Herr Fuchs (86) kauft ein Auto. Joachim Kath
er als Konsument in seinem Alter noch so im Fokus stand, wunderte ihn schon ein bisschen. Aber die Algorithmen, man kenne das ja, da müsse man halt durch! Wie früher in der Schule, nur unsichtbarer!
Man kann sich Herrn Fuchs (86) so vorstellen: Er sieht, auch wenn er schon reich an Jahren und an Erfahrung ist, noch recht jugendlich aus, mit seinem vollen, weißen Haar, das einmal rot war und er entsprechend aufmüpfig und das Gesicht voller Sommersprossen. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, doch ziemlich beweglich und gut durchblutet ist er immer noch. Seine Kontroll-Jeans passen ihm auch noch, was beileibe nicht jeder der Rentner von sich behaupten kann. Ganz ohne Diäten und Jojo-Effekt. Er hält sich nicht für intolerant, nicht einmal gegenüber Laktose und Gluten. Außerdem macht er seinem Namen geistig alle Ehre. Augenzwinkernd nennt er sich einen modernen Performer, der mitmacht, solange es geht. Das Gute am Altwerden wäre schon mal, dass man nicht schon früh gestorben sei. Schlau wie ein Fuchs, kann er durchaus, wenn er will, sogar ziemlich intellektuell und ironisch sein. Auch zuweilen recht humorvoll, auf eine ganz besonders trockene und von der jeweiligen Situation abhängigen Art. Ein schneller Denker eben, den man sehr leicht und häufig unterschätzen kann.
Diese für ihn typischen Eigenschaften hatten offenbar nicht wenige Leute in seinem langen Leben reichlich oft übersehen und sich nachher einigermaßen gewundert. Was ihn, wie er schmunzelnd meinte, besonders optimistisch stimme, sei die Tatsache, wider Erwarten doch nicht so unterdurchschnittlich begabt zu sein wie seine Lehrer ursprünglich dachten. Aber deren Meinung hätte er ohnehin nicht ernst nehmen können, das wäre nur ein wild zusammen gewürfeltes Kollegium von politisch Verführten und im Krieg Traumatisierten gewesen, der Club der Rohrstock schwingenden Pädagogen. Ein herausragender Schüler sei er nicht gewesen, weil ihm in der Jugend die Einsicht gefehlt hätte, etwas zu lernen, was er nicht anzuwenden gedachte. Und das wäre vom gesamten Lehrstoff das meiste gewesen. Immerhin hatte Herr Fuchs es neben seinem Hauptberuf als Unternehmer zum Honorarprofessor gebracht, führte aber seinen akademischen Titel nicht. Mit der skurrilen Begründung, es wäre ihm zwar peinlich, für bescheiden gehalten zu werden, aber mit der Hybris des universitären Betriebes wolle er nicht täglich konkurrieren. Es wäre ihm einfach zu anstrengend, die Redundanz wissenschaftlicher Diskurse permanent zu dechiffrieren.
Die Mathematiker unter uns werden es vermutlich im Kopf ausrechnen können, unser Herr Fuchs wurde bereits im vorigen Jahrhundert geboren, wie bisher die meisten von uns. Nicht vor dem ersten, aber doch lange vor dem Zweiten Weltkrieg. Lassen Sie mich mal meinen Taschenrechner zur Hilfe nehmen, doch, es stimmt schon, er kam tatsächlich im Jahre 1925 auf die Welt. Ein ganz besonders schreckliches Jahr, wie er gerne behauptete. Gerade aus Sicht der Deutschen: Die NSDAP wird neu gegründet, die SS wird als Leibwache für Adolf Hitler aufgebaut, der im selben Jahr aus der Festungshaft entlassen worden war, wo er sein Buch „Mein Kampf“ Rudolf Hess diktiert hatte, das dann auch im Juli erschien. Gut, es wäre auch ein fruchtbares Geburtsjahr für Komiker im weitesten Sinne gewesen, mit Jack Lemmon, Tony Curtis, Eddi Arent, Peter Sellers und Margret Thatcher. Der letzte Deutsche Kaiser und König von Preußen Wilhelm II. lebte zwar noch, aber hatte 1918 nicht gerade freiwillig abgedankt, denn sein Rücktritt wurde von den Kriegsgegnern als Voraussetzung für Friedensverhandlungen gefordert. Fortan befand sich der Monarch in Holland im Exil, glaubte aber zeitlebens an seine Rückkehr auf den Thron. Und das hohe Militär, feige wie es schon immer war, hatte sich nach der Kapitulation als für im Felde unbesiegt erklärt und es den Zivilisten überlassen, die Republik auszurufen und mit der folgenden Wirtschaftskrise fertig zu werden. Es gab damals nur 200.000 Autos in Deutschland, heute rund zweihundert Mal so viele. Jedenfalls lief im Geburtsjahr unseres Herrn Fuchs hierzulande das erste Auto vom Fließband, ein grüner Opel, den der Volksmund Laubfrosch nannte, nicht nur wegen seiner Farbe, sondern auch seiner sprunghaften Fahreigenschaften. Angetrieben von einem 1-Liter-Motor konnte man damit knapp 60 Stundenkilometer erreichen. Alles für 4.000 Reichsmark.
