Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch. Ludwig Bechstein
tät demütiglich Meldung von der glücklichen Erfül-
lung des königlichen Wunsches, und erinnerte bescheidentlich
an das königliche zweimalige Versprechen.
Darob ward der König über die Maßen traurig,
wußte nicht was zu tun sei, da der Schneider der
Tochter begehrte, die er doch nicht haben sollte. Und
begehrte noch eins an den Kriegsmann. Dieser solle
nämlich auch das grausame Wildschwein, das in
einem dritten Walde liefe und alles verwüste, einfahen,
und so er auch dieses vollbringe, dann wolle
der König ihm die Tochter ohne allen Verzug geben,
wolle ihm auch seine ganze Jägerei zur Hülfe beiordnen.
Der Schneider zog, nicht sonderlich erbaut von des
Königs abermaligem Begehren, mit seinen Gesellen
zum Walde hinaus, und befahl ihnen, als der Forst erreicht
war, draußen zu bleiben. Des waren die Jäger
gar herzlich froh und zufrieden, denn das Wildschwein
hatte sie schon öfter dermaßen empfangen,
daß ihrer viele das Wiederkommen auf immer vergessen
hatten, und sie alle nicht mehr begehrten, ihm
nachzustellen, dankten daher dem Schneider sehr aufrichtig,
daß er sich allein in die Fahrnis wage und sie
in Numero Sicher dahinten lasse. Der Schneider war
noch nicht lange in den Wald getreten, so wurde das
Wildschwein seiner ansichtig, und stürzte auf ihn zu
mit schäumendem Rachen und wetzenden Hauern und
wollte ihn gleich zu Boden rennen, so daß sein Herz
erzitterte und er sich schnell nach Rettung umsah. Da
stand zum Glück eine alte verfallene Kapelle in dem
Walde, darin man vor Zeiten Ablaß geholt, und da der
Schneider nahe dabei stand, und die Kapelle ersah,
sprang er mit einem Satz hinein, aber auch der Türe
gegenüber mit einem Luftsprung durch ein Fenster,
darin keine Scheiben mehr waren, wieder heraus, und
alsbald folgte ihm die Wildsau, die nun in der Kapelle
rumorte, der Schneider aber lief flugs um das Häuslein
herum, wischte vor an die Türe, warf sie eilends
zu, und versperrte so das grausame Gewild in das
Kirchlein, ging dann hin zu den Jagdgesellen, zeigte
ihnen seine Tat an, die kamen hin, befanden die Sache
also wahr und richtig, und ritten heim mit großer Verwunderung,
dem König Bericht erstattend. Ob nun die
Nachricht vom abermaligen glückhaften Sieg des heldenhaften
Kriegsmannes den König mehr froh oder
mehr traurig gemacht, das mag ein jeglicher, selbst
mit geringem Verstand, leichtlich ermessen, denn der
König mußte nun dem Schneider die Tochter geben,
oder fürchten, daß dieser seine Heldenkraft, davon er
drei so erstaunliche Proben gegeben, gegen ihn selber
wenden dürfte. Doch ist wohl zweifelsohne, hätte der
König vollends gewußt, daß der Held ein Schneider
wäre, so hätte er ihm lieber einen Strick zum Aufhenken,
denn seine Tochter geschenkt. Ob nun aber der
König einem Manne ohne Herkunft und ohne Geburt,
außer der von seiner Mutter, seine Tochter mit kleiner
oder mit großer Bekümmernis, gern oder ungern gebe,
danach fragte Schneiderlein gar wenig oder gar nicht,
genug er war stolz und froh, des Königs Tochtermann
geworden zu sein. Also wurde die Hochzeit nicht mit
allzu großer Freudigkeit von königlicher Seite begangen,
und aus einem Schneider war ein Königseidam
geworden, ja ein König.
Als eine kleine Zeit vergangen war, hörte die junge
Königin, wie ihr Herr und Gemahl im Schlafe redete,
und vernahm deutlich die Worte: »Knecht, mache mir
das Wams – flicke mir die Hosen – spute dich – oder
ich – schlage dir das Ellenmaß über die Ohren!« Das
kam der jungen Königsgemahlin sehr verwunderlich
vor, merkte schier, daß ihr Gemahl ein Schneider sei,
zeigte das ihrem Herrn und Vater an, und bat ihn, er
möge ihr doch von diesem Manne helfen. Solche
Rede durchschnitt des Königs Herz, daß er habe seine
einzige Tochter einem Schneider antrauen müssen,
tröstete sie auf das beste, und sagte, sie solle nur in
der künftigen Nacht die Schlafkammer öffnen, so sollten
vor der Türe etliche Diener stehen, und wenn sie
wieder solche Worte vernähmen, sollten diese Diener
hinein gehen und den Mann geradezu umbringen. Das
ließ sich die junge Frau gefallen und verhieß also zu
tun. Nun hatte der König aber einen Waffenträger am
Hofe, der war dem Schneider hold, und hatte des Kö-
nigs untreue Rede gehört, verfügte sich daher eilend
zu dem jungen König und eröffnete ihm das schwere
Urteil, das über ihn so eben jetzt ergangen und gefällt
war, und bat ihn, er möge seines Leibes sich nach besten
Kräften wehren. Dem sagte der Schneider-König
ob seines Warnens großen Dank, und er wisse wohl,
was in dieser Sache zu tun sei. Wie nun die Nacht gekommen
war, begab sich zu gewohnter Zeit der junge
König mit seiner Gemahlin zur Ruhe und tat bald, als
ob er schliefe. Da stand die Frau heimlich auf und öffnete
die Tür, worauf sie sich wieder ganz still niederlegte.
Nach einer Weile begann der junge König wie
im Schlafe zu reden, aber mit heller Stimme, daß die
draußen vor der Kammer es wohl hören konnten:
»Knecht, mache mir die Hosen – bletze mir – das
Wams, oder ich will dir das Ellenmaß über die Ohren
schlagen. Ich – hab sieben auf einen Streich – tot geschlagen
– zwei Riesen hab ich – tot geschlagen – das
Einhorn hab ich gefangen – die Wildsau hab ich auch
gefangen – sollt ich die fürchten – die draußen vor der
Kammer stehen?«
Als die vor der Kammer solche Worte vernahmen,
so flohen sie nicht anders, als jagten sie