Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch. Ludwig Bechstein
Schneider). Nun hauseten im nahen Walde zwei
Riesen, die täten ihm aus der Maßen großen Schaden
mit Rauben, Morden, Sengen und Brennen im Lande
umher, und man könne ihnen weder mit Waffen noch
sonst wie beikommen, denn sie erschlügen alles, und
so er sich's nun unterfangen wolle, die Riesen umzubringen,
und brächte sie wirklich um, so solle er des
Königs Tochter zur ehelichen Gemahlin, und das
halbe Königreich zur Aussteuer erhalten, auch wolle
der König ihm hundert Reiter zur Hülfe gegen die
Riesen mitgeben.
Auf diese Rede des Königs ward dem Schneiderlein
ganz wohl zu Mute und deuchte ihm schön, daß
es sollte eines Königs Tochtermann werden und ein
halbes Königreich zur Aussteuer empfangen; sprach
daher kecklich: er wolle gern dem König, seinem allergnädigsten
Herrn, zu Diensten stehen, und die Riesen
umbringen, und sie wohl ohne Hülfe der hundert
Reiter zu töten wissen. Darauf verfügte er sich in den
Wald, hieß die hundert Reiter, die ihm auf des Königs
Befehl dennoch folgen mußten, vor dem Walde warten,
trat in das Dickicht, und lugte umher, ob er die
Riesen irgendwo sehen möchte. Und endlich nach langem
Suchen fand er sie beide unter einem Baume
schlafend, und also schnarchend, daß die Äste an den
Bäumen, wie vom Sturmwind gebogen, hin- und herrauschten.
Der Schneider besann sich nicht lange, las schnell
seinen Busen voll Steine, stieg auf den Baum, darunter
die Riesen lagen, und begann den einen mit einem
derben Steine auf die Brust zu werfen, davon der
Riese alsbald erwachte, über seinen Mitgesellen zornig
ward und fragte, warum er ihn schlüge? Der andere
Riese entschuldigte sich bestens, so gut er's vermochte,
daß er mit Wissen nicht geschlagen, es müsse
denn im Schlafe geschehen sein; da sie nun wieder
entschliefen, faßte der Schneider wieder einen Stein,
und warf den andern Riesen, der nun auffahrend über
seinen Kameraden sich erzürnte und fragte, warum er
ihn werfe? der aber nun auch nichts davon wissen
wollte. Als beiden Riesen nun die Augen nach einigem
Zanken vom Schlafe wieder zugegangen waren,
warf der Schneider abermals gar heftig auf den andern,
daß er es nun nicht länger ertragen mochte, und
auf seinen Gesellen, von dem er sich geschlagen vermeinte,
heftig losschlug; das wollte denn der andere
Riese auch nicht leiden, sprangen beide auf, rissen
Bäume aus der Erde, ließen aber doch zu allem Glück
den Baum stehen, darauf der Schneider saß, und
schlugen mit den Bäumen so heftig aufeinander los,
bis sie einander gegenseitig totschlugen.
Als der Schneider von seinem Baume sahe, daß die
beiden Riesen einander tot geschlagen hatten, ward
ihm besser zu Mute, als ihm jemals gewesen, stieg
fröhlich vom Baume, hieb mit seinem Schwerte jegli-
chem Riesen eine Wunde oder etliche, und ging aus
dem Walde hervor zu den Reitern. Die fragten ihn, ob
er die Riesen entdeckt oder ob er sie nirgends gesehen
habe? »Ja«, sagte der Schneider, »entdeckt und gesehen
und alle zwei tot geschlagen – habe ich, und sie
liegen lassen unter einem Baume.« Das war den Reitern
verwunderlich zu hören, konnten und wollten's
nicht glauben, daß der eine Mann so unverletzt von
den Riesen sollte gekommen sein, und sie noch dazu
tot geschlagen haben, ritten nun selbst in den Wald,
dies Wunder zu beschauen und fanden es also, wie
der Schneiderheld gesagt hatte. Darob verwunderten
sich die Reiter gar sehr, und empfanden einen grauslichen
Schrecken, ward ihnen auch noch übler zu Mute,
denn vorher, da sie fürchteten, der Sieger werde sie
alle umbringen, wenn er ihnen Feind würde; ritten
heim und sagten dem König an, was geschehen.
Da nun der Schneider zum Könige kam, seine Tat
selbst anzeigte, und die Königstochter samt dem halben
Königreich begehrte, gereute den König sein Versprechen,
das er dem unbekannten Kriegsmann gegeben,
gar übel, denn die Riesen waren nun erwürgt,
und konnten keinen Schaden mehr tun; dachte darüber
nach, wie er des Helden mit Fug abkommen möchte,
und war nicht im mindesten gesonnen, ihm die Tochter
zu geben. Sprach daher zum Schneider, wie er in
einem andern Walde leider noch ein Einhorn habe,
das ihm sehr großen Schaden tue an Fischen und Leuten;
dasselbe solle er doch auch noch fangen, und so
er dieses vollbringe, wolle der König ihm die Tochter
geben. Der gute Schneider war auch das zufrieden,
nahm einen Strick, ging hin zu jenem Walde, allwo
das wilde Einhorn hauste, und befahl seinen Zugeordneten,
draußen vor dem Walde zu warten, er wolle allein
hineingehen und allein die Tat bestehen, wie er
die gegen die zwei Riesen auch allein und ohne andere
Hülfe bestanden. Als der Schneider eine Weile im
Walde umher spaziert war, ersieht er das Einhorn, das
gegen ihn daher rennt mit vorgestrecktem Horn und
will ihn umbringen. Er aber war nicht unbehende,
wartete, bis das Einhorn gar nahe an ihn herankam,
und als es nahe bei ihm war, schlüpfte er rasch hinter
den Baum, neben dem er zu allernächst stand, und da
lief das Einhorn, das im vollen Rennen war und sich
nicht mehr wenden konnte, mit aller Hast gegen den
Baum, daß es ihn mit seinem spitzen Horn fast durch
und durch stieß, und das Horn unverwandt darin stekken
blieb. Da trat der Schneider, als er das Einhorn
am Baume fest zappeln sah, hervor, schlang ihm den
mitgenommenen Strick um den Hals, band es an den
Baum vollends fest, ging heraus zu seinen Jagdgesellen,
und zeigte ihnen seinen Sieg über