Der Krieg. Barbara E. Euler

Der Krieg - Barbara E. Euler


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er Hemd und Tunika über den Kopf. Eine Weile nestelte er an seinem Gürtel, dann war es vorbei und er nickte Unak zu und ließ sich von ihm in die aus geschmeidigem Ziegenleder gefertigten Reitstiefel helfen. Dann trat er hinaus, hoch aufgerichtet und mit einem Lächeln.

      Im Gemach über ihnen zog Jolanthe Herigold ganz nah zu sich heran. Zu lange hatte der Geliebte im Nebenraum mit dem Boten beratschlagt. Ihr war kalt. Herigold strich ihr über die Wange und überließ sich dem Spiel ihrer feinen, reich beringten Finger. „Alles wird gut, Hoheit“, wisperte er ihr zu und berührte mit den Lippen den diamantenen Schmuck an ihrem Ohrläppchen, den er ihr geschenkt hatte nach ihrer ersten Begegnung. Selbst des Nachts trug sie ihn… Der Großmeister dehnte sich behaglich auf dem warmen Fell. Agnes würde ihm nicht mehr gefährlich werden. Wahrlich, zu manchen Zeiten, wenn seine hoch gestellten Compagnons die Dienste der Nonne schier über die Maßen genutzt und gepriesen hatten, hatte er sich mit wohligem Schauder der Verstrickung ergeben, geschmeichelt und erschrocken und vollkommen unfähig, dem allen ein Ende zu machen. Nun hatte die Hexe ihr Schicksal selber besiegelt. War weggelaufen, das debile Ding. War Freiwild jetzt. War immer Freiwild gewesen.

      Einem einfältigen Pfaffen war sie entwischt dank ihrer teuflischen Magie. Die Beichte hatte er ihr abnehmen wollen, hieß es. Herigold ließ seine warmen Finger über Jolanthes bereitwilligen Körper spielen und dachte voll Genugtuung an das Entsetzen in des Boten Augen, als der ihm mit Agnes’ Entlaufen auch deren schmählichstes Geheimnis verraten hatte, dass sie nämlich – der Himmel sei tausendfach gepriesen für seine ewig reichen Gnaden – ein Zwilling war, des Teufels eigene, widerwärtige Brut, der ewigen Verdammnis gewiss und zu erhaschen um jeden Preis. Auch den ihres Lebens, hatte der Bote fast tonlos der Oberin Worte widerholt.

      Heiliges Feuer hatte Herigold da in seinen Augen entfacht, und dem Boten Lob und Dankbarkeit für Schwester Oberin aufgetragen, deren Verrat, so versicherte er, der frommen Taten die allerhöchste war, denn er, Herigold, er allein, vermöchte die Verruchte der Höllen Feuer zu entreißen, indem er sie brennen ließe in reinigenden Flammen, brennen! Auf kostbares Pergament hatte der verehrte Großmeister seine huldreichen und gottgefälligen Befehle an das erschreckte Kloster gesetzt, mit leichter, sicherer Hand, und hatte sein Siegel darauf gedrückt und den Boten entlassen, zur nötigen Eile väterlich ihn mahnend.

      Die kleine Nonne würde nicht weit kommen, ohne aufzufallen. Es würde schnell vorbei sein.

      Mit geübten Fingern entlockte Herigold Jolanthe ein lang gezogenes Stöhnen. Alles war zum Besten geregelt. Während er sogleich seine Königin abermals mit dem höchsten Glück erfüllen würde, lief das Signalement der verruchten Hure bereits von Posten zu Posten durch das eben erwachende Land.

      Ein Zwilling, der aus einem Kloster kam… Herigold verzog das Gesicht. Das musste das Volk nicht wissen. Die Leute ängstigten sich schon genug. Und hatte er erst mal die eine, würd’ sich wohl auch die andere noch finden lassen und das Feuer zwiefach lodern machen, zwiefach! Aber gemach. Gemach…

      „Eine mächtige Hexe wird alsbald zu Fall gebracht werden, zu Ehren Gottes und unseres ehrwürdigen Königs Andurkan“, wisperte er der Königin in das kleine Ohr. Jolanthe nickte wohlig und sah ihn dankbar an. „Es wird ihm zu mächtiger Stärke gereichen im ganzen Land“, ergänzte der Kleriker ernst, „und Euch zu Ruhm und Ehre, meine Königin – doch gebt Acht“, er fuhr mit dem Finger ihre schöne Nackenlinie nach, „es ist unser beider Geheimnis. Verschont den siechen König mit dem Bösen und seid stark für zwei. Wenn’s erst vollendet ist, das fromme Werk, und die Ketzerin lodernd brennt, wird unser König siegreich triumphieren vor dem Volke.“ Jetzt endlich ließ der Kleriker mächtiges Verlangen in sich aufsteigen, um seine Königin galant zu beglücken. Das Schicksal hatte entschieden. Bei Tagesanbruch würde Agnes von den Hunden gehetzt werden.

