Der Krieg. Barbara E. Euler

Der Krieg - Barbara E. Euler


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versuchen würde. Es war Teufelszeug, Tobi hatte es getan, der schwarze Sklave, den man ihnen eines Tages gebracht hatte, tödlich geschwächt von einer Krankheit, die nicht zu heilen war – Heimweh. Er hatte ihre Nähe gesucht. Er hatte sie erkannt mit ihren Gaben. Er hatte ihr gezeigt, wie man mit Worten und Gesang tröstlichen Schlaf bringt. Sie hatte gelauscht, erschrocken und entzückt, hatte wohl auch daran gedacht, es ihm gleichzutun, doch sie wusste: Der pechschwarze Mann war des Teufels. Ihn aufzunehmen, war Christenpflicht, doch wer seinen Lehren anhing, war der Hölle gewiss. Und jetzt war sie hier und ihre Zunge und ihr Herz liefen über von dem heilenden Gesang, der in ihr gewesen war die ganze Zeit. Die ganze Zeit. Für diesen einen Augenblick. Und Lelle wurde ruhig, seine Gesichtszüge entspannten sich und die Lider wurden ihm schwer. „Danke, Tobi“, flüsterte Goedele, als sie ihren Bruder behutsam aus den Kleidern schälte.

      Lelle schlug die Augen auf. „Nimm... das… hier…“. Er versuchte etwas unter dem leinenen Hemd hervorzuziehen, doch er war zu schwach. Goedele ergriff seine Hand und half ihm, während unablässig der weiche Singsang aus ihrer Kehle strömte. Ihrer beider Hände ertasteten eine lederne Kapsel, die an einem Riemen um seinen Hals hing. Goedele öffnete die Kapsel. Sie enthielt ein gesiegeltes Schreiben der Königin. „Zeig es… den Wachen…“, wisperte Lelle matt, „… verlier… es nicht…“. Goedele nickte und verstaute den kostbaren Passierschein wieder in der Kapsel und nahm Lelle das Kleinod behutsam ab und streifte den Riemen über ihren Kopf. Dabei fasste sie an das grobe Holzkreuz um ihren Hals, an dem man die Mitglieder des Ordens genauso gut erkannte wie an ihrem Habit. Hastig riss sie es ab und berührte damit behutsam Lelles schweißnasse Brust unter dem Leinhemd. Gott segne dich. Gott segne dich. Dann legte sie das Kreuz auf das Skapulier am Boden. Sanft breitete sie den dicken Umhang über den in seinem weißen Untergewand daliegenden Ritter.

      Lelle versuchte den Kopf zu schütteln. „Du… brauchst ihn“, hauchte er. Goedeles Augen brannten, während sie die grobleinene Tunika ablegte und in Beinkleider, Gambeson und Stiefel schlüpfte. Steh uns bei, Herr. Steh uns bei.

      Der Gambeson war weich gepolstert und warm. Sie zog die Schlaufen über ihrem Körper fest, der schmal war wie der eines Knaben, und schnürte die Stiefel. Langsam hob sie jetzt den schützenden, weit wallenden, schweren Umhang vom Körper ihres Bruders und hüllte sich hinein. Dann erstarb ihr Gesang. Es war vollbracht.

      Sie stellte ihr irdenes Fläschchen neben Lelle auf die Chorbank. „Danke“, sagten seine Augen. Goedele richtete sich auf, das zusammengeknüllte, nasse Skapulier mit dem Kreuz unter dem Arm. „Begrab es…“ brachte er kaum hörbar hervor. Sie nickte.

      Die Zwillinge sahen einander ein letztes Mal an. Lelle bewegte die Lippen.

      Drei Worte. Komm schon. Nur noch drei Worte. Das kannst du. Für sie kannst du das.

      „Geh nach Norden!“, sagte er endlich, sehr deutlich und sehr fest. Dann schloss er die Augen.

      Sacht machte Goedele ein Kreuzzeichen auf seiner Stirn. Dann zog sie die Kapuze über ihr feines Antlitz und trat ins Freie. Auf dem Friedhof war ein frisches Grab. Entschlossen schob sie die weiche, sandige Erde beiseite, legte ihr Habit hinein und häufte die Erde wieder darüber.

      Der Regen hatte aufgehört und eben brach ein erster Sonnenstrahl durch die Wolken. Goedele erhob sich von dem Grab und schritt durch das Friedhofstor hinaus.

      Der Pfarrer kam aus der Sakristei zurück. Agnes war verschwunden. Der Ritter lag bewegungslos, im weißen leinenen Untergewand. Durch die bunten Glasfenster fiel ein Sonnenstrahl auf sein lächelndes Gesicht.

      Zweites Kapitel

      „Nicht jetzt…“, keuchte Herigold. Das Kaminfeuer, das sich in seinen dunklen Augen spiegelte, funkelte hell wie die lodernden, reinigenden Scheiterhaufen, die man jetzt allenthalben im Lande sah. Im Land des Südens. Seinem Land - bald schon. Herigold sog genüsslich die Luft ein, die nach Wein und kostbarem Räucherwerk duftete. Und nach Jolanthe. Seiner Gespielin. Seiner Königin. Ihre Haut auf seiner. Heißer als das Feuer machte sie ihn glühen. „Nicht jetzt!“ stieß er hervor, lauter jetzt, als es wieder an die schwere, geschnitzte Türe des Gemachs klopfte. Das Klopfen mischte sich mit dem seines Herzens, das schnell und immer schneller schlug und den treibenden Rhythmus ihrer Bewegungen vorgab, schneller, schneller, bis das Glück in ihm explodierte und Königin Jolanthe erfüllte und sie beide reglos liegenblieben.

