Das Veteranentreffen. Peter Schmidt
mimte Unbekümmertheit, während ich mich verstohlen zu vergewissern versuchte, dass er nichts vom Messer in seiner Faust ahnte.
„Typischer Fixer“, sagte er. Er schien das Wort ‚typisch’ heiß und innig zu lieben, jedenfalls der Betonung nach. Es erklärte alles. „Das Viertel hier wimmelt davon. Diese Burschen sind reichlich schnell mit der Klinge bei der Hand. Ein falsches Wort, und man hat keine Gelegenheit mehr, über seinen Fehler nachzudenken.“
„Mein Fehler war wohl hauptsächlich, Ihren Eingang zu betreten?“
„Kommen Sie – trinken wir an der Bar zusammen ein Glas auf Kosten des Hauses.“
Ich nahm dankend an. Er ging höchstpersönlich hinter die Theke, so smart und agil, wie er war. Alles war ausgesprochen typisch – der eine draußen, der jetzt wie vom Teufel verfolgt in die Pedalen seines Fahrrads trat, ein typischer Fixer, und er selbst der typische Manager in dunkelgrauem, feingestreiftem Anzug mit diamantbesetzten Manschettenknöpfen.
Er begann uns beiden ein Mordsgebräu aus so ziemlich allem zusammenzumixen, was die Hotelbar zu bieten hatte.
Obendrauf kam ein kräftiger Spritzer Zitrone mit saurer Sahne. Zuletzt warf er noch bedeutungsvoll die Augen rollend eine dunkle Riesenolive in den Sud.
Fast kam mir der Verdacht, es sei der zweite Anschlag auf mein Leben an diesem Tag. Aber dann probierte ich doch das Gemisch – skeptisch und mit spitzen Lippen … und fragte mich nach dem dritten Glas, warum das Zeug nicht längst von einem findigen Alkoholfabrikanten als Getränk des Jahrhunderts herausgebracht worden war.
„‘n Knüller, was?“
„Sie hätten Sprithersteller werden sollen.“
„War mal Kellner auf ‘nem Ozeanriesen.“
Ich nickte, spülte langsam, Schluck für Schluck, den Rest meines Glases hinunter und dachte darüber nach, warum ein beleidigter Westberliner Fixer so schnell mit dem Messer zur Hand sein sollte. Andererseits:
Das breite Stummelmesser sprach dafür, dass er sich nicht allzu gut auf seine Arbeit vorbereitet hatte. Sah eher so aus, als habe er nur mal eben sein Arbeitswerkzeug zum Shitabschaben herausgeholt.
Zweites Kapitel
UNRUHIGE NÄCHTE
1
Als mein Mietwagen durch die Bahnunterführung rumpelte – regennass glänzende Pflastersteine aus Kaiser Wilhelms Zeiten, so groß wie Kinderköpfe –‚ erinnerte der Murellenberg mit seinem düsteren Nadelwald und den aufsteigenden Nebeln eher an ein verwunschenes Märchengehölz.
Und so kam ich mir auch vor: wie der Zauberer im Märchen, der durch Alchemie und magische Sprüche all die zu Fichten und Sträuchern erstarrten Schemen in menschliche Wesen zurückverwandelte…
Dass mir diese Rolle zufallen würde, daran zweifelte ich keinen Augenblick. Agenten in fortgeschrittenem Alter leiden oft an Potenz-Problemen (angespannte Nerven, die jetzt den Dienst versagen, und ein Leben voller Sublimierungen, denn all die Ränkespiele, Täuschungen und Hinterfotzigkeiten haben auch ihre erotische Dimension).
Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, ihre Waden wegen eines unheilbaren Venenleidens einzucremen – und so auf ziemlich handgreifliche Weise mit ihrer angeschlagenen Gesundheit konfrontiert werden –‚ trauern sie gern verpassten Gelegenheiten nach.
Jede über die Straße hüpfende Bluse stürzt sie in den unlösbaren Konflikt, all die kribbelnde Alterslüsternheit mit den beschränkten Möglichkeiten ihres Wasserhahns in Einklang zu bringen.
Das macht sie hochgradig empfänglich für obszöne Scherze und Zoten der derbsten Sorte. Aber auch so unausstehlich wie ein gelangweiltes Theaterpublikum – als warteten sie nur darauf, dass ihnen jemand von der Bühne ein passendes Stichwort zuwirft …
Sie lieben es, ihrem Zynismus Luft zu machen, und wenn eben möglich, ist das Opfer ihrer Attacken die hohe Politik oder das weibliche Geschlecht.
