Ellas Geheimnis. Rose Hardt
saß bereits in ihrem alten Land Rover und klopfte ungeduldig mit den Fingern aufs Lenkrad, und als Marie-Claire dann endlich neben ihr saß, sagte sie: „Was ist? Können wir nun endlich los? Oder gibt dir dein Bauchgefühl wieder Rotlicht?“
„Jaaa, wir können!“, entgegnete Marie-Claire genervt, denn ihr war durchaus bewusst, dass sie ohne Ellas Beistand, ohne ihre tatkräftige Unterstützung, aufgeschmissen wäre. Während ihre Mutter, verbissen und zu allem bereit, das große Lenkrad fest umschlossen hielt, nützte Marie-Claire die Gelegenheit und betrachtete sie.
„Was?“, fragte Ella in ihrer schrulligen Art ohne sie anzusehen.
„Also ich komme mir vor wie auf einem Himmelfahrtskommando“, antwortete Marie-Claire, und mit Blick auf ihr Stirnband gerichtet, sagte sie: „Ich hoffe, du weißt was du tust!“
„Darauf kannst du Gift nehmen“, sprudelte die Antwort sogleich aus Ella heraus.
Bis zu Eugens Haus – das er von seinen Eltern geerbt hatte – waren es gerade mal zehn Kilometer und je näher sie kamen, desto unruhiger wurde Marie-Claire. Sie blickte zu ihrer Mutter und oh Schreck, ihr Outfit wirkte alles andere als beruhigend.
Langsam, so geräuschlos wie es der alte Motor des Land Rovers eben zuließ, rollte der Wagen die Einfahrt hoch. Eugen schien nicht da zu sein, denn die Garage stand offen und von seinem neuen Flitzer, einem BMW Z4, fehlte jede Spur.
Ella spähte, wie ein alter Soldat den man für einen Sondereinsatz rekrutiert hatte, zuerst einmal aus dem geöffneten Wagenfenster und erst als sie befand, dass die Luft rein war, konnte ihre geheime Mission starten. „Es kann losgehen“, befahl sie und sprang mit einem gekonnten Satz aus dem hohen Wagen.
Marie-Claire fühlte sich mittlerweile von dem Undercover-Einsatz ihrer Mutter infiziert und klebte regelrecht an ihren Springerstiefeln.
Plötzlich stoppte ein lautes „Guten Morgen“ das seltsam aussehende Gespann.
Wie erstarrt blieben beide Frauen stehen, langsam wandten sie ihre Köpfe der Stimme zu, erleichtert stellten sie dann fest, dass es nur der Nachbar mit seinem Hund war.
„Oha“, flüsterte Marie-Claire, „ausgerechnet Mr. Möchtegern-Detektiv muss uns so sehen!“
„Will heißen?“, knurrte Ella.
„…dass er jetzt nichts Besseres zu tun hat als Eugen anzurufen.“
„Dann sollten wir uns sputen, liebes Töchterlein!“
Übertrieben freundlich, grad so als ob sie kein Wässerchen trüben könnten, winkten sie dem Nachbarn mit einem aufgesetzten Lächeln zu.
Vor der Haustür stoppte Ella, wobei sie ihre Tochter schützend zurückhielt, „gib mir den Hausschlüssel“, befahl sie.
Jetzt wurde es Marie-Claire doch zu bunt, „also Ella“, tadelte sie ihre Mutter, „hör endlich mit diesem albernen Spiel auf! Lass mich, ich mach das schon …“, mutig schob sie ihre Mutter dann zur Seite und schloss die Haustür auf.
Der nächste Schock ließ nicht lange auf sich warten.
Entsetzt stierten beide auf das, was sich vor ihnen präsentierte. Über den gesamten Flur, die Treppe hinauf, bis zur obersten Etage führte eine Spur von Rosenblättern. Beide folgten der blumigen Wiedergutmachungsspur, die, wie könnte es auch anders sein, im Schlafzimmer endete. Auf der Türschwelle stoppten sie und blickten neugierig hinein: auf dem Bett lagen ein Brief und darauf eine langstielige dunkelrote Rose.
Als Marie-Claire direkt drauflosstürmen wollte, hielt ihre Mutter sie am Arm zurück, „willst du ihn nun verlassen oder dich weiter von ihm verprügeln lassen?“, fragte sie mit ernster Miene, „wenn du dich weiter demütigen lassen willst, so kannst du den Brief gerne lesen, ansonsten ignoriere ihn!“
Marie-Claire senkte verlegen ihre Augenlider und schüttelte dabei den Kopf, anschließend eilte sie ins Ankleidezimmer, schnappte sich zwei Koffer aus den oberen Regalen und fing an zu packen. Unkontrolliert stopfte sie alles rein was ihr zwischen die Finger kam.