Wir wissen nicht genau, wie Herr Fuchs als Kind aus dem ganzen Schlamassel der Goldenen Zwanziger herauskam und als Jugendlicher das Dritte Reich erlebte, Herr Fuchs spricht nicht so gerne über die Vergangenheit, die man doch nicht ändern könne. Aber so viel doch: Ein 1-Inch-Geschoss, von einem amerikanischen Tiefflieger abgefeuert, sei jedenfalls unmittelbar vor Kriegsende um wenige Zentimeter an seinem Kopf vorbeigezischt und hätte einen Stapel Teller im Küchenschrank zerschlagen. Ein zweites dieser Geschosse, nicht weniger nahe an seinem Haupte vorbei, wenn er stehen geblieben wäre, habe dann einen Mann direkt neben ihm getroffen, der sich zwar noch gedreht hatte, doch nicht mehr schnell genug am Boden war, aber wider Erwarten mit einem Lungensteckschuss überlebte. Wahrscheinlich würde dieses ebenso blutige wie hautnahe Erlebnis aus der Jugend seine große, uneingeschränkte Liebe zu den USA erklären, meinte er sarkastisch, mit Ausnahme allerdings für die dortigen Autos, die er für Blechkisten hielt. Ja, es sei Glück und Zufall gewesen, in jenen letzten Tagen des Krieges nicht noch getroffen zu werden. Vor allem nicht von den eigenen Leuten, denn die Fanatiker machten bis zu letzt Jagd auf jeden Deserteur und Fahnenflüchtigen, auch manchmal dann noch, wenn die weißen Bettlaken im Ort schon von vorausschauenden Bürgern gehisst waren.
Reich wären sie zu Hause nicht gewesen, hätten aber ganz passabel überlebt. Irgendwie sich durchgeschlängelt und auch sogar schon ein Auto bestellt, einen Volkswagen, der dann jedoch nicht zur Auslieferung kam. Einmal, weil Privatwagen dienstverpflichtet wurden, aber dann auch, wie sich später herausstellte, erst gar nicht in entsprechenden Stückzahlen gebaut wurden. Sondern Kübelwagen fürs Gelände, die dann in der russischen Tundra abhanden kamen. Für alle weitergehenden Wünsche sei früher sowieso das Jenseits zuständig gewesen.
Nun, die Geschichtsbewussten wissen, wie es nach dem Krieg weiterging. Alles lange her und doch, sehr zum Unbehagen des Herrn Fuchs, der nie Parteimitglied war, aber sich solange er zurückdenken kann für Politik interessierte, ist der ganze, bis heute anhaltende Hitler-Hype weiter nichts als ein recht lukratives Geschäftsmodell für die Medien und die ewig Gestrigen. Auch dass man ausgerechnet ein Transport-Fahrzeug, einen amphibischen Radpanzer, ungefragt nach seinem Namen benannte, amüsierte den Kriegsgegner nicht gerade abendfüllend. Echse oder Krokodil hätte nach seiner Meinung besser gepasst. Aber so seien sie eben, die Deutschen. Nach dem Panzer Leopard ginge es phantasielos abwärts mit den Namen der Militär-Fahrzeuge.
Fuchsig konnte er schon werden, unser Herr Fuchs, legte aber keinen gesteigerten Wert darauf, sich auch noch zum Affen zu machen. Selbst wenn das Leben angeblich erst mit 66 Jahren anfinge, so viel Zeit für albernes Herumkaspern, wie er es nannte, hätte er nicht mehr, nachdem seine zweite, eigentlich dritte Geburt, wenn man den kriegerischen Vorfall mit den Amis, oder sollte man Event sagen, heute sind doch alles Events, mit einrechnete. Der Kollateralschaden hätte ihn nur zufällig damals nicht ereilt. Mit satten 20 Jahren zusätzlicher Lebenszeit hätte er ohnehin schon deutlich das Durchschnittssoll bei Männern überzogen. Aber 86 war ja heute das neue 66, also ruhig Blut und volle Konzentration! Schon gar nicht, wenn es um Autos ging, dürfte man die Sache auf die leichte Schulter nehmen, dass könne sonst teuer werden, denn er sei kein Schrauber, nie gewesen, der alles reparieren könne. Was heute, bei der Elektronik, sowieso an Grenzen stoße. Man könne eben nur noch Teile austauschen, wovon sein Körper wider Erwarten noch weitgehend verschont geblieben sei, wenn man mal von einzelnen Zähnen absehe.
Am Telefon meldete sich Reiner Fuchs gerne mit Reiner wie Reineke und Fuchs wie das rotbraune Tier, Sie wissen schon! Das bekannte Epos von Goethe, das der sich nicht selbst ausgedacht hat, sondern das seinen Ursprung in der niederdeutschen Dichtung hat! Wie kam der alte Fuchs nun dazu, sich mit dem Kauf eines fahrbaren Untersatzes zu beschäftigen. Da gäbe es geradezu eine Vielfalt von Gründen, wenn man aufmerksam seinen Worten lauscht. Jedenfalls sagt er gelegentlich, er wäre persönlich gegen das Sterben und mit dem Ablauf des bekannten Endes überhaupt nicht einverstanden, aber er müsse, wenn man schon nicht darum herum komme, nicht auch noch unbedingt der reichste Mann auf dem Friedhof sein.
Deshalb habe er sich entschlossen, jetzt ein brandneues Auto zu kaufen. Im Übrigen gehörte zur sinnvollen Lebensgestaltung außerhalb von Stress und Burn-out unbedingt die aktive Entschleunigung. Oder konkret und praktisch ausgedrückt, die Schaffung von Resonanzoasen. Das sei überhaupt das Geheimnis für Glücksgefühle. Gerade so ein schönes Auto wäre nicht nur für Ältere im Prinzip dazu sehr gut geeignet, denn man könne sich auch daran erfreuen, ohne damit zu fahren. Für sein Geld bekäme man ohnehin