Brautwerbung. Solveig Kern
schlaflosen Nächten leistete sie ihm wertvollen Beistand. Die Alpträume quälten ihn immer noch, und sein Herz machte ihm zu schaffen.
Die Annehmlichkeiten, die ihm Zeldis bereitete, machten ihn keineswegs Sigrun vergessen. Im Gegenteil, seine Gedanken wanderten immer wieder zu seiner fernen Geliebten. Oft malte er sich aus, wie er nach getaner Arbeit in Sigruns Arme fallen, ihre Zärtlichkeit genießen und die Ereignisse des Tages mit ihr teilen würde.
Regelmäßig kommunizierten die beiden über den Mondstein. Mauro übermittelte Bilder von seinem Einzug in Alicando und von der Schönheit des Sommerlandes.
„Die Frauen des Sommerlandes sind sicher auch wunderschön?“ wollte Sigrun wissen.
„Ja. Sie sind wunderschön“, erwiderte Mauro mit einem Seitenblick auf Zeldis, die eben zu ihm herüberlächelte. „Doch keine von ihnen kann Euch das Wasser reichen.“ Er sandte ihr eine Woge der Zuneigung und einen Kuss.
Sigrun sah sein Gesicht im Stein. Deutlich fühlte sie seine Liebe. Ihr war, als würden seine Arme sie zärtlich umfangen. Als sie merkte, dass er weitersprach, konzentrierte sie ihr Bewusstsein auf den Stein und versuchte, mit ihm zu verschmelzen, wie die Alte es sie gelehrt hatte. Diesmal gelang es. Deutlich hörte sie den Widerhall seiner Worte in ihrem Kopf: „Nur noch ein paar Tage, bis meine Brautwerber bei Eurem Bruder eintreffen. Wenige Wochen später seid Ihr in Mandrilar. Ich kann es kaum erwarten, Euch in meinen Armen zu halten!“
Sigrun lauschte atemlos. Sie hatte es geschafft, sie konnte ihn hören! Nun wusste sie, dass er die Brautwerbung auf den Weg gebracht hatte. „Eilt Euch, mein Geliebter. Das Leben ist kurz und meine Sehnsucht groß…“
Hanok gönnte sich keine Schonung, was seiner Heilung nicht zustattenkam. Seine Füße waren immer noch wund, die Sohlen bedeckt von eitrigen Schwären. Selbst mit übermenschlicher Selbstbeherrschung brachte er es nicht fertig, darauf auch nur ein paar Schritte zu gehen. Er musste sich damit abfinden, getragen zu werden. Diese kleine Erleichterung linderte zwar die Schmerzen, doch sie half nicht gegen die nächtlichen Alpträume. Die Nachwirkungen von Barrens Labyrinth machten ihm zu schaffen. Dennoch ließ Hanok keine einzige Sitzung aus. Er arbeitete konzentriert und spielte seine überlegene Intelligenz gegenüber den anderen Togweds aus.
„Warum schindet Ihr Euch so?“ fragte Kayla, die in Mauros Auftrag Licht in die Vorgänge auf den Distelfeldern bringen sollte. Sie verbrachte viel Zeit mit Hanok. So unvernünftig sie ihn einerseits fand, so sehr imponierte ihr andererseits seine Selbstdisziplin.
„Was würdet Ihr an meiner Stelle tun?“ fragte er zurück. „Ich kämpfe um mein Leben. Dieser König hat uns wiederholt gezeigt, dass vor seinen Augen nur die Stärksten Gnade finden. Wenn ich mich trotz meiner Schmerzen nicht schone, nötige ich ihm zumindest Respekt ab. Wenn es mir darüber hinaus gelingt, mich unverzichtbar zu machen, habe ich eine Überlebenschance.“
Kayla empfand diesen Härtekult als übertrieben: „Wir betrachten Krankheit als notwendigen Begleitumstand seelischen Wachstums. Eine erzwungene Pause ermöglicht die Verinnerlichung wichtiger Erfahrungen. Der König will Euch gewiss nicht vernichten. Er hat Euch ein faires Gerichtsverfahren zugesagt…“
„Und ich tue alles, um diese Chance zu nutzen. Ich wäre ein Narr, zu glauben, dass ein anderer als er selbst über den Ausgang des Verfahrens entscheidet. Doch ich brauche Eure Hilfe. Ihr seid es, die für mich sprechen wird. Ihr könnt den letzten Rest von Zweifel in seiner Brust zerstreuen“, gab Hanok zurück. „Werdet Ihr mir helfen, heil aus dem Verfahren herauszukommen, Prinzessin Kayla?“ Er beugte sich ein wenig in ihrer Richtung und sah ihr in die Augen.
Kayla wurde unwillkürlich rot und schämte sich dafür. In den Wochen, die sie miteinander gearbeitet hatten, war so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Oder war es mehr?
