Das Veteranentreffen. Peter Schmidt

Das Veteranentreffen - Peter Schmidt


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bemerkenswert viel Betrieb. Bertrand betrat in Begleitung Elviras die Szene, und ich brachte es gerade noch fertig, mich mit einem nervösen Sprung in eine Schranknische zu retten.

      Als sich ihre Schritte näherten, verstummten auch die Stimmen im Frühstückszimmer: Ich trat – den Rücken zum Gang – noch tiefer in den Schatten. Doch das bewahrte mich nicht davor, entdeckt zu werden.

      „Frank …“, sagte Elviras Stimme neben mir. „Um Gottes willen, ist Ihnen nicht gut? Sollen wir den Arzt rufen?“ Dann legte sich Bertrands schwere, feuchte Affenhand auf meine Schulter.

      „Bin selber Arzt, falls Ihnen das entgangen sein sollte“, meinte ich verdrießlich.

      „Kommen Sie, lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang durch den Park machen. Sauerstoff und Bewegung. Das bringt Sie wieder auf die Beine.“

      „Ich glaube nicht, dass ich …?“

      „Wir haben mit Ihnen zu reden.“

      „Ja, zu reden“, bestätigte Bertrand.

      „Außerdem regnet es“, wandte ich ein.

      „Gehen wir doch ins Gartenhäuschen, da sind wir vor dem Regen geschützt“, schlug Elvira vor.

      Das Gartenhäuschen war ein auf dünnen hölzernen Säulen ruhendes Spitzdach, in dessen Gestühl ein leerer Vogelkäfig hing. Am oberen Ende der beiden Holzstufen standen zu einem Dreieck angeordnete eiserne Parkbänke.

      Elvira steuerte mit entschlossener Miene darauf zu. Ich setzte mich so in die Mitte, dass Bertrand mit dem Platz links außen vorlieb nehmen musste. Er registrierte es schnaufend und mit allen Anzeichen bohrenden Ärgers; vermutlich hatte er sich wie jeder ernstzunehmende Mensch auf der Stelle in Elvira verliebt.

      Ich nahm ihre Hand und fragte: „Also?“

      „Ein klares Ja oder Nein, Frank – das ist alles, was wir von Ihnen wollen.“

      „Und wozu, wenn ich fragen darf?“

      „Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind.“

      „Also wirklich … ich weiß nicht …?“

      „Haben Sie nun versucht, unser Gespräch zu belauschen, oder nicht?“

      „Ganz im Gegenteil, ich wollte nur unbemerkt bleiben.“

      „Der Lauscher an der Wand …“, sagte sie und drohte scherzend mit dem Zeigefinger. „Glauben Sie, es sei möglich, einen Menschen so zu töten oder zum Schweigen zu bringen, dass es wie eine ganz gewöhnliche Erkrankung aussieht? Ich frage Sie als Experten, als Arzt.“

      „Nun … das ist nicht gerade mein Fach – damit habe ich mich noch nicht näher beschäftigt“, erwiderte ich verblüfft. „Aber was in aller Welt bringt Sie denn bloß auf so abwegige Spekulationen?“

      „Wir unterhielten uns über neuere Entwicklungen in der Politik, Frank. Bemerkenswert viele bedeutende Politiker sind unerwartet schnell verstorben. Herzattacken, Lungenleiden. So etwas dürfte doch rechtzeitig zu diagnostizieren sein, oder? Erst recht bei Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen. Ich meine: beim gegenwärtigen Stand der Medizin? Gestern, während des Essens, äußerte jemand den Verdacht, Alfons Zapata, der mexikanische Revolutionspolitiker, sei nicht einfach nur so einer Leberinfektion erlegen. Dahinter stecke mehr. Seine politischen Gegner – verstehen Sie?“

      „Ehrlich gesagt, nein.“

      „Gütiger Himmel, sind Sie wirklich so naiv?“

      „Wer verbreitet denn solchen Unsinn?“, fragte ich.

      „Sie haben schon verstanden, Frank.“ Elvira entzog mir ihre Hand, und ich roch ein wenig von dem Parfüm, mit dem sie vergeblich versuchte, die Verlockungen ihres körpereigenen Hormons und die Anstrengung ihrer Achselhöhlen durch ein schales Industrieprodukt zu ersetzen.

      Die frühe Morgenstunde schien Elviras Anziehungskraft noch zu verstärken. Meine Begierde nahm seltsame Proportionen an. Erst ein kräftiges Knurren ihres leeren Magens riss mich wieder in die Wirklichkeit zurück.

