Der EMP-Effekt. Peter Schmidt

Der EMP-Effekt - Peter Schmidt


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Schlagwörter hasse. Es geht allerdings so weit, dass er nicht einmal sich selbst in der Gewalt hat.»

      «Tatsächlich?», fragte Gart interessiert. «Inwiefern denn?»

      «Er ist impulsiv. Er tut Dinge, die er nachher bereut. Er hat sich nicht immer unter Kontrolle – ich glaube, wenn es ernst wird, traut er sich selbst nicht über den Weg.»

      «Wussten Sie eigentlich, dass ich mit der VVG in Geschäftsverbindung stehe?», fragte Gart.

      «Ach?», sagte sie überrascht.

      «Deshalb kenne ich auch Ihren Freund – vom Hörensagen.» Er schwieg und musterte sie aufmerksam.

      «So? Redet man über ihn?»

      «Vielleicht hätte ich gar nicht davon anfangen sollen», sagte Gart leise und wandte sich wieder dem Teegeschirr zu. «Sie müssen entschuldigen. Es ist mir herausgerutscht.»

      «Herausgerutscht – was?»

      «Dass ich Robert Karga kenne.»

      «Was soll daran so ungeheuerlich sein?»

      «Ich kann nicht darüber sprechen. Sie müssten sonst glauben, es ginge mir darum, Sie beide zu entzweien.»

      «Nun hört doch alles auf. Er ist schließlich mein Verlobter.»

      «Seit acht Jahren», bestätigte Gart. «Und ich möchte nicht derjenige sein, der Ihre Entlobung auf dem Gewissen hat …»

      Ein Anflug von Sprachlosigkeit lag wohl auf ihrem Gesicht, denn Harry Gart legte begütigend seine Hand auf ihren Arm.

      «Zwingen Sie mich nicht, Ihnen wegen meines kleinen Lapsus mehr von seinen Machenschaften zu verraten», sagte er. «Ich möchte, dass wir Freunde bleiben. Ehrlich gesagt rechne ich mir sogar noch größere Chancen aus.

      Deshalb bin ich in einer ziemlichen Zwickmühle, was Sie und Robert betrifft. Er führt wohl nicht das Leben, das Sie vermuten, und die Ernüchterung könnte eines Tages sehr groß sein. Zu diesem Zeitpunkt würde ich mich aber lieber ein paar Meilen entfernt aufhalten.»

      «Sie machen mich wirklich neugierig.»

      «Haben Sie denn nicht den geringsten Schimmer – ich meine: von seinem Umgang?»

      «Von seinem Umgang? Nein.» Sie aß nachdenklich etwas Teegebäck.

      «Und Sie haben sich auch nie gefragt, was er eigentlich treibt, wenn Sie nicht zusammen sind? An den Wochenenden zum Beispiel?»

      «Er sitzt in seinem Bastelkeller, nehme ich an.»

      «Erzählt er Ihnen manchmal von seiner Arbeit?»

      «Nein, nie.»

      «Sie erfahren gar nichts darüber?»

      «Erstens ist es verboten, über Entwicklungsprojekte zu reden – wir arbeiten beide in der Entwicklung, wenn auch in verschiedenen Abteilungen – und zweitens interessiert es mich nicht. Ich bin nicht wie Robert. Acht Stunden Beschäftigung mit Plattenspielern und tragbaren Stereoradios täglich reichen mir.»

      «Kaum zu glauben», sagte Gart. «Er hat Ihnen in all den Jahren nie etwas darüber erzählt?»

      «Anfangs schon. Bis er merkte, dass es mich zu Tode langweilte. Seitdem würde er sich wohl eher die Zunge herausreißen, als noch einmal davon anzufangen.»

      «Ja, ich verstehe.»

      «Nun sollten Sie mich aber nicht länger auf die Folter spannen.»

      «Was? – Ach so. Tut mir leid … wie ich schon sagte.»

      «Keine Ausflüchte. Sie wollen doch, dass wir Freunde bleiben?»

      Gart massierte seine braungebrannten Handgelenke; sie schienen so biegsam wie die eines Kletterkünstlers oder einer Gummipuppe zu sein. Plötzlich kam ihr der absurde Gedanke, dass er keine Knochen besaß und nur aus straffem Fleisch und festen Muskeln bestand. «Wenn Sie es davon abhängig machen – auf Ihre Verantwortung?»

