Der EMP-Effekt. Peter Schmidt

Der EMP-Effekt - Peter Schmidt


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meine, bist du politisch interessiert?»

      «Kaum.»

      «Mit anderen Worten: das System ist dir gleichgültig?»

      «So krass würde ich es nun wieder nicht ausdrücken.»

      «Ich sehe schon», erklärte Leutner zufrieden, «wir haben eine Menge Gemeinsamkeiten.» Er wandte sich zu Katja hinüber und schüttelte die leere Flasche wie eine Gans am Hals. «Würde es dir etwas ausmachen, Liebes, uns unten an der Bar noch etwas Nachschub zu besorgen? Ein, zwei Fläschchen?»

      «Ganz im Gegenteil, jetzt, wo ihr beiden endlich miteinander warm werdet.» Sie kokettierte wippend mit ihren etwas zu mageren Waden – hatte sie seinen Blick auf dem Bahnsteig bemerkt? –‚ strich sich die Strumpfnähte glatt, die vielleicht der neuesten ostdeutschen Mode entsprachen – oder einem Rückfall in die alte, Karga hätte das nicht so genau zu sagen gewusst; dann ging sie immer noch wippend zur Tür, wo sie sich mit aufgesetztem Lächeln umwandte:

      «Für eine Mutter ist es beruhigend, zu sehen, dass die Kinder ihren neuen Mann akzeptieren.»

      «Was heißt hier Kinder?», murmelte Karga dumpf und griff sich in den Nacken. Er wollte fragen: Was wird hier eigentlich gespielt? Was soll der Schmonzes?

      «Bitte?», fragte Leutner vorgebeugt, als sie schon ihm Gang war. «Ich habe dich nicht verstanden.» Seine plumpen Finger nestelten an einer Packung russischer Zigaretten.

      «Oh, nicht so wichtig.»

      «Machen wir es uns doch bequem.» Leutner zog die Schuhe aus, gleich nachdem er ihm sein vom Bücken rotes Gesicht wieder zuwandte, lagen seine Füße auf der Couch. Er trug gemusterte Wollsocken. Der schwarze Nagel seines Zeigefingers kratzte am Zigarettenmundstück. «Für mich hat der Urlaub jetzt schon begonnen.»

      «Ihr bleibt länger?»

      «Hat Katja dir das nicht gesagt? Von hier aus geht‘s für zwei Wochen an die Schwarzmeerküste. Verspätete Hochzeitsreise. Vollpension und alles was dazugehört. Mamaia, Konstanza, Eforie

      «Rumänien? Was für ein Zufall.»

      «Zufall, wieso?»

      «Weil Anja und ich ebenfalls nach Rumänien fahren.»

      «Ach, um welche Zeit denn?»

      «Gestern wurden wir zur Geschäftsleitung gerufen. Aus betriebsinternen Gründen müsse man unseren Urlaub verschieben, auf unbestimmte Zeit. Ich lehnte ab. Schließlich hatte ich in den vergangenen Monaten ausgezeichnete Arbeit geleistet. Nach einigem Hin und Her bot man mir an, ihn vorzuverlegen. Schon auf Dienstag oder Freitag. Sie dachten wohl, so kurzfristig würde ich absagen. Momentan laufen verschiedene Entwicklungsprojekte, darunter ein weiterentwickelter Laser-Plattenspieler. Die Messe steht vor der Tür. Natürlich habe ich zugesagt, so weit geht meine Loyalität zur Firma nun auch wieder nicht.»

      «Und Anja?»

      «Sie richtet sich nach mir.»

      Leutners Gesicht entspannte sich erleichtert. Kapitalistische Gauner, schien sein Kopfnicken zu bedeuten.

      «Es ist kein Problem, um diese Zeit dort oben ein Hotelzimmer zu finden.»

      «Ganz gewiss nicht. Falls ihr Schwierigkeiten bekommt, könnte ich das für euch erledigen.»

      «Du hast Kontakte?»

      «Bekannte, ja.»

      «Nein, ich habe telefoniert, und man hatte keine Einwände.»

      «Das ist wirklich ein verblüffender Zufall», sagte Leutner. «Wir beabsichtigen Freitag oder Samstag zu fahren. Mit Zwischenübernachtung in Bukarest.»

      «Wir ebenfalls», sagte Karga langsam. Er hatte das deutliche Gefühl, dass es zu viel Zufall war.

      «Dann sollten wir uns vielleicht zusammenschließen?»

      «Ihr fahrt nicht zufällig auch in die Karpaten?»