      „Was ist los mit Ihnen Frank?“

      „Wir sind alle ganz verrückt nach Ihnen, Elvira. Sehen Sie sich bloß Bertrands seibernde Lippen an. Ich glaube, Asch hat Sie eingeladen, um etwas Schwung in den Laden zu bringen – um uns allen den Kopf zu verdrehen?“

      „Wenn Sie wollen, gehen wir alle rauf in mein Zimmer und vertreiben uns die Zeit mit ‘nem flotten Dreier?“, meinte sie. „Ernsthaft, Bä-ä-r-tra-nd! – brächten Sie das fertig? Ich meine, wozu ist Ihr Rohr sonst gut?

      Sie müssen sich nur darauf gefasst machen, dass mein Zimmer wie eine Scheune voller Seegras riecht. Scheint schon seit ein paar Jahren nicht mehr gelüftet worden zu sein. Aber die Matratze ist in Ordnung.“

      Bertrand musterte sie ungläubig, die personifizierte Fassungslosigkeit. Sein Blick wanderte zwischen mir und Elvira hin und her, als hätten wir ein entsetzliches Komplott gegen ihn in Szene gesetzt. „Danke“, murmelte er schließlich. „Ein andermal vielleicht. Ich bin leider zum Frühstückmachen verdonnert – Büfett und so weiter. Karl hat nicht genug Personal angemietet, um den Laden zu schmeißen. Außerdem ist um zehn Uhr Klubgründung.“

      Damit verschwand er, nicht ohne mir einen Blick zuzuwerfen, der bedeuten sollte: Ich krieg dich schon noch zu fassen, Frank Sander. Und dann gnade dir Gott!

      „‘n bisschen arg altmodisch, unser Bertrand, was, Frank?“

      „Sie hätten ihn nicht so vor den Kopf stoßen sollen, Elvira. Die Gefühle alter Kerle sind was Kostbares, man muss pfleglich mit ihnen umgehen.“

      „Er klebt seit gestern Abend an mir. Wie am Fliegenfänger, Frank. Als ich heute Morgen meine Zimmertür aufmachte, stand er mit einem Besen davor. Ich glaube, er hat die ganze Nacht den Korridor gefegt und darauf gewartet, dass ich meine Schuhe vor die Tür stellen würde.“

      „Um sie zu putzen?“

      „Er hatte Lappen und Bürste dabei.“

      „Ja, er ist sehr ordentlich, der geborene Lakai. Als er noch die Berliner Sektion leitete, achtete er immer streng auf die Kleidung seiner Agenten.“

      „Mehr als auf die Strategie seiner Gegner, Frank.“

      „Es war eine jener zahllosen Marotten, die ihm schließlich das Genick brachen.“

      „Haben Sie schon gehört, welche Aufgabe Asch ihm bei unserem Treffen zugedacht hat?“

      „Nein, welche?“

      „Er ist sein Stellvertreter.“

      Ich betrat den Frühstücksraum mit gemischten Gefühlen. Die Atmosphäre knisterte vor Erwartung wie zur Weihnachtsbescherung einer vielköpfigen Familie.

      Den Christbaum ersetzte dabei das kleine erhöhte Rednerpult an der Frontseite des Saals. Es sah aus, als sei es aus irgendeiner nahe gelegenen Grundschule entwendet worden: glanzloses, bleiches Limbaholz, auf dem zahllose Schülergenerationen mit Bleistift, Tinte und Taschenmesser ihre Schmähungen hinterlassen hatten.

      Asch saß – nein, man musste schon sagen, residierte – am festlich gedeckten Tisch vor der Rednertribüne und betrachtete mit sichtlichem Vergnügen das Getrampel um sich her.

      Er hatte sich nicht mit dem kargen kontinentalen Frühstück begnügt, das hier üblich gewesen wäre, sondern ein langes Büfett auffahren lassen.

      Vor den Pfannen und Töpfen spielten sich Szenen ab, die lebhaft an das Gedränge auf dem Jahrmarkt oder beim Schlussverkauf erinnerten.

      Eine bekannte Stimme rief mir zu:

      „Sander … die gebratenen Champignons, exzellent …“‚ doch ehe ich mehr als den Rücken und Ausschnitt seiner Schulter wahrnehmen konnte, verlor ich ihn wieder aus den Augen, weil mir jemand den Ausgießer einer eisernen Kaffeekanne in die Seite rammte.

      Ich


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