Bestseller. Marion Selbmann
einen Rahmen aus massivem Holz und in der Mitte eine Scheibe aus Milchglas. Marina tastete den Rand der Tür ab und fand den Hausschlüssel. Sie schloss auf. Licht flutete in einen langen Flur. Links war die Garderobe. Über dem kleinen weißen Schuhschrank hing ein ovaler Spiegel. Marina blickte hinein und erschrak. Wie so oft in letzter Zeit blickte eine völlig Fremde sie daraus an. Diese ewige Enge, diese Grübelei, Rechnerei hatte sie um Jahre altern lassen.
Gleich heute wollte sie beginnen, ihren Bestseller zu schreiben.
Sie ging weiter geradeaus durch eine offen stehende Tür in die Küche. Diese war modern eingerichtet. Der Fußboden war gefliest, das Licht konnte ungehindert durch das gardinenlose Fenster fließen. Hell gestrichene Wände ließen den Raum größer scheinen, als er war. Marina öffnete einen der Hängeschränke. Sie fand Brot, Zucker, Salz und alles, was man sonst so brauchte. Im Kühlschrank stand eine Flasche Kirschsaft, Butter, Marmelade. Im unteren Fach lag eine Salami.
„Kein Obst. Kein Wein. Ich muss morgen doch noch mal in den Ort fahren.“
Marina ging zum Auto, um die Kiste mit Nudeln, Reis und fünf Päckchen Kaffee zu holen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie jemand beobachtete. Sie schaute sich um, konnte aber nichts entdecken.
„Geht ja zeitig los mit dem Verfolgungswahn“, zischte sie.
Sie ging zurück ins Haus. Als alle Taschen aus dem Auto geräumt waren, setzte sie die Erkundung des Gebäudes fort. Sie kam in ein lichtdurchflutetes Wohnzimmer. Es hatte ein großes Panoramafenster und eine schmale Glastür, welche zu einer Terrasse führte. Hier gab es ebenfalls keine Gardinen.
„Oh, toll. Da kann ich draußen frühstücken, wenn das Wetter mitspielt“, sagte Marina entzückt.
Das Wohnzimmer war mit hellem Parkett ausgelegt. Das Sofa, zwei gelbe Sessel und ein kleiner Glastisch standen links im Raum. Gegenüber die braune Anbauwand. Nur eine silberne Schale und eine gelbe Porzellankatze standen darauf. Marina stemmte die Fäuste in die Hüften. Sie war angenehm überrascht. Im Badezimmer gab es eine Badewanne und eine separate Dusche. Groß war das Bad. Größer als zu Hause. Auf hellgrünen Fliesen schwammen kleine schwarze Seepferdchen.
„Nun muss ich nur noch das Schlafzimmer begutachten.“
Sie ging pfeifend durch die Räume, bis sie zu einer weiß gestrichenen Holztür kam, die verschlossen war. Sie drehte den Schlüssel und drückte die Tür nach innen auf. Sie quietschte und stöhnte beim Öffnen. Rechts stand ein Bett mit verschnörkeltem Holzrahmen. Es war mit blauer Bettwäsche bezogen und breit genug für zwei. Ein alter Schrank gegenüber sah aus, als hätte man ihn auf dem Flohmarkt erstanden. Der Kontrast zu der übrigen Einrichtung war gewaltig. Es gab auch ein Fenster. Trotzdem war es dunkel im Raum.
„Wird wohl daran liegen, dass es die Nordseite ist“, meinte Marina lapidar.
Sie schaute zur Decke. Neben der alten Lampe entdeckte sie eine Holzklappe mit einem Haken daran. Es gab also einen Dachboden. Sie schüttelte sich. Sie würde diese Klappe niemals öffnen.
Die Nacht brach mit voller Wucht über das Land herein. Es wurde mit einem Schlag dunkel. Marina hatte alle Utensilien verstaut und sich ein kleines Abendbrot zubereitet.
Sie drehte die Heizung im Wohnzimmer und in der Küche auf und das Licht an. Dann holte sie ihren Laptop. Sie machte es sich in einem der Sessel bequem, legte die Beine auf den daneben stehenden Hocker und begann zu schreiben.
Die Zeit verging wie im Flug. Marina hatte den Anfang der Geschichte klar vor Augen. Es fiel ihr also leicht, die Protagonisten agieren zu lassen und Spannung aufzubauen. Sie schaute auf die Uhr und war erstaunt. Es war bereits nach elf Uhr. Jetzt machte sich auch wieder ihr Rücken bemerkbar. Er schmerzte fürchterlich. Sie beschloss ins Bett zu gehen und schlief auch sofort ein.