      «Heraus damit.»

      «Er lebt mit einem … nun ja, mit einem Kerl zusammen.»

      «Einem … was

      «Richard Thaube. Sie kennen sich schon seit der Studienzeit. Thaube geht linksextremistischen Interessen nach, und Ihr Freund Robert scheint sie zu unterstützen. Wenn Sie über Klagenfurt fahren, wird er an einem Kongress europäischer Linker teilnehmen, das spricht wohl für sich.

      Thaube ist homosexuell, aber momentan etwas außer Gefecht gesetzt. Aids, wenn ich recht informiert bin.

      Ihr Freund sorgt rührend für ihn und bringt ihm Essen und frische Wäsche – wie es unter Freunden dieser Provenienz üblich ist», sagte er anzüglich. «Natürlich versuchen sie den wirklichen Charakter ihrer Freundschaft vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten.

      Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten. Aber es scheint, als benutzte er Sie nur als Alibi. Das erklärt auch Ihre ungewöhnlich lange Verlobung …»

      Gart schwieg und beobachtete die Wirkung seiner Worte.

      In ihrem Gesicht arbeitete es; sie versuchte vergeblich, die anstürmenden Gefühle zu verbergen: eine Mischung aus Bestürzung und Unglauben.

      Robert hatte ihr nie etwas von diesem Thaube gesagt. Aber warum nicht, wenn es nur eine harmlose Bekanntschaft war?

      Seine seltsamen Abende im Bastelkeller. Nach dem Essen hatte er es oft sehr eilig gehabt …

      Sie erinnerte sich auch, manchmal noch um Mitternacht bei ihm angeläutet zu haben, ohne dass er das Telefon abgehoben hatte. Sie war nie auf den Gedanken gekommen, ihn nach den Gründen zu fragen. Wahrscheinlich hatte sie angenommen, er sei mit seinen elektronischen Tüfteleien beschäftigt

      «Das alles scheint Ihnen ziemlich zuzusetzen», sagte Gart. «Ich habe es geahnt.»

      «Es geht schon wieder.»

      «Ich erfuhr durch die Geschäftsleitung davon, als ich Ihren Namen erwähnte. Wir arbeiten im elektronischen Importgeschäft zusammen. Sie erinnern sich? Natorp, Ihr gemeinsamer Vorgesetzter, steckte mir später, als ich ihn darauf ansprach – offen gestanden war er etwas angetrunken, Sie dürfen es ihm nicht übel nehmen –‚ dass Sie wohl die einzige in der Firma seien, die nichts von Kargas Verhältnis ahne. Vielleicht ist es ganz heilsam, wenn es jetzt endlich auf den Tisch kommt …»

      Sie stand abrupt auf. «Bitte entschuldigen Sie, ich möchte in meine Kabine gehen.»

      «Selbstverständlich», nickte Gart, «dafür habe ich volles Verständnis.»

      «Es … ich muss mich … erst an den Gedanken gewöhnen.»

      «Sicher.»

      Ihre Bewegungen fühlten sich hölzern an, während sie den Salon verließ. Durch das Fenster sah sie zum Damm hinauf. Der Frieden unter den alten Kastanienbäumen am Ufer erinnerte plötzlich an Friedhofsruhe.

      Die Wintersonne überzog das Land mit falscher Wärme, als hülle sie es nur zur Täuschung ein, und unter der eisigen Oberfläche lag alles begraben, was ein Hirn sich an Verworfenheit und Hinterhältigkeit auszudenken vermochte … sie unterdrückte ein Schluchzen.

      «Bei aller berechtigten Empörung darüber», sagte Garts Stimme hinter ihr, «dass er Sie getäuscht hat, vergessen Sie nie: Er versucht auch nur seiner Natur gemäß zu leben – wie wir alle! Ich verurteile das nicht.

      Und denken Sie daran, dass Sie immer auf uns zählen können, falls er Schwierigkeiten macht. Wegen Ihres gemeinsamen Urlaubs und so weiter. Ich meine, zum Ausweichen. Damit Sie etwas Zeit haben, Ihre Angelegenheiten neu zu ordnen. Mein Angebot für den Boknafjord gilt nach wie vor.»

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