Hans der Pole. Gräfin Bethusy-Huc
darauf erschien er wieder.
„Der Generaldirektor wünscht Sie zu sprechen, Herr von Walsberg“, sagte er.
Hans verabschiedete sich eilig und ging zu seinem Chef. Er wurde sofort zu ihm geführt.
„wollen sie mit mir nach Piekarhütte?“ fragte der Generaldirektor, als Hans eintrat.
„Selbstverständlich, wenn Sie gestatten.“
„Machen Sie sich fertig, in zehn Minuten fahre ich.“
Als Hans das Zimmer verließ, kam Adelka atemlos den Gang heraufgelaufen.
„Papa fährt hin?“ fragte sie.
„Ja, und ich soll ihn begleiten“, erwiderte Hans mit dem gehobenen Gefühl, dass ihm eine große Auszeichnung widerfuhr.
Adelka schossen die Tränen aus den Augen, sie lief an ihm vorbei ins Zimmer ihres Vaters.
Als Hans reisefertig in das Direktorhaus zurückkehrte, traf er Adelka wieder, die in der Nähe der Haustür gewartet zu haben schien. Sie sah verweint aus, und als sie Hans erblickte, lief sie auf ihn zu und drückte ihm einen harten Gegenstand in die Hand, in dem Hans erstaunt einen Revolver erkannte.
„Nehmen Sie, Sie müssen das nehmen“, flüsterte sie, „geladen ist er auch schon, und hier sind noch Patronen.“
„Aber Fräulein Adelka, Ihr Herr Vater hat mit nicht gesagt, dass – –“
„Ach Papa, der nimmt nichts mit, das ist’s ja eben, aber vor dem haben die Leute Respekt. Die aber kenne sie nicht, Sie müssen eine Waffe haben, ich ängstige mich tot um Sie, Sie – ach Sie –“ Sie brach in Tränen aus, und ebenso schnell, wie sie in seinen Weg getreten war, lief sie nun davon. Hans hielt den Revolver in einer Hand, in der anderen die Patronen. Von der Rampe her klag das Rollen des vorfahrenden Wagens. Hans fand sich selbst lächerlich, aber – er steckt die Waffe ein mit der Empfindung, wie er etwa eine Tose eingesteckt haben würde, die Adelka ihm unvermuteter Weise gegeben hätte. Und wie eine süße Musik klang es ihm in den Ohren:
„Ich ängstige mich tot um Sie.“
Sie war doch kein Kind mehr!
„Los!“ sagte der Generaldirektor, als Hans neben ihm saß. Der Wagen rollte davon.
„Was haben sie denn da in der Seitentasche?“ fragte der Generaldirektor, Han musternd.
Hans zog die Waffe hervor.
„Nur für alle Fälle“, sagte er – er wollte Adelka nicht verraten.
„Verstecken Sie das Ding besser“, rief der Generaldirektor, „es würde nur böses Blut machen, wenn man ’s sähe, und unnütz ist’s außerdem. Zum Schutze habe ich Sie mir nicht mitgenommen, sehen Sie.“
„Ich bin jedenfalls sehr glücklich, mitfahren zu dürfen“, sagte Hans. Der Generaldirektor nickte.
„Ja, es steckt bei Ihnen noch irgendwas im Blute, was heraus will. Sie träumen zu viel, weil Sie noch zu wenig erlebt haben. Und deshalb nehme ich Sie heute mit. Erstens wollt ich unterwegs mit Ihnen sprechen, und dann ist es gerade für Sie gut, wenn Sie mal so einen vollen Blick ins Leben tun.“
„Ich glaube, daran würden in diesem Augenblicke wenige an Ihrer Stelle denken, Herr Generaldirektor.“
„Ach, der Streik sollte alle meine Gedanken in Anspruch nehmen. Sie meinen, ich sollte mich über die Undankbarkeit der Leute als Zeichen der Zeit ereifern – aber das liegt mir nicht. Es ging den Leuten in Piekarhütte gut. Der Streik ist unnatürlich und auf Verhetzung zurückzuführen. Ich denke, wir werden dort bald Ordnung schaffen, denn ich kenne die Leute persönlich zu gut, und sie kennen mich.“
„Aber der Schaden, der schon angerichtet wurde, soll doch sehr erheblich sein.“
„Erstens wird das immer durch mündliche Überlieferung übertrieben, und dann bei einem so großen Betriebe wie der unsere muss man auf ein paar Störungen auch immer gefasst sein. Das gleicht sich später wieder aus. Aber, um noch einmal auf Sie selbst zurückzukommen – wissen Sie, wenn Sie mein Sohn oder Mündel wären, ich glaube, ich schickt Sie erst einmal auf Reisen, und nachher verlangte ich von Ihnen eine ernste Arbeit.“
„Ich bewundere Ihren Scharfblick, Herr Generaldirektor, gerade in letzter Zeit ist meine Sehnsucht, einmal herauszukommen und von Leben und Menschen etwas zu sehen, sehr groß gewesen. Ich habe an Herrn von Wolffen deswegen geschrieben, er will aber nichts vom Reisen wissen. Erst sollte ich etwas leisten –“
Her Blei nickte lächelnd vor sich hin.