Alles Weitere – eigene und gegnerische Dienste, Pferdetoto und Gesundheitskost – kommt erst später.
Sie singen das Pommernlied mehr recht als schlecht, aber immer voller Inbrunst, sammeln alte Volkslieder und feiern Kaisers Geburtstag mit verdünntem Aquavit (wegen der angeschlagenen Leber). Doch ein Treffen wie dieses würde sie unweigerlich dazu verführen, dem staunenden Publikum ihr ganzes Repertoire an nationalen Schmähungen und geschlechtsbezogenen Gemeinheiten darzubieten.
Ich galt in ihren Kreisen als einer, der die Kunst des passenden Stichworts beherrscht, deshalb machte ich mich auf ein paar unruhige Abende und Nächte gefasst.
Die Schilder ‚Zum Waldhof’ waren drei verbogene Bleche, etwa so unleserlich wie Regenschleier auf einer schmutzigen Fensterscheibe; das letzte stand unmittelbar vor der Einfahrt in den Waldweg – oder besser gesagt:
Es lehnte mit seinem Pfahl an der überhängenden Felswand.
Vielleicht war es von einem Lastwagen erwischt worden, oder der örtliche Märchenwaldriese hatte es aus purem Übermut aus dem Pflaster gerissen.
Mir blieb nicht viel Zeit, darüber nachzugrübeln, denn unter dem Schild winkte mir eine schiefe Gestalt mit Schlapphut und Lodenmantel zu, beide Arme warnend ausgebreitet, als lauere hinter der nächsten Straßenbiegung der sichere Tod.
Bertrand …
Ein Gefühl der Trauer überkam mich, wenn ich daran dachte, wie viel Ruhe und seelischen Gleichmut mich seine Gesellschaft noch kosten würde.
„Frank – teuflisch!“, raunte er, als ich die Beifahrertür aufdrückte.“ Haben Sie wieder Kieselsteine geschluckt, um Ihr Aussehen zu verändern? Oder ist’s das gute Essen?“
Er war nie sehr sparsam mit seinen Komplimenten umgegangen, was mein Übergewicht anbelangte, und ich konterte mit der Frage, ob er seine Pension als Vogelscheuche aufbessere; aber das veranlasste ihn höchstens zu einem nach Knoblauch und Joghurt riechenden Rülpser.
„Politische Lage ziemlich mies, was?“, erkundigte er sich vorgebeugt.
„Mies? Nein, wieso?“
„Heiße Luft … Luftblasen“, fuhr er im Telegrammstil fort. “Diese Fellows im Westen zeigen ihre wahren Absichten. Genosse Gorbatschow reißt ihnen die Maske vom Gesicht. Bewegen sich bloß noch, wenn ihnen auf die Füße getreten wird. Kräftig auf die Füße, Frank. Abrüstung, Vollbeschäftigung, Umwelt und so weiter.“
„Hat Ihnen unser lieber Asch das Ei ins Gehirn gelegt, Bertrand – ach, was sage ich – muss ja ein ganzes Nest voll gewesen sein? Sie klingen wie sein Megaphon.“
„Nun passen Sie mal auf, Frank. Wir sind vielleicht ausrangiert, stehen auf dem Abstellgleis und so weitet Aber alte Waggons kann man schließlich wieder flott machen, oder?“
„Ich denke, um Ihr Chassis zu schweißen, Bertrand, muss man mehr Eisen mitbringen, als die Karre hergibt.“
Er warf mir einen säuerlichen Blick zu. „Sie spielen auf die Berner Sektion an, was? Hab ich nur verloren, weil ein paar Parlamentarier wieder mal zu genau wissen wollten, wie der Laden läuft. Geheimhaltung gleich Null.
So was gilt in unserem Gewerbe als der sichere Untergang. Parlamentarismus, Frank, ist eine schleichende Krankheit. Gefährlicher als jede Attacke auf das Immunsystem. Damit leben Sie noch gut und gern ein paar Jährchen. Aber ein verbrannter Agent wird drüben an die Wand gestellt.“
„Nun übertreiben Sie mal nicht. Dies ist der freieste und wohlhabendste Staat, den wir je auf deutschem Boden hatten. Nicht mal die da drüben stellen enttarnte Agenten noch an die Wand.“
„Sie reden wie der Kanzler, Frank.“
In der Hotelhalle musste ich einen Moment lang verschnaufen, um mich an den Anblick