      «Nein, ans Meer.»

      «Und später?»

      «Was ist mit später?»

      «Kleine Ausflugsfahrt ins Hinterland gefällig? Poiana Brasov zum Beispiel?», fragte Karga, ohne den beißenden Tonfall seiner Stimme im geringsten zu dämpfen.

      Leutner schien dafür taub zu sein.

      «Nein, den Gefallen würden wir euch gerne tun. Aber die Berge liegen uns nicht. Wir ziehen das Wasser vor.»

      Katja kam mit zwei neuen Flaschen zurück. Sie wirkte, als habe sie ihr Wechselgeld an der Bar in Cocktails angelegt: als Sturztrunk, denn ihr Blick hatte etwas Schwankendes. Ihre hübschen blauen Augen sahen wie zu lange gewaschen aus, mit Trübungen durch Schmierseife.

      Während sie die Beine übereinander schlug – das Strumpfgewebe gab ein surrendes Geräusch von sich, als ziehe man an einem Reißverschluss –‚sagte Leutner: «Stell dir vor Kleines, Robert fährt ebenfalls nach Rumänien, am Freitag.»

      «Hatte ich das nicht erwähnt?», fragte sie leutselig. «Vor ein paar Wochen?»

      «Damals lag der Termin noch anders.»

      «Ja, jetzt erinnere ich mich.

      «Ich denke, wir bleiben bis Bukarest zusammen», meinte Leutner und riss mit einem einzigen Griff den Korken ab. «Ihr habt doch nichts dagegen, oder?»

      Es gab ein Geräusch wie knirschendes Glas, als der Drahtverschluss über den Flaschenhals rutschte. Für seine geringe Körpergröße entwickelte er erstaunliche Kräfte.

      Es war ein Bild ungewohnten Friedens, die Jacht unter alten Kastanienbäumen dümpeln zu sehen; in den meisten Grachten bekam sie wegen ihrer Länge Schwierigkeiten beim Wenden. Aber hier war der Kanal so breit, dass man sich beruhigt ein Stück weit ins Land vorwagen konnte. Erst wenn Brücken ohne Hebevorrichtung den Weg versperrten, würde Gart es vorziehen umzukehren, weil das Umlegen der beiden Masten zuviel Mühe bereitete.

      Jede der altertümlichen Holzbrücken, manche mit mehreren Schichten abblätternder weißer Lackfarbe, entlockte ihr begeisterte Ausrufe. Man fühlte sich in die Zeit van Goghs zurückversetzt.

      Frischer Firnis gleich lag die Feuchtigkeit des Meeres über allem.

      Weiter hinten verliefen der Bahndamm und die braungestrichene Eisenbahnbrücke, davor stand etwas erhöht der winzige Bahnhof, von dem sie abends zurückfahren würde, und wie bei einer blankgeputzten Modelleisenbahn reihten sich darunter die kleinen holländischen Backsteinhäuser mit ihren gardinenlosen Fenstern und hellgestrichenen Holzrahmen aneinander: als habe man sie nur eben in das hohe Grün der ungemähten Wiesen hingestellt und eine große Hand greife gleich vom Himmel herab, um sie nach Lust und Laune ans Meer oder an die backsteingepflasterte Landstraße zu versetzen ...

      Nein, sie bereute es nicht, Garts Einladung gefolgt zu sein. Er war ein vorbildlicher Gastgeber. Alle bemühten sich um sie. Das Wochenende kam ihr viel zu kurz vor. Aber es blieb dabei, dass sie Freitag mit Robert nach Rumänien fahren würde.

      Harry Gart brachte ein Tablett Tee in den Salon. Die anderen waren ins Dorf gegangen, um für den Abend ein Restaurant ausfindig zu machen.

      «Tee mit Rum – und etwas holländisches Gebäck.»

      «Ich werde noch so dick, dass ich mit den Armen nicht mehr an mein Zeichenbrett reiche», sagte sie.

      «Was für eine Übertreibung.»

      «Die Konkurrenz der Männer in der Firma ist sehr groß.»

      «Tatsächlich? Fühlen Sie sich als Frau herabgesetzt?»

      «Das wohl nicht, aber wir müssen mehr leisten als die Männer und zu allem Überfluss auch noch hübsch sein. Außerdem mag Robert keine dicken Frauen. Alt können sie sein, alt und hübsch, aber nicht dick.»

      «Er schlägt Sie doch nicht wegen ein paar Fettröllchen?», fragte Gart scherzhaft.

      «Schlagen?


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