      Drittes Kapitel

      Als die Sonne sich zum Abend neigte und ihr immer noch die meiste Zeit ins Gesicht schien, war Goedele endlich auf einen Pfad abgebogen, der nach rechts abzweigte, nach Norden. Bis dahin hatte sie ihre Hoffnung auf die festgestampfte Straße gesetzt, die unweit des Klosters vorbeiging, in zahllosen verspielten Windungen und Wendungen, erbaut vom alten König Rodewig und schrullig wie dieser. Die Straße war voller Leben gewesen, lärmig und bunt, hoch beladene Ochsenkarren, Marktweiber, krumm gebeugt unter riesigen Kiepen, Kinder, Hunde, Pferde, Herren hoch zu Ross in prachtvollen Gewändern und immer wieder Kriegsknechte mit ihren Lanzen, in losen Gruppen, lachend. Niemand hatte sie beachtet. Manchmal hatte sie innehalten müssen, um die baumelnden Ketzer zu betrachten, die am Wegesrand von den Galgen hingen. Bisweilen war sie an die kleinen Tafeln herangetreten, die der Sünder Vergehen auflisteten. Buhlschaft mit einer Hexe gehabt. Eine Hofstatt niedergebrannt mit dem Bösen Blick. Auf eine Heilige Hostie gebissen. Goedele war erschauert.

      Wer schon länger hing, hatte der Krähen Hunger gestillt. Goedele hatte sich die Knochen und die Gedärme besehen, die sie bislang nur erahnt hatte und erfühlt unter ihren empfindsamen Händen, wenn sie im Hospiz über die Leiber der Leidenden gestrichen hatte, um Schmerz oder Brüche zu ertasten oder Salben und Tinkturen aufzutragen. Ganz genau hatte sie hingeschaut. Einmal hatten zwei Krähen um eine frische Leber gestritten. Einmal hatte sie ein Herz gesehen.

      Als sie sich noch einmal nach dem Turm der Kathedrale umblickte, war er hinter dem Horizont verschwunden. Sie marschierte weiter, trotzig und treu, auch nun, da die Nacht sich senkte über diese neue Welt mit ihrem weiten Himmel, der so ganz anders war als das lichte Viereck über dem Kreuzgang; der sich weltenweit wölbte über sie hin und bis an die Enden der Erde reichte.

      Die Enden der Erde. Rasch befahl sie sich in Gottes Hand. Sie hatte die Bilder gesehen von den Sündern, die dort herabstürzten in gnadenlose, allesverschlingende Tiefen.

       Salve regina, mater misericordiae, vita, dulcedo, et spes nostra, salve! Ad te clamamus, exsules filii Evae. Ad te suspiramus, gementes et flentes in hac lacrimarum valle…

      Seit Stunden lief sie, doch nun drohten Hunger und Durst und der Schmerz in ihren Füßen sie zu bezwingen. Im Kloster hatten sie längst die Abendmahlzeit bekommen. Brot und Käse und ein Krug frischen Wassers auf dem großen eichenen Tisch des Refektoriums, die vertraute Stimme der Schwester Oberin, die den Schwestern im Schein einer Kerze aus dem Stundenbuch vorlas, während sie aßen, schweigend, wie die Klosterregeln es geboten…Mechanisch fingerte Goedele nach dem magischen Fläschchen, doch es war nicht mehr da. Natürlich nicht. Sie hatte es weggegeben. Es war…

      Nein! - - - NEIN!!!!

      Mit aller Gewalt hielt sie die hervorquellende Erinnerung nieder, dass nicht das Herz ihr bräche vor der Zeit. Geh nach Norden. Laufen, laufen, einen Schritt vor den andern. Nicht denken. Nichts. Flieh!

      Plötzlich stand sie an der Uferböschung eines Flusses. Mehr hörte sie ihn, als dass sie ihn noch sah in der hereinbrechenden Nacht. Heftig rauschten unter ihr die Wasser, zum Bersten satt von der Schneeschmelze und dem heftige Regen. Goedele kniff die Augen zusammen und maß die Entfernung bis zum drüberen Ufer. Sie musste hinüber, wollte sie die Richtung nicht verlieren.

      Der Weg hinunter war steil und felsig. Mit der einen Hand raffte Goedele Lelles Mantel, während sie sich mit der anderen von Ast zu Felsvorsprung zu Wurzel hangelte. Die Füße in den weichen Stiefeln tasteten nach festem Grund, stolperten jetzt, glitten, abwärts, abwärts, nichts fanden ihre Hände plötzlich mehr in der Dunkelheit, sie schrie. Krallte sich in den Boden, blieb liegen, schwer atmend. Unter ihr die Wasser rauschten ungerührt, sie sah jetzt gut das andere Ufer hinter dem breiten, aufgewühlten Band. Sie konnte nicht schwimmen.

      Es dauerte länger, wieder hochzuklettern. Sie klopfte den Dreck aus ihrer Kleidung und leckte über die Schrammen auf den Händen. Wie dumm sie war. Sie spuckte aus und sah am Ufer entlang. Links oder rechts? Sie legte einen Finger auf die oberste Lasche des Gambesons und fuhr die Reihe entlang bis nach unten. Links, rechts, links, rechts, links, rechts…. Links. Sie zog den Umhang fest um ihren schmalen Körper und stiefelte los.

      Über ihr glitzerten die Sterne. Schwester Theresia hatte gesagt, dass auch sie den Menschen den Weg wiesen, doch Goedele wusste nichts Genaues darüber.


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