. Schließlich mussten sie noch eine Strecke von etwa tausend Metern überwinden. Sie flogen auf den Generator zu, aber nicht in einer geraden Linie. Sondern in Schlängellinien. Im Zickzack. Immer wieder scherten sie mal in die eine Richtung, dann wieder in die andere aus. Schnell kamen sie näher. Aber je weniger Abstand zwischen ihnen und dem Generator war, umso weniger Zeit blieb ihnen zum ausweichen. Irgendwann war es nicht mal mehr der Bruchteil eines Wimpernschlages. Ihre Aufmerksamkeit genügte dafür längst nicht mehr. Es wäre Wahnsinn gewesen, sich auf die eigenen Sinne zu verlassen. Sämtliche ihrer Verteidigungssysteme waren im Einsatz. Es war trotzdem viel, viel zu knapp.
Dann hatten sie das Stückchen hinter sich. Und der Generator stellte den Beschuss ein.
„End … lich“, stöhnte Jenni außer Atem. Bisher war es eine gewaltige Kraftanstrengung gewesen. Vor kurzem hatte sogar die Anzugheizung den Betrieb eingestellt, ihr Körper produzierte wirklich genug Wärme.
Auch Nicole war außer Atem. Sie schwitzte. Ihre Haut klebte und rieb unangenehm an der Innenseite des Anzugs. Sie sagte aber kein Wort, sondern versuchte eben an den Generator anzudocken.
Schnell begann sie die störrischen Handschuhe zu verfluchen. Mit den Dingern konnte sie einfach keinen Halt finden. Die Finger ließen sich nicht schnell genug schließen, um sich irgendwo festzukrallen.
„Verfluchte …“, kam es von ihr.
Jenni hatte ihr dabei zugesehen. Sie war ein kleines Stückchen hinter ihr, schwebte dort und blickte ihr über die Schulter. Erst allmählich merkten sie, dass sie schwebten. Natürlich konnten sie das, sie waren ja im All, im schwerelosen Raum. Aber bisher hatten sie das verdrängt. Zuerst hatten sie sich verteidigen müssen, jetzt mussten sie den Generator zu fassen kriegen. Da blieb für so etwas einfach keine Zeit.
„Langsam, Nicole! Langsam!“
Ja doch.
„Nimm die Triebwerke zu Hilfe! Mit denen kannst du langsam darauf zu steuern.“
„Ja doch“, aber in Gedanken schimpfte sie sich eine blöde Kuh. Bisher hatte sie immer mit einem einmaligen Schub navigiert, mit dem Ergebnis viel zu schnell zu sein. Schön blöd. Was sie brauchte war ein konstanter, minimaler Schub. Um dann mit gleichbleibender Geschwindigkeit …
Mit gerade einmal zehn Zentimetern in der Sekunde flogen sie auf den Generator zu.
Es dauerte nur drei Sekunden, bis sie einen weiteren Versuch wagen konnten. Diesmal klappte es. Trotz der sperrigen Handschuhe gelang es ihnen etwas zu greifen. Sofort stoppten sie die Triebwerke, nicht das sie sich selber wieder losrissen. Erst dann blickten sie sich genauer um. Und jauchzten vor Freude. Sie hatten buchstäblich einen Glücksgriff getan. Und was für einen. Sie waren an einem Öffnungsgriff für die Wartungsschleuse gelangt. Beide begannen zu lachen, hörten die jeweils andere freilich nur über die Comm, es tat aber dennoch gut sich selbst und die Freundin so herzlich lachen zu hören. In den letzten Sekunden seit sie den Hyperraum verlassen hatten, wurde ihnen ganz schön eingeheizt. Jetzt platzte es aus ihnen heraus.
„Okay“, begann Nicole, immer noch laut lachend. „Wie weiter?“
Jenni musste sich auch erst fangen. Kurz überlegte sie, ob das eventuell von einem Sauerstoffmangel kam. Aber nein, es war genug vorhanden, nicht einmal die Hälfte war verbraucht. „Ich weiß nicht genau“, begann sie endlich, „sollen wir auf die anderen warten oder versuchen wir’s allein?“
„Ausgemacht