„Na, wollen mal sehen, wollen mal sehen“, sagte er halblaut. „Wenn sich nichts anderes bietet, hören sie landwirtschaftliche Kollegs im Winter, es ist immer eine Abwechslung, und ein bisschen theoretisches Wissen ist nützlich für die Praxis.“
Hans wurde warm ums Herz.
Die gütigen Worte des Vaters und das Bild der Tochter vermischten sich in seiner Empfindung. Er drückt leise den Revolver an sich; es wäre ihm lieb gewesen, wenn er ihn zum Schutze des Generaldirektors hätte gebrauchen können.
Vor ihnen ragten die Schlote des Hüttenwerkes auf. Herr Blei runzelte die Stirn.
„Die sind in der Tat ohne Rauch, stehen kalt, aber dafür raucht’s dort vom Maschinenhause her – Schwefelbande!“
Der Kutscher wandte sich um und fragte, ob er nicht auf einem Umwege zum Direktionshause fahren solle.
„Nein“, entschied der Generaldirektor, „fahren Sie nur den gewohnten Weg geradeaus.“
„Aber dort ist es schwarz von Menschen.“
„Zu den Menschen will ich ja eben.“
Hans rückt sich unwillkürlich strammer. Wüstes Stimmgewirr scholl ihnen entgegen. Jetzt war der Wagen bemerkt worden, und um Augenblicke war er von einer johlenden Menge umringt.
Der Generaldirektor richtet sich halb auf.
„Leute!“ rief er mit seiner mächtigen Stimme, „macht mir nicht die Pferde scheu, ich bin doch zu Euch gekommen, um Euch zu hören und selbst zu sehen.“
Ein paar rohe Schimpfworte wurden geschrien, ein Stein flog am Kopfe des Kutschers vorbei.
„Was ist das für ein Halunke, der mit Steinen wirft, wenn ich meinen Leuten reden will?“ schrie der Generaldirektor, dem die Zornader auf der Stirn schwoll. „Ich denke, Ihr kennt mich alle und wisst, was Ihr an mir habt. Also, jetzt die Redner vor, ich will hören, worüber Ihr Euch beschwert!“
Einen Augenblick schienen die größten Schreier uneinig zu sein, dann wurden ein paar Männer vorgeschoben.
„Herr Generaldirektor“, begann der eine; aber Blei machte eine abwehrende Handbewegung.
„Euch kenne ich nicht, seid Ihr von der Piekarhütte?“
In der Menge fingen ein paar an zu lachen.
„Wir sind ja nicht von hier“, begann der eine, „aber –“
„Wie könnt Ihr denn hier für meine Arbeiter sprechen wollen, wenn Ihr nicht von hier seid?“ fuhr sie der Generaldirektor an, „wo ist der Felka und der Ogolsky und der Kerian?“
Wieder wurde gelacht, und dann traten aus der unruhig hin und her schiebenden Menge die gerufenen älteren Arbeiter hervor.
„Also, was gibt’s?“
Ein unklarer Schwall von Phrasen scholl ihm entgegen.
Der Direktor hob abwehren die Hand.
„Später sprechen wir auch davon, Leute, aber jetzt sagt mir erst einmal, all‘ Ihr Leute von der Piekarhütte: Welcher von Euch hat hier Not gelitten? Wer ist um Rat und Hilfe zu mir gekommen und ist nicht gehört worden? Wem ist mit meinem Wissen hier ein Unrecht geschehen? Seht Ihr, Ihr könnt mir auf die Fragen nicht antworten; also nun überlegt Euch erst einmal ordentlich,