Das Veteranentreffen. Peter Schmidt

Das Veteranentreffen - Peter Schmidt


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doch diese wandelnden Leichname an. Ordenbehängte Haudegen, bewährte Kämpfer von einst, die jetzt ihr Gebiss in den Schubladen verlegen.

      Werden vergesslich. Grübeln über ihre Hämorrhoiden und Verdauungsbeschwerden nach. Weicher Stuhlgang? Harter Stuhlgang? Und ob die Stationsschwester ihnen das Taschengeld kürzen darf. Wer will schon ein so bedeutungsloses Pensionärsdasein führen?“

      „Und wie?“, fragte ich. „Wie wollen Sie das bewältigen, Asch?“

      „Indem wir einen Klub gründen, Frank – den Klub der Veteranen, der die politische Erneuerung auf seine Fahnen geschrieben hat. Ein bisschen Indoktrination muss natürlich schon im Spiel sein. Moralische Aufrüstung, wenn Sie so wollen. Falls Ihnen der Ausdruck nicht zu hochgestochen vorkommt.“

      „Ist das wirklich Ihr Ernst?“

      „Mir war es nie ernster mit irgendetwas, Frank.“

      „Ziemlich riskant, oder?“

      „Weil wir viele Feinde haben? Ja. Wir werden im Verborgenen arbeiten müssen. Und über Mittelsmänner agieren.“

      Ich dachte nach und versuchte auf den Punkt zu kommen, ohne ihn durch das Wort ‚Erpressung’ unnötig herauszufordern. „Sie wollen Politiker mit vergangenen Verfehlungen unter Druck setzen, nicht wahr?“

      „Mit allem, was Erfolg verspricht, Frank. Nach dem Motto:

      ‚Entschuldigen Sie die Störung. Aber Sie erinnern sich sicher eines gewissen Vorfalls damals in den Zeiten des Kalten Krieges?’ Sieht man sich an, was seit dem Zweiten Weltkrieg hinter den Kulissen getrieben wurde – und wer wüsste darüber mehr zu sagen als wir? Man braucht das alte Wissen nur zu aktivieren, Frank –, dann müsste ein großer Teil der bekannten Geschichte neu geschrieben werden. Daran haben wir natürlich kein Interesse. Die Geschichte den Historikern.

      Wir wollen nur, dass man sich all der schäbigen kleinen Klüngel, der Komplotte und Einflussnahmen erinnert, der Gefälligkeiten, des Stimmenkaufs, der Rücksichtnahme auf Parteifreunde und politisch Gleichgesinnte – dass man uns gegenüber jetzt die gleichen politischen Konzessionen macht, wie andere einst, die damals klein beigeben mussten.“

      „Hm … gar nicht mal so übel, Ihre Idee, Karl. Vielleicht funktioniert’s ja sogar. Eine Zeit lang, meine ich. Ich frage mich bloß, wie Sie das mit den Fahnen der moralischen Erneuerung vereinbaren wollen?“

      „Vergleichen Sie’s ganz einfach mit dem Klaps aufs Hinterteil, den Ihnen ein wohlmeinender Erziehungsberechtigter versetzt. In der Erziehung geht’s nun mal nicht immer friedlich und mit sanften Mitteln zu.“

      „Und wie wollen Sie das Ganze finanzieren? Dazu braucht man Mitarbeiter und Büros, Datenbanken. Vom Telefon bis zur Portokasse, von kleinen Gefälligkeiten und Schmiergeldern gar nicht zu reden – das alles wird ein Vermögen kosten.“

      „Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Frank. Wir haben großzügige Förderer gefunden.“

      „So? Und wen, wenn ich fragen darf?“

      „Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen.“

      „Wer so lobenswerte Absichten hat, der sollte sich nicht verstecken müssen, Karl.“

      „Von verstecken kann gar keine Rede sein“, sagte er aufgebracht. „Gegenwärtig konstituiert sich hier in Berlin eine Stiftung für Ost-West-Verständigung, die unsere Arbeit finanzieren wird. Ich möchte nicht in laufende Verfahren eingreifen. Das würde bei den Stiftungsmitgliedern und Förderern nur zu Irritationen führen.“

      „Und Bertrand? Sie haben Bertrand doch sicher eingeweiht, Karl?“

      „Er weiß nicht mehr als Sie. Noch bin ich zum Schweigen verpflichtet. Ich möchte, dass Sie den Dritten im Bunde spielen, Frank. Als Triumvirat könnten wir es schaffen – Sie, Bertrand und ich. Was halten Sie davon?“