„Ich werde dafür sorgen, dass Euch Gerechtigkeit widerfährt.“ Kayla mühte sich, ihrer Stimme Festigkeit zu geben. Doch Hanok hatte ihr Zögern bemerkt. > Sie ist klug, aber auch nur eine Frau < schoss ihm durch den Kopf. Schade, dass ihm in seinem Zustand nicht der Sinn nach einer Liebschaft stand.
Die Brautwerber
Viele Tagesritte weiter nordöstlich näherten Fremde sich Dietrichs Winterlager. Ihr Anführer herrschte die Wächter barsch an: „Meldet mich Eurem Herrn. Wir kommen im Auftrag des Rigländischen Königs.“
Sie warteten nicht ab, bis sie hereingebeten wurden. Noch ehe Dietrich seinen Festtagsornat überwerfen konnte, standen sie vor ihm.
Dietrich war irritiert. Besucher um diese Jahreszeit waren ungewöhnlich. „Was wollt Ihr?“ fragte er misstrauisch.
„Wir sind Abgesandte des Königs Rigbert von Rigland. König Rigbert entbietet dem edlen Dietrich seinen Gruß. Ich habe eine Nachricht für seine Schwester Sigrun.“ Der Ton, in dem der Fremde sprach, ließ erkennen, dass er gewohnt war zu befehlen.
Sigruns Herz klopfte bis zum Hals. Waren Mauros Brautwerber schon bei Rigbert gewesen? Dann waren sie schneller, als sie erwartet hatte. Auch erkannte sie unter den Fremden keinen von Mauros Leuten. Sie ließ sich ihre Aufregung nicht anmerken und sprach mit fester Stimme: „Was ist meines Bruders Begehr?“
„Euer Bruder hat die Brautwerbung akzeptiert. Der Bräutigam erwartet Euch schon…“ der Sprecher machte eine kunstvolle Pause.
Sigrun fühle Freude in sich hochsteigen. Sie waren tatsächlich bereits angekommen…
„in Brig“, vollendete der Mann den Satz. Mit einem süffisanten Lächeln fügte er hinzu: „Fürstin Morriell kann es kaum erwarten, Euch im Winterland willkommen zu heißen. Der glückliche Bräutigam ist ihr Oheim Nolan.“
„Das muss ein Irrtum sein“, stammelte Sigrun entsetzt. „Niemals würde mein Bruder mich gegen meinen Willen verheiraten! Mein Herz gehört einem anderen…“
„Wie bedauerlich, dass ich nicht die Kunde bringe, die ihr offenbar erwartet habt, werte Dame“, sagte der Bote mit kaum verhaltenem Spott. „Von einem anderen Galan ist mir nichts bekannt. Ich habe den Auftrag, Euch nach Brig zu geleiten. Das weiß ich gewiss, denn dafür gibt es reichen Lohn. Fürstin Morriell zahlt in Gold!“
„Gold kann auch ich Euch geben.“ Sigrun versuchte zu verhandeln. „Bringt mich zu meinem Bruder. Ich will mit ihm sprechen!“
„Das will aber ich nicht“, sagte der Fremde mit süßlicher Stimme. „Ich hasse es, wenn man sich mir widersetzt. Folgt Ihr mir freiwillig, oder muss ich Euch zwingen?“
Sigrun war empört: „Ihr könnt mich nicht zwingen. Seit Stammesmutter Ragnhilds Zeiten wurde bei uns keine Prinzessin gegen ihren Willen verheiratet!“
„Wetten, dass ich kann?“ Mit einer flinken Bewegung zog der Fremde sein Messer. Er bannte die Umstehenden, sodass keiner eingreifen konnte, und packte Dietrichs Tochter. Mit geübter Handbewegung schnitt er ihr ein Ohr ab und hielt es Sigrun unter die Nase: „Wie weit wollt Ihr gehen? Wollt Ihr das zweite Ohr auch noch? Wir können noch ganz andere Dinge mit ihr machen. Es ist Eure Entscheidung. Ihr sagt, wann es genug ist.…“
Sigrun wurde ganz ruhig. „Ich habe verstanden“, sprach sie mit fester Stimme. „Lasst sie in Ruhe. Ich beuge mich der Gewalt.“
„Kluges Mädchen“, sagte der Anführer und tätschelte ihre Wange. Sigrun fuhr zurück. „Aber, aber, nicht so unfreundlich. Ich verstehe: Ihr seid ein wenig verstört. Kein Wunder. In Brig kennt Ihr niemanden. Wäre es nicht nett von mir, wenn ich für Euch eine Hofdame mitnehme? Das Mädel hat zwar nur ein Ohr. Das macht sie nicht hübscher, doch Euch zu Diensten sein kann sie immer noch – und uns vielleicht auch!“
Der Fremde stieß Dietrichs blutüberströmte Tochter hinüber zu seinen Leuten. Die grölten ihre Zustimmung und betatschten das Mädchen.
„Wenn die Prinzessin eine Gesellschafterin von Stand an ihrer Seite haben soll, dann ist das meine Aufgabe“, intervenierte Sigruns Base Ortrud. „Lasst das Mädel daheim.“
Der