13. Oktober 2012
Am nächsten Morgen schlug sie die Augen auf. Sie räkelte sich, zog die Bettdecke bis zum Kinn und blieb noch einen Moment liegen.
„Ich habe tatsächlich durchgeschlafen.“
Lächelnd überlegte sie, wie sie den Tag gestalten würde. Zuerst gemütlich frühstücken, dann noch mal in den Ort fahren, um etwas Obst und einige Flaschen Wein zu kaufen. Die Gegend erkunden und danach ein ausgiebiges Schläfchen machen, denn sie wollte ja des Nachts schreiben, um die Atmosphäre des Grauens besser einfangen zu können.
Marina begegnete niemandem auf dem steilen Waldweg hinunter ins Dorf. Als sie die ersten Häuser sah, überkam sie ein merkwürdiges Gefühl. Ihr war, als würde sie die Zivilisation ein letztes Mal erblicken. Schnell schüttelte sie den Gedanken wieder ab. Sie hielt direkt vor einem kleinen Tante-Emma-Laden. Eine Glocke klang an der Eingangstür beim Betreten des Geschäftes. Marina steuerte sofort auf das Regal mit den Spirituosen zu. Dieses Laster, von dem sie niemals geglaubt hatte, dass es ausgerechnet sie ereilen könnte, war nach der Schließung der Praxis über sie hereingebrochen. Nicht etwa wie ein Sturm. Im Gegenteil. Ganz langsam wie ein laues Lüftchen, das sich immer mehr zu einem Unwetter aufbaute. Es war auch nicht so, dass sie übermäßig viel trank. Nur gerade so viel, um für kurze Zeit die Sorgen zu vergessen. Sie nahm eine Flasche Rotwein aus dem Regal und las das Etikett.
„Das regt die Kreativität an“, murmelte sie.
Sie ging zur Kasse und bezahlte eine Kiste des Göttertrankes. Der junge Verkäufer schmunzelte und fragte in passablem Deutsch, ob sie eine Party feiern würde. Marina lächelte zurück.
„Nein, ist alles für mich.“
Sie beugte sich etwas nach vorn.
„Aber keine Angst. Dies ist der Vorrat für drei Wochen.“
Sie streckte ihren Körper und hob stolz den Kopf.
„Ich schreibe nämlich ein Buch, wissen Sie? Oben in dem alten Försterhaus. Dort hab ich Ruhe und die Einsamkeit ist eine Wohltat.“
Marina blickte auf und bemerkte den entsetzten Blick des jungen Mannes.
„Ja wissen Sie denn nicht, was da oben geschehen ist?“
Er schaute sich um und fuhr flüsternd fort.
„Da wurde vor zirka acht Jahren eine Frau ermordet. Man fand nur ihre rechte Hand in einer Lache von Blut. Alle im Dorf glauben, dass sich dieser Irre immer noch in den Wäldern herum treibt. Womöglich ist er sogar hier aus dem Dorf. Sie dürfen dort nicht bleiben. So ganz allein.“
„Ich glaube nicht, dass sich da oben ein Mörder herum treibt. Außerdem ist seitdem noch nichts wieder passiert. Also war der Mord damals bestimmt das Resultat eines Beziehungsdramas. Wäre es ein Serienmörder gewesen, hätte es immer wieder tote Frauen gegeben. Glauben Sie mir.“
Der junge Mann wackelte mit dem Kopf.
„Kann sein, dass Sie Recht haben. Aber gefährlich ist es dort oben allemal. Es gibt Luchse, sogar Wölfe.“
Marina winkte ab.
„Tiere sind niemals schlecht. Im Gegenteil. Sie sind treu. Merken genau, wer es gut mit ihnen meint und vergessen niemals, wer ihnen Böses angetan hat. Sie sind ein bisschen wie ich. Genau deswegen komme ich so gut mit ihnen aus.“
Marina wollte das Gespräch nicht fortsetzen und griff nach der Kiste mit den Weinflaschen.
Der Mann kam ihr zuvor und trug die Kiste zu ihrem Auto.
„Kommen Sie doch alle paar Tage in den Ort, damit ich weiß, dass es Ihnen gut geht“, sagte er besorgt.
Sie nickte. Sie würde es nicht tun. Ganz bestimmt nicht.
Ein Kaffee, eine Laugenbrezel und dazu diese himmlische Ruhe. Marina hatte das Mittagessen weggelassen. Stattdessen trank sie einen Kaffee und aß dazu die frische Brezel. Sie nahm einen Schluck aus der Tasse und schloss die Augen. Sie hatte sich vorgenommen, wirklich jede Kleinigkeit zu genießen. Einmal nicht an die Schulden, an die Schmerzen und Depressionen denken, die ihr die letzten Jahre zum Alptraum werden ließen. Doch kaum waren die Augen geschlossen, kamen