Die kalten Spuren im heißen Wüstensand. Maxi Hill
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Maxi Hill
Die kalten Spuren im heißen Wüstensand
Eine dramatische Flucht aus Afrika, voller Hoffnung, ohne Wiederkehr.
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Inhaltsverzeichnis
Wer sind wir, dass wir leiden müssen?
Von Kammerjägern und Heuschrecken
Verloren in der Wüste
Könnte der Allmächtige von oben herabblicken, würde er ein Häufchen unglücklicher Menschen durch eine Welt stapfen sehen, die kein barmherziger Gott erschaffen haben kann. Wer hier seinen Fuß setzt, ist verloren. Kein Land, kein Zustand – nur Sand und Öde…
Es ist brütend heiß. Der Wüstenwind ist unbarmherzig. Sand dringt in Nase und Rachen. Die Luft ist so trocken, dass die Schleimhäute zusammenkleben und der Atem aussetzt.
An diesem Mittag sind sie tief im Inneren eines Landes, das die sechzehnjährige Ashanti und ihr achtjähriger Bruder Kanzi nicht kennen. Seit sie erbarmungslos von diesem LKW wieder ausgespuckt wurden, kann ihre Mutter Dzemila mit dem Flüchtlingstreck zu Fuß nicht mehr mithalten. Zwei kräftige junge Männer legen sie in den Schatten eines spärlich gewachsenen Dornenstrauches. Ashanti zupft den Kente über die blanke Haut von Mutters Beinen, dann nimmt sie ihren Bruder Kanzi und drückt sein verweintes Gesicht an ihre Seite. Zum ersten Mal seit dieser Flucht vor dem Entsetzen stehen sie wieder entsetzt und machtlos zwischen all den gaffenden Menschen.
Eine Frau aus der Gruppe murmelt vor sich hin: »Gott bestraft die Missetaten über die Kinder.«
Welche Missetat sollte Mutter Dzemila begangen haben? Sie musste fliehen, weil andere an ihr Missetaten verübten. Nein, Mama ist ein guter Mensch.
Dzemila liegt im Sand an einer Stelle, wo man nur einen dünnen Kente ausgebreitet hat. Ihr Haar ist noch immer schön, es ist stark von Wuchs, aber nicht so kraus wie bei anderen Menschen diese Gegend, aus der sie kommen. Es ist glattgebürstet und straff gezurrt. Am Hinterkopf halten drei weiße Ringe den dicken Strang zusammen. Ashanti ist stolz auf ihre Mama. Sie hat auch das Haar ihrer Kinder genauso gepflegt, wie das eigene. Ihre Herkunft wollen sie mit dem glattgebürsteten Haar nicht vertuschen, sie wollen modern sein und variabel. Ashanti greift an die kleinen Schnecken rechts und links über jedem Ohr. Noch gestern hatte Mama sie gekämmt und dabei ihr Haar korrekt gescheitelt und beiderseitig festgezurrt zu diesen Schnecken. So fällt kein Haar in die verschwitzte Stirn.
Warum geht es ihrer Mutter auf einmal so miserabel?
Ashanti nimmt ihren kleinen Bruder in den Arm und wiegt ihn hin und her – mehr aus Verunsicherung als durch irgendeine Not. Sie liebt ihren Bruder, wie man einen Bruder nur lieben kann.
Auch Dzemila hat einmal sehr geliebt. Das hat sie Ashanti erzählt, als sie zusammen weit weg von hier vor dem eigenen Haus gesessen und Mais gepuhlt haben.
Dzemila sollte mit einem Mann verheiratet werden, den sie nicht einmal kannte. Doch sie liebte Dikembe – einen Fremden. Auch mit ihm hatte seine Familie genaue Pläne, doch beide gehorchten ihren Vorfahren nicht. Dikembe war in die Fremde geflüchtet, wo er Dzemila begegnete. Sie folgte ihm aus Liebe. Beide wurden von den Familien ihrer Liebe wegen verachtet und standen mit sich allein auf der Welt. Sie galten als aufmüpfig, ungehorsam und ehrlos.
Ashanti will niemals ungehorsam sein. Auch jetzt nicht. Noch vor ein paar Stunden hatte Mama gesagt: »Ihr sollt euch keine Sorgen machen. Habt ihr verstanden! Ich brauche nur etwas Ruhe!«
Wenn es auch kein guter Ort ist, diese Ruhe gönnt man ihr zum Glück. Alle können eine Rast vertragen.
Für die wenigen Kinder der Gruppe ist der Anblick einer halbtoten Frau Grund zur körperlichen Abkehr. Für andere ist die Angelegenheit eine willkommene Unterbrechung der Strapazen, wenn nur die Sonne nicht so erbarmungslos wäre. Auch wünschte sich jeder, dass der wenige Schatten für alle Leiber reichen würde. Der Rest der Menschen, die sich nicht wirklich kennen, steht ratlos da. Ungeduldig. Keiner blickt dezent beiseite, als eine der Frauen den Kente an Dzemilas Brust und Hals lockert, um ihrem immer schwächer werdenden Atem wieder Raum zu geben. Dennoch warten alle gemeinsam. Worauf, das wissen die beiden Kinder nicht.
Die jungen Männer flüstern verholen: Wären die keifenden Weiber nicht und ihre plärrenden Kinder, ohne diesen Ballast wären sie längst über alle Berge. Die Frauen denken: Wären nicht so viele junge Wilde aufgestiegen, der LKW würde noch immer den Wüstensand durchpflügen. Woher die jungen Männer kamen, weiß niemand.
Nur Mbalu, ein dreißigjähriger kräftiger Mann aus dem Inneren des Kontinents, denkt: Dieser Nsenga ist mir nicht geheuer. Nsenga hat das Sagen und alle müssen ihm gehorchen. Er ist von kleinem, kräftigem Wuchs. Aus seinem kugelrunden Schädel blitzen feuchte, flinke Augen. Nichts entgeht ihm, alles hat er im Blick. Noch…
Vielleicht hat er uns verkauft und das viele Geld hat er längst verhökert, denkt Mbalu. Warum lässt er den Fahrer mit seinem vierrädrigen Motorrad alleine davonfahren? Warum wusste keiner, dass