Aufgeflogen. Mona Busch
schob er seine Hand dorthin, wo es wehtat – und zog sie blutverschmiert wieder hervor. Oh Gott, nein! Er war in den Rücken getroffen worden, und die Kugel war vorne ausgetreten – ein Durchschuss. Weit würde er nicht mehr kommen, das sagte ihm sein Verstand. Er biss die Zähne zusammen und stemmte sich hoch. Es war nicht mehr weit – er war fast da. Wenn er es bis in Isabellas Haus schaffte, konnte er die Kollegen alarmieren, Hilfe holen…
Mit eisernem Willen taumelte er vorwärts. Das Atmen fiel ihm schwer. Würde er es rechtzeitig ins Haus schaffen, bevor sie bei ihm waren?
Da – der Zaun von Isabellas Garten.
Rasch tauchte er zwischen die Büsche in der Hoffnung, dass seine Verfolger ihn aus den Augen verloren. Ein paar Meter weiter wälzte er sich mit großer Mühe über den niedrigen Gartenzaun, der an das Waldstück angrenzte. Er hörte Geräusche hinter sich – Laufschritte, das Knacken von Zweigen. Sie waren ihm dicht auf den Fersen!
Noch ein paar Meter, die ihm unglaublich weit vorkamen. Sein Atem ging immer flacher, immer mühsamer. Mit zitternder Hand hob er die Fußmatte vor der gläsernen Terrassentür an und griff nach dem Ersatzschlüssel, den Isabella hier – entgegen seines Rates – immer versteckte. Keuchend stolperte er weiter. Er musste noch um das Haus herum, zur Eingangstür. Wenn er die hinter sich abschloss, gewann er Zeit – hoffentlich genug Zeit, bis Verstärkung eintraf. Entkräftet stützte er sich an der Hauswand ab, zwang sich Schritt für Schritt vorwärts. Er merkte nicht, dass er blutige Handabdrücke an der Hauswand hinterließ. Sein Herz raste, er bekam immer schlechter Luft.
Endlich erreichte er die Haustür, sperrte auf, zog die Tür hinter sich zu und sperrte wieder ab. Dann glitt der Schlüssel ihm aus den Fingern, fiel scheppernd zu Boden. Mit letzter Kraft schleppte er sich ins Wohnzimmer. Luft!
Er hörte Geräusche an der Haustür. Seine Verfolger! Zitternd griff er nach dem schnurlosen Telefon. Er musste den Notruf wählen! Die Zifferntasten verschwammen vor seinen Augen. Nein! Der Druck in seinem Brustkorb stieg ins Unerträgliche. Er wählte die 1. Und noch einmal die 1.
Dann wurde ihm schwarz vor Augen und er verlor das Bewusstsein.
1. Kapitel
Zwei Wochen zuvor
Isabella lag auf dem Rücken. Ihr Angreifer war über ihr, zwischen ihren Beinen, packte mit einer Hand ihren Hals und würgte sie.
Die junge Frau umklammerte seine Hüften fest mit ihren Beinen, schwang ihren linken Arm in einem Halbkreis nach innen-oben, löste so die würgende Hand von ihrem Hals und schlug ihrem Angreifer sofort die rechte Hand ins Gesicht. Als der Mann zurückzuckte, richtete sie sich halb auf, klemmte seinen Kopf unter ihrer rechten Achsel ein, hieb ihm ihre Faust von links in die Rippen und schob blitzartig sein linkes Knie nach hinten weg. Er kippte nach links von ihr herunter. Sie rollte auf ihn, belastete ihn dabei mit Oberkörper und Hüfte und schlug ihm dann nochmals mit der Faust in den Rippenbogen. Er stöhnte auf.
„Gut Isa! Und gleich nochmal!“ Die Stimme ihres Trainers.
Sie war beim Selbstverteidigungskurs für Frauen des Polizeisportvereins München. Ihre fünfte Stunde.
Ihr Freund David, der als Ermittler beim Bayerischen Landeskriminalamt arbeitete, hatte sie dazu gedrängt, den Selbstverteidigungskurs zu belegen.
Schwitzend ließ Isa sich von ihrem überwältigten Angreifer herunterrollen und blieb einen Moment atemlos auf dem Rücken liegen: „Nochmal? Muss das sein? Ich kann das doch jetzt schon!“
Ihr Trainer grinste: „Nochmal! Im Ernstfall darfst du nicht mehr darüber nachdenken, was du tust – dein Körper muss automatisch reagieren. Und dafür muss man viel üben… Also los!“
Und schon griff ihr Trainingspartner sie wieder an.