Ella steckte derweil mit einer bissigen Bemerkung und einem Augenrollen den Brief in die Brusttasche ihres Overalls.
In Windeseile hatte Marie-Claire, mithilfe ihrer Mutter, ihre sieben Sachen zusammengepackt und im Wagen verstaut. Auf der Türschwelle stoppte Ella, mit erhobenem Zeigefinger fragte sie: „Hast du deine Ausweis-Papiere, das Stammbuch, den KFZ-Schein und was sonst noch von Wichtigkeit sein könnte? Und wie sieht’s eigentlich mit den Sparbüchern aus? Was ist mit deinem Schmuck oder sonstigen Wertgegenständen aus eurer Zugewinngemeinschaft?“
„Ich hab alles was ich brauche“, antwortete Marie-Claire und war nun doch sichtlich erstaunt über die, sowohl berechnende, als auch vorausschauende Denkweise ihrer Mutter, von der sie bis dato glaubte, dass sie irgendwo weit hinterm Mond leben würde.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sie ihre Tochter skeptisch an. „Bist du sicher?“
Für einen Moment überlegte Marie-Claire, dann antwortete sie: „Jaaa“, wobei sie nun doch etwas verunsichert zurückblickte.
„Wirklich!“, hakte Ella nochmals nach.
Marie-Claire nickte stumm. Was sollte sie auch antworten? Ich habe zwanzig Jahre meines Lebens dort zurückgelassen! Nein, ihre Mutter hatte für Gefühlsduselei – wie sie es auszudrücken pflegte – nichts übrig.
„Gut, dann ist unsere Mission hier beendet“, sagte Ella in einem resoluten Ton. „Steig in den Wagen, wir sollten uns vom Acker machen.“
Kaum ausgesprochen trat dann doch noch das Befürchtete ein. Eugen schoss mit seinem neuen Sportflitzer die Einfahrt hoch.
Marie-Claire wusste, wem das zu verdanken war. Sie blickte zum Nachbarhaus und konnte gerade noch erkennen, dass die Gardinen wieder zugezogen wurden. War ja auch kein Wunder, denn Mr. Möchtegern-Detektiv und Eugen saßen Schulter an Schulter im Gemeinderat und hatten nicht nur eine Leiche im Keller.
„Wusst ich’s doch“, spöttelte Eugen, „dass meine über alles geliebte Schwiegermama sich das nicht nehmen lässt“, wobei er Ella von Kopf bis zu den Stiefeln musterte, „und was, bitte schön, soll eigentlich dieser lächerliche Aufzug?“
„Das wirst du gleich erfahren, wenn du nicht sofort den Weg freigibst“, antwortete sie forsch, und um die Ernsthaftigkeit der Lage zu unterstreichen baute sie sich breitbeinig vor ihm auf und legte dabei demonstrativ die Hand auf den Hammer an ihrem Arbeitsgürtel.
„Ach Ella, was soll denn das?“, sagte er mit Blick auf ihre Gestik gerichtet, wobei er als Zeichen seiner Ergebenheit abwehrend beide Hände in die Luft streckte, „hör zu, Ella, ich will keinen Streit, ich möchte nur mit meiner Frau reden.“
„Möchtest du mit Eugen reden?“, fragte Ella barsch, woraufhin ihre Tochter hinter ihr hervorkam, ihn ansah und wortlos den Kopf schüttelte.
„Also“, bestätigte Ella, „du hast es vernommen. Sie wird nur noch über ihren Anwalt mit dir reden.“
„So, wird sie das!“ brüskierte sich Eugen.
„Worauf du dich verlassen kannst!“, gab Ella drohend zurück.
„Bitte, Marie-Claire“, flehte er plötzlich, „lass uns reden“, wobei er verzweifelt in seiner Jackeninnentasche nach irgendetwas kramte. Erleichtert zog er schließlich einen Zettel hervor und hielt ihn unter ihre Nase, „hier … bitte …lies“, sagte er, wobei er mit dem Finger auf einige Sprechstundentermine bei einem Psychotherapeuten tippte. „Ich habe mich entschlossen eine Therapie zu machen … und danach … du wirst sehen, da wird alles anders werden. Das verspreche ich dir! Bitte, Marie-Claire, ich liebe dich doch“, flehte er mit Tränenglanz in den Augen, „bitte, gib mir noch eine allerletzte Chance.“
Ella sah das zweifelnde Gesicht ihrer Tochter, sah ihre zögerliche Haltung und da war ihr bewusst, dass sie eingreifen musste. „Marie-Claire, du machst, dass du in den Wagen kommst – sofort“,