Das Veteranentreffen. Peter Schmidt

Das Veteranentreffen - Peter Schmidt


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recht ausgemusterte, ‚verbrannte’, haben Ähnlichkeit mit weinerlichen alten Jungfern oder unzufriedenen, in die Jahre gekommenen Junggesellen.

      Anstatt das Dach zu reparieren und den Gartenzaun zu streichen, denken sie lieber über ihre Krampfadern nach. Und manchmal wird daraus eine nächtelange Meditation mit anschließendem Aufenthalt in der Klapsmühle …

      Das Schicksal hat es ihnen verwehrt, ihr Leben wie gewöhnliche Sterbliche zuzubringen. Also hadern sie mit Gott und der Welt, und sobald man sich nach ihren Zukunftsplänen erkundigt, beklagen sie sich bitter:

      „Oh, Sander, Sie wissen ja selbst, wie das ist. Sie stammen aus dem innersten Zirkel. Einmal das Gelübde des Gehorsams, der Ehelosigkeit und Armut abgelegt und für immer hinter Klostermauern verschwunden.“

      Den meisten geht’s finanziell besser, als sich ein armer Schlucker in der Dritten Welt auch nur ausmalen könnte. Sie haben Familie, Zweit- und Drittfreundinnen und manche ein paar homosexuelle Kontakte gegen die eheliche Langeweile …

      Sollten sie irgendwann ihre Kontoauszüge mit denen ihrer alten Klassenkameraden vergleichen, würde sich wahrscheinlich herausstellen, dass die Bilanz nur um den einen oder anderen Swimmingpool schlechter ist.

      Doch das hindert sie nicht, sich vom Leben auf arglistige Weise getäuscht zu fühlen. Ihr Idealismus hat sie die kostbarsten Jahre gekostet, sei’s, um den freien Westen zu retten oder weil es nie eine wirklich gerechte Form von Kapitalismus geben würde.

      Also hätte ich leicht auf ihre Wehleidigkeiten verzichten können! Aber außer Asch waren ein paar illustre Namen darunter, Burschen, die einmal, vor zwanzig oder dreißig Jahren, die Fronten des Kalten Krieges bestimmt hatten.

      Selbst wenn man die meisten von ihnen als gescheiterte Existenzen betrachtete: Sie hatten Politik gemacht und ein paar Kapitel Nachkriegsgeschichte geschrieben …

      Das Gerangel unter den Aufsteigern interessierte mich mehr aus der Sicht des amüsierten Beobachters.

      Aber bei den Alten spürte man manchmal noch etwas vom Ernst jener Jahre – von den schäbigen Geschäften, zu denen sie sich im Namen einer guten Sache hatten hinreißen lassen – vom ehrlichen Bedauern, wenn ihnen ein armer Tölpel ins offene Messer gelaufen war – vom üblen Gefühl in der Magengegend, wenn man eine fünf Tage alte Leiche aus dem Fluss gefischt hatte und sie bei der Identifizierung feststellen mussten, dass es ihr bester Mann in Bukarest war.

      Asch unterschied sich von ihnen allen dadurch, dass er sein Geschäft mit größerer Gleichmütigkeit betrieb.

      Er war immer das gewesen, was man einen ‚sturen Knochen’ nannte. Ohne jede Regung für irgendjemanden (nicht mal für sich selbst), wenn man davon absah, dass wohl genau das irgendwo in seinem Innern eine verborgene Saite zum Klingen brachte. Ziemlich laut zum Klingen sogar, denn diese Art von Vergnügen schien sich nach all den Jahren noch um keinen Deut abgenutzt zu haben.

      Als ich zwei karierte Krawatten und eine warm gefütterte Flanellweste gegen den Wind in den Bergen in meine Reisetasche geworfen hatte, läutete das Telefon, und eine Stimme, die so verstellt klang wie der Wolf im Märchen, sagte beschwörend:

      „Bleiben Sie im Zentrum, Sander. Der Ort in den Bergen war nur ein Ablenkungsmanöver für unsere Gegner. Studieren Sie die Nachricht in Ihrem Briefkasten. Innenseite Umschlag …“

      „Was soll das Versteckspiel, Asch?“, fragte ich. „Warum, zum Teufel, machen Sie so ein …?“

      Er warf krachend den Hörer in die Gabel. Humor war noch nie sein Fall gewesen. Jedenfalls nicht in eigener Sache. Bei so viel Verbissenheit hätte sich ein anderer längst mit aufgebrochenen Magengeschwüren herumgeplagt.

      Nicht so Asch: Sein Organismus bestand hauptsächlich aus Sendungsbewusstsein.