      „Ich werde darüber nachdenken.“

      „Wir fangen übermorgen mit den Befragungen an. Lassen Sie den alten Knaben noch ein paar Tage Zeit, um sich einzugewöhnen. Vorträge, gesellige Abende, gutes Essen und Trinken, in Erinnerungen schwelgen – das wird sie bei Laune halten. Ich habe ein paar hübsche Einlagen arrangiert, Überraschungsgäste.“

      „Und so ganz nebenbei …?“

      „Nein, gezielt, ganz offen. Mit Hinterm-Berg-Halten ist uns nicht gedient. Man muss sie ausdrücklich für die Sache gewinnen, Frank. Sie werden nicht so ohne Weiteres mitarbeiten wollen. Zu Anfang vielleicht. Wenn die Wellen der Begeisterung hochschlagen … aber dann? Das Gefühl, nicht mehr bloß zum alten Eisen zu gehören, wird sich schnell abnutzen. Deshalb gründen wir einen Verein mit eindeutigen Zielsetzungen. Die Aufgabe jedes einzelnen Mitglieds ist klar definiert. Jeder hat seine Rechte und Pflichten.

       Oberste Pflicht ist die Preisgabe aller Informationen.

      Uneingeschränkt, Frank – ohne Wenn und Aber. Wir brauchen von jedem einzelnen verwertbare Informationen, die sich in konkrete Politik umsetzen lassen. Das wird nicht so ganz leicht sein. Viele lange, vielleicht sogar quälende Stunden, die mehr Verhören als wohlmeinenden Gesprächen gleichen dürften.“

      „Und wenn die Sache auffliegt?“, fragte ich. „Wenn einer aussteigt und redet?“

      „Unsere Absichten sind nicht unmoralisch, Frank.“

      „Aber die Methoden, nicht wahr?“

      „Was wir mit ihren Informationen machen – wie wir sie einsetzen – ist unsere Sache. Und glauben Sie wirklich, dass einer von denen seine alten Kameraden vor der Presse so leichten Herzens bloßstellen wird? Sie der Geheimbündelei bezichtigen? Dazu überblicken sie auch das Ganze gar nicht.“

       Drittes Kapitel

      KLUBGRÜNDUNG

       1

      Ein Blinder, der in einem stockfinsteren Zimmer nach Dingen sucht, die nicht existieren, hätte mein alter Freund Richards gesagt. Aschs Sendungsbewusstsein musste irgendwann so weit abgehoben haben, dass seine Zehenspitzen schon längst nicht mehr den Boden der Realität berührten, dachte ich, während ich mich ins Bett zurücklegte.

      Nun gut, damit konnte ich leben. War schließlich sein ganz persönliches Problem, was er aus seinen verrückten Einfällen machte.

      Ich saß an der Quelle, ich hatte das Privileg, alles aus nächster Nähe verfolgen zu können – als das eine Drittel des Triumvirats. Sicher gibt es wenig Unterhaltsameres als einen Haufen Verrückter mit moralischen Prinzipien.

      Irgendwann in der Nacht wurde ich vom Lärm des unter mir auf das Wellblechdach trommelnden Gewittergusses geweckt. In diesem Teil der Stadt schien endgültig die Regenzeit angebrochen zu sein, die lange, melancholische Zeit voller Dunst und Düsternis.

      Da ich nicht mehr einschlafen konnte, spülte ich mir den Mund mit einem halben Glas stark verdünnter Zahnpasta aus, zog mich an und ging hinunter, um ein wenig Hotelluft zu schnuppern.

      Die Halle war leer, aber vor dem Eingang – draußen im Nieselregen auf den unebenen Plastersteinen der Zufahrt – saß Lothar Laflöhr und meditierte im Schneidersitz, die Arme abgespreizt, seine Handflächen dem Regen zugekehrt.

      Ich musterte ihn eine Zeit lang durch die regenverschmierten Scheiben. Sein Oberkörper war nackt. Er trug eine helle, grobe Leinenhose, die völlig durchnässt war, und neben ihm auf dem Pflaster lag sein Zwicker.

      Nun gut – auch damit konnte man leben!

      Als ich eines der beiden Frühstückszimmer passierte, hörte ich drinnen Stimmen. Jemand sagte: „Sander wird sich kaum auf ein so dubioses Unternehmen einlassen.“

      Darauf die Antwort: „Warten wir’s ab. Ich sage schon jetzt: Bei der Sache werden sich schnell Fraktionen bilden. Dann kommen die Macht-, die Diadochenkämpfe. Und Sander ist noch das


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