DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL. Nancy Salchow

DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL - Nancy Salchow


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vor der Welt verstecken, Engelchen.“

      „Und wenn es genau das ist, was ich möchte? Wenn ich mich verstecken will?“

      „Willst du nicht. Abgesehen davon solltest du die Sache mit Detlef nicht allzu ernst nehmen. Was ist schon dabei? Ihr geht essen, habt ?nen netten Abend und hinterher ...“

      Nita puffte ihr entsetzt in die Hüfte. „Hinterher? Sag mal, was denkst du von mir? Dass ich mir nichts dir nichts mit ihm in die Kiste springe?“

      „Warum nicht? Es würde dich zumindest auf andere Gedanken bringen.“

      „Also, wenn das deine Pläne für meinen Abend mit deinem Cousin sind, lassen wir es lieber gleich bleiben.“

      Claudia lachte. „Ach, Nita. Du siehst das viel zu verbissen. Es geht lediglich um das Testen deines Marktwertes, sich wieder begehrenswert zu fühlen, von Detlef und sicher auch vielen anderen Männern, die im Restaurant anwesend sind, bewundert zu werden.“ Sie streichelte ihr schwesterlich über die Wange. „Du wirst sehen, das wird dir guttun und dich endlich aus deinem grauen Alltag herausholen.“

      „Mein Alltag ist nicht grau.“

      Claudia rückte ein Stückchen näher und legt den Arm um sie. „Es ist ja nicht so, dass ich dich nicht verstehe. Du hast ein paar schlimme Monate hinter dir, und es wird auch sicher noch eine Weile dauern, bis ...“

      „Falls du darauf hinaus willst, dass ich Patrick mit der Zeit schon vergessen werde, muss ich dich leider enttäuschen“, fiel Nita ihr ins Wort.

      „Natürlich wirst du ihn nicht vergessen“, sagte sie. „Und das sollst du ja auch gar nicht. Aber du darfst auch dein eigenes Leben nicht vergessen, Nita. Ich meine, willst du wirklich den Rest deiner Tage zwischen eingestaubten Bücherregalen verbringen und abends dann über deinem Tagebuch sitzen, bis du wieder mal mit dem Kopf auf dem Schreibtisch eingeschlafen bist?“

      Nita senkte den Blick. „Es ist kein gewöhnliches Tagebuch. Ich schreibe ihm. Und ich brauche das. Egal, was du davon hältst.“

      „Das ist ja auch in Ordnung, Süße. Ich wäre die Letzte, die das verurteilen würde. Du darfst nur bei all den Gedanken an ihn nicht den Blick auf die Außenwelt verlieren. Er kommt nicht zurück. So schmerzhaft das auch ist. Und du wirst lernen müssen, das endlich zu verinnerlichen.“

      Sie war Claudias direkte Art gewohnt. Und sie wusste, dass sie es gut meinte. Dennoch fühlte sie sich in Momenten wie diesen missverstanden. Wie konnte irgendjemand erwarten, dass sie ihr Leben mit Patrick einfach hinter sich lassen, einfach nach vorne schauen würde? Es war zwölf Monate her. Nur ein Wimpernschlag in der Zeit.

      „Er ist nicht fort“, antwortete Nita leise. „Nicht wirklich.“

      *

      „Du siehst wirklich reizend aus.“

      Er prostete ihr mit aufforderndem Lächeln zu. Das Wasserglas neben ihrem Teller wollte nicht so recht zu der Extravaganz seines teuren Rotweins passen. Und auch sonst schienen ihre Prioritäten wenig vereinbar mit seinen Vorlieben.

      „Danke“, antwortete sie knapp und stocherte in ihrem Salat, ohne seinen Blick zu erwidern. Sie war sich der Unhöflichkeit ihres Verhaltens bewusst, dennoch schaffte sie es nicht, ihr Desinteresse zu verbergen.

      „Claudia sagt, du arbeitest in einem Bücherladen. In welchem denn, wenn ich fragen darf?“

      „Drüben am Dierkower Damm“, antwortete sie. „Wir arbeiten zu dritt in dem Laden.“

      „Das klingt toll. Und er gefällt dir, dein Job?“

      „Sicher. Sonst würde ich ihn nicht schon neun Jahre lang machen, oder?“

      Sie erschrak über ihre eigene Kaltschnäuzigkeit. Wenigstens für zwei Stunden könnte sie sich doch zusammenreißen! Selbst wenn sie ihn danach weder anrufen noch wieder treffen würde.

      „Ich mag Bücher halt sehr gerne“, fuhr sie fort und warf ein dezentes Lächeln hinterher.

      „Schön zu hören, dass es noch Menschen gibt, die ihren Job wirklich lieben.“

      „Und du?“, fragte sie. „Ich habe gehört, du machst irgendwas mit Steuern?“

      Er lachte. „Irgendwas mit Steuern. Das klingt aber sehr – pauschal.“

      „Dann habe ich vermutlich etwas falsch verstanden.“

      „Ich arbeite als Angebots- und Präsentationsdesigner in einer Gesellschaft für Unternehmens- und Managementberatung“, stellte er richtig.

      „Verstehe“, log sie und merkte, dass es sie ebenso wenig interessierte wie der Jahrgang seines Weins. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? Sie war nicht mal in der Lage, sein Aussehen wahrzunehmen, geschweige denn, ihn als gut oder nicht gut aussehend zu benennen. Er saß einfach da. In einem hellgrünen Hemd, unter dem sich die Abdrücke seines Unterhemdes abzeichneten. Das Einzige, das sie wahrnahm. Und das Einzige, das sie Claudia nach diesem Abend erzählen können würde. Ich habe die Abdrücke seines Unterhemdes gesehen.

      „Na ja, man schlägt sich so durch“, antwortete er. „Jeder hat halt so sein Steckenpferd, nicht wahr?“

      Sie nickte. Steckenpferd. Unterhemd.

      „Außerdem lerne ich auf diesem Wege sehr viele neue Menschen kennen“, fuhr er fort. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie unterschiedlich die Anforderungen der einzelnen Kunden sind und wie vielschichtig die Kriterien, die auf die verschiedenen Arbeitsabläufe einwirken.“

       Steckenpferd. Unterhemd. Arbeitsabläufe.

      Sie wurde müde.

      „Würdest du mich für einen Augenblick entschuldigen?“

      „Aber natürlich. Lass dir Zeit.“

      Sie verließ den Tisch und durchquerte den Raum in Richtung Damentoilette. Für ein paar Sekunden ließ sie ihren Blick durch das Restaurant schweifen, auf der Suche nach den von Claudia prophezeiten bewundernden Blicken der anwesenden Männer. Doch im selben Augenblick musste sie erkennen, dass sie gar nicht in der Lage wäre, Bewunderung von Wahrnehmung zu unterscheiden. Genauso wenig wie sie in der Lage war, Claudias Cousin als langweilig, selbstverliebt oder sehr aufmerksam einzuordnen. Er war ihr egal. Schlichtweg egal.

      Vielleicht würde ihr auf der Toilette eine geeignete Ausrede einfallen, den Abend vorzeitig abzubrechen.

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