      Im Gemach unter ihnen versuchte König Andurkan nicht auf das Keuchen zu hören. Aber jetzt klopfte es oben laut an die Türe. Mühsam setzte Andurkan sich in den Kissen zurecht. Man hatte ihm ein Gemach zu ebener Erde eingerichtet. Nach seiner Verwundung in der ersten Angriffsschlacht gegen die Nördlichen Lande hatte er lange gebraucht, um wieder laufen zu können. Er würde niemals wieder ein Pferd besteigen, hatten die Ärzte gesagt. Und was Jolanthe zu Recht von ihrem Gemahl forderte, er würde es ihr nicht mehr geben können. Nie mehr.

      Sie waren einander versprochen worden, als Jolanthe noch ein Kind und er ein junger Knabe war. Füreinander bestimmt waren sie gewesen, zwei Seelen wie eine, zwei Herzen so stark und treu, einander so wie ihrem Land, auf immer.

      Von allen Wunden diese.

      Über ihm hämmerte es erneut gegen die Tür der Königin. „Unak?“ Von der Matte vor seiner Bettstatt schoss ein Mann hoch. „Sieh nach, wer das ist!“ Lautlos glitt der kräftige Leibwächter zur Tür. „Nein – bleib…“ sagte Andurkan leise. Spionieren war seine Art nicht. Er bevorzugte den Kampf mit offenem Visier. Mit unruhigen Händen fuhr er sich durchs Haar, während im wachsenden Licht eine weitere schlaflose Nacht in einen neuen namenlosen Tag hinüberglitt. Jolanthe war die Königin dieses Reiches und konnte tun und lassen, was sie wollte. Er war nur ihr Gemahl.

      Andurkan schloss die Augen.

      Wie durch einen Schleier sah er endlich auf das erste Licht des heraufziehenden Tages hinter den bunten Bleiglasfenstern. Was geschehen war, war geschehen und er hatte gehandelt, wie es eines Herrschers geziemt. Eines Tages würde er es akzeptiert haben. Eines Tages, vielleicht.

      Langsam schob Andurkan die reich bestickten Decken aus Wolle, Pelz und Atlas beiseite. Vorsichtig stand er auf und besprengte sein Gesicht mit dem klarem, kaltem Wasser, das Unak in eine Porzellanschüssel gegossen hatte. Da pochte es leise an die Tür. Wie alle Morgen kamen vier Kammerdiener, den König anzukleiden, weil es die höfische Sitte verlangte. Mit einem Wink schickte Unak sie wie alle Morgen fort. Sein König ertrug das nicht mehr.

      Andurkan legte sein Nachtgewand ab und schloss die Bruech um seine Lenden, von niemandes Blick berührt. Unak sah aus dem Fenster. Unak, der über ihm gewacht hatte, als er in schweren Fiebern lag wie nicht von dieser Welt, hinüberzusegeln bereit; Unak, der ihn gehalten hatte. Unak, der ihn verstand. „Manchmal wünschte ich, du wärst es, mit dem Jolanthe…“, brach es aus ihm heraus. Unak drehte sich zu ihm herum. „Schsch…“, machte er und legte Andurkan seine starke, warme Hand auf die Schulter.

      Andurkan spürte, wie unter der Berührung sein heftig schlagendes Herz ruhig wurde. Er straffte sich. Wenn er aus dieser Kammer träte, würde er ein anderer sein. Nur Unak kannte ihn so. Für die Welt war er der König, mutig, stolz und unverzagt.

      Er zügelte das Zittern in seinen Händen, während er die samtenen Beinkleider anlegte. Bald würden glorreiche Zeiten anbrechen. Das schändliche Gewürm der Hexen und Teufelsanbeter krümmte sich unter der starken Hand des Gesetzes. Viel zu lange hatten sie triumphiert mit dunkler, zersetzender Macht. Hexer, Teufelsbuhlen, zwiegesichtige Zwillingsbrut… Jetzt wurden sie zerschmettert, vernichtet, ausgelöscht, allesamt und ohne Gnade, zu des Allerhöchsten Wohlgefallen, Die letzten Schlachten waren siegreich gewesen; die besten Ritter warfen sich für sein Land in den Kampf gegen die brutalen Ketzerbanden aus dem gottlosen Norden.

      Andurkan befestigte die Beinkleider an der Bruech. Seine Hände waren jetzt ganz ruhig. Großmeister Herigold, wenn auch bis zur Würdelosigkeit exzentrisch, war ein politisches Genie, milde gesagt, und sich der Loyalität des Klerikers zu versichern oberstes Gebot für einen König, der nicht so stark war wie er sich gab vor seinen Leuten. Jolanthe schätzte es wohl auch ganz richtig ein und tat, was sie für klug


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