Während sie die Technik ein weiteres Mal abspulte, öffnete sich die Tür der Turnhalle und David trat ein. Der junge, blonde Kriminalkommissar vom LKA entdeckte Isa, streifte sich die Turnschuhe von den Füßen und betrat mit einer angedeuteten Verbeugung die Judomatten: „Hallo, Karsten! Na, wie macht sich meine Süße?“
Karsten – ihr Trainer - nickte ihm freundlich zu und erwiderte sein Lächeln: „Ganz gut für eine Anfängerin. Naja, noch nicht perfekt – aber das wird schon. Sie geht energisch ran.“
David beobachtete seine Freundin, wie sie ihren Angreifer abwehrte. Als sie sich anschließend von diesem herunterrollte und vor David aufsetzte, begrüßte er sie mit einem Kuss auf den Mund.
Die junge Halbitalienerin strahlte ihn stolz an: „Ciao, amore mio! Na, was sagst du? Geht doch gut, oder?“
Er musterte sie zärtlich lächelnd und meinte dann mit schelmisch blitzenden Augen: „Sieht schon ganz gut aus. Dann zeig mir doch mal, was du draufhast!“
Ohne Vorwarnung schubste er Isa nach hinten um, warf sich auf sie und lag nun ebenfalls zwischen ihren Beinen.
Belustigt bis genervt verdrehte sie die Augen: „David – ich will nicht mit dir kämpfen!“
Er drückte ihre Handgelenke neben ihrem Kopf auf die Matte und grinste: „Hmm… Dann könnte ich das aber ausnutzen.“
Lächelnd senkte er seinen Kopf und gab ihr einen weiteren Kuss.
Isa seufzte leicht genervt und versuchte erfolglos, ihre Handgelenke aus seinem festen Griff zu befreien: „Außerdem haben wir das so nicht gelernt!“
Plötzlich wurde David etwas ernster und griff nun ebenfalls mit einer Hand an ihren Hals: „Dann zeig mal, was du gelernt hast!“
Sie spürte, wie er seine Hand fester schloss und sie leicht würgte.
Nun erwachte ihr Kampfgeist – na schön, dann würde sie es ihm eben zeigen!
Energisch befreite sie sich aus dem Würgegriff und spulte dann die eben geübte Technik ab. Es klappte alles gut, David kippte zur Seite. Sie rollte sich auf ihn, siegessicher grinsend – doch plötzlich, als sie auf ihm lag, sie wusste nicht genau wie, spannte er seinen ganzen Körper an und rollte weiter, bis sie wieder unter ihm lag. Sie quiekte überrascht auf, versuchte sich zu wehren, doch er erwischte ihren Arm und drehte daran, bis sie vor Schmerz aufstöhnte. Unfreiwillig rollte Isa auf den Bauch, David forcierte den Hebel – und saß auf einmal auf Isabellas Rücken, den Arm seiner Freundin im Polizeigriff fixierend.
„Au!“, jammerte sie, woraufhin David seinen Griff ein wenig lockerte.
Er beugte sich nach vorne, strich ihr eine lockige Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste sie sanft auf den Nacken. Sie spürte seinen warmen Atem und seine Lippen auf ihrer Haut.
„Was bekomme ich, wenn ich dich loslasse?“, hauchte er ihr lächelnd ins Ohr.
„Frag lieber, was passiert, wenn du mich jetzt nicht loslässt!“, grummelte sie halb im Ernst, halb im Scherz, und ballte die freie Hand zur Faust.
David lachte auf, ließ sie los und rollte von ihr herunter.
Als Isa sich leicht schmollend aufgesetzt hatte, lächelte er sie spitzbübisch mit schief gelegtem Kopf an: „Hey, Süße, nicht sauer sein! Du warst gut… aber ich konnte mir das einfach nicht verkneifen. Bis du dich mit mir anlegen kannst, musst du noch viel üben. Ich hatte schon den braunen Gürtel im Judo und den grünen im Kun-Tai-Ko, bevor ich zur Polizei gegangen bin.“
„Angeber!“, erwiderte Isa frech. Doch sie merkte, dass David recht hatte. Sie musste noch viel üben, wenn sie es im Ernstfall wirklich mit einem fitten Angreifer aufnehmen wollte.
„Sind wir jetzt fertig für heute?“, wandte sie sich an ihren Trainer, der zwischendurch anderen Frauen Tipps gegeben hatte.
Er sah auf die Uhr: „Ja. Schluss für heute. Nächsten Montag geht´s weiter.“
Daraufhin löste die 20-jährige ihren Pferdeschwanz und schüttelte ihre langen, schwarzen Haare.
David