      Ich glaube, jede einzelne Zelle war so durchtränkt davon, dass sie gar keine Gelegenheit hatte, an irgendwelche Fehlsteuerungen zu denken. Krebs oder Entzündung wäre ihr als lächerliches Ablenkungsmanöver vorgekommen.

      Erstaunlich viel Anachronismus in einer Zeit, die politisch nur so von Verbindlichkeiten und guten Absichten strotzt, hätte man meinen können.

      Russen und Amerikaner umarmten einander wie wieder gefundene Brüder. Die Dienste verbrachten ihre Tage damit, kompromittierende Akten aus dem Kalten Krieg zu vernichten und Bestandsaufnahme zu machen. Selbst ausgefuchste Geheimdienstler waren zu besseren Lagerverwaltern degradiert worden.

      Wie viele Raketen Ost gegen Bomber West? Welche Konzessionen in Mittelamerika gegen einen schnellen Abzug aus Afghanistan? Man musste sich nach anderen Objekten der Begierde umsehen, wenn man nicht eines bösen Tages mit der unangenehmen Selbsterkenntnis konfrontiert werden wollte, dass man über Nacht zum Kreide fressenden Wolf geworden war.

      Asch bewältigte das alles auf seine Weise. Ich erinnere mich, dass wir – noch vor den großen Veränderungen in der DDR – bei einem feuchtfröhlichen Zug durch Westberliner Kneipen versehentlich auf dem Ostberliner Bahnhof Friedrichstraße gelandet waren.

      Die Bahn unterquert nach der U-Bahnstation Kochstraße den Ostsektor, um erst im Norden bei Wedding wieder West-Berlin zu erreichen. Asch war zwar in Berlin zu Hause, aber irgendwann kurz vor Mitternacht setzte sein logistischer Verstand aus.

      Bis dahin hatten wir das Revier nach Planquadraten abgegrast. Er ließ seine Taschenflasche zwischen ein paar tätowierten Süffeln kreisen, die am Halleschen Tor zugestiegen waren, und so vergaßen wir einfach, auf die Bahnsteignamen zu achten.

      Also stiegen wir an der nächsten Station aus, dem einzigen Zwischenbahnhof auf Ostberliner Gebiet, und befanden uns plötzlich im Niemandsland vor der ostdeutschen Grenzabfertigung.

      Drei Vopos standen in militärisch strammer Haltung auf dem unterirdischen Bahnsteig, als hätte ihnen ein wohlmeinender Schaffner noch schnell per Funk unsere Ankunft avisiert. Asch zog mich zur Treppe, wo sich hinter einem Tunnelgang die Pass- und Zollstelle befand. Aber der ältere der Vopos, vielleicht ihr Vorgesetzter, rief uns auf gut sächsisch nach:

      „Darf ich die Herren fragen, was Sie um diese späte Stunde noch im Ostsektor wollen? Tagesvisa gelten nur bis Mitternacht.“

      Dabei legte er diskret die rechte Hand ans Koppel, sein Gesicht war plattnasig und leicht slawisch: also genauso, wie man sich den Feind im Osten vorstellt.

      Asch machte sofort auf dem Absatz kehrt, umarmte ihn und sagte mit überschwänglichem Tonfall:

      „Inspekteure der Gegenseite im eigenen Lager. Ordenbehängte Haudegen beider Seiten schütteln sich beim gemeinsamen Manöver die Hand, Freunde – welche Grenzen können uns jetzt noch trennen?“

      Da war er aber an den Falschen geraten!

      Sie hatten hier unten die Polizeigewalt, gar keine Frage, auch wenn der Bahnsteig vor der eigentlichen Abfertigung lag. Wir wurden nach allen Regeln der Kunst gefilzt, und zwanzig Minuten später verfrachtete man uns in den nächsten U-Bahnzug Richtung Westsektor.

      Asch verlangte den Regierenden Bürgermeister zu sprechen.

      Er wollte sein Recht auf freien Zugang zum Bahnsteig.

      Ich hatte Mühe, ihn von den automatisch schließenden Türen zurückzureißen.

      In dieser Nacht vertraute er mir an, dass es für ihn keine größere Aufgabe gebe, als die begonnene Friedensmission fortzusetzen.

      „Die Welt dürstet nach Verständigung, nach moralischer Erneuerung, Frank. Das ist es, was wir gegen die Erinnerung an den Kalten Krieg setzen: Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit. Genosse Gorbatschow drüben im alten Moskau hat uns schließlich das Stichwort geliefert: Glasnost – Transparenz … auch in den Diensten.

      Und was könnten die drüben besser, was wir nicht schon längst können, Frank?“

      In jener Nacht, im polternden U-Bahnzug, ahnte ich noch nicht, wie ernst er es damit meinte.

       2

      Also ging ich hinunter an


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