Algarveflimmern. Birte Pröttel

Algarveflimmern - Birte Pröttel


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hätte als Bionarkose bei Naturheilverfahren einen ganzen Krankensaal in Schlaf versetzt. Ich konnte dem Aroma nicht entkommen. Nach getaner Arbeit ließ er sich zufrieden in den Sitz neben Mama plumpsen. Das hatte eine weitere Duftwolke zur Folge. Seine nackten, mit blonden Stacheln übersäten Waden, steckten in mikrokurzen zerrissenen Designerjeans. Die Beine spreizte er lässig und dabei berührten seine Knie Mamas zarte Waden. Himmel hilf! Das fing ja schon gut an.

      Mama tat das einzig Wahre: sie stellte sich tot. Und Tote haben bekanntlich keinen Geruchssinn. Wow, da hatte Mama Pech gehabt.

      Mir ging es erheblich besser. Mir war das alles egal, ich war verliebt und schwebte auf Wolke sieben in zehntausend Metern Höhe über der Erde. Verliebt sein ist das Eine, Liebe das Andere. Und manchmal ist das Eine das Andere und umgekehrt. Die Liebe meines Lebens: Moritz. Dass man noch mehr lieben kann, das wusste ich da auf meiner Wolkenfahrt nicht…

      Zwar knutschte und fummelte ein verliebtes Pärchen ununterbrochen neben mir. Sie duftete nach Patschuli und er benebelte mich mit Testosteron-Wolken. Nach dem Motto: Alles Bio! Da träumte ich dann eben wieder von meinem Moritz.

      Ich freute mich, in dem alten Herrenhaus an der Algarve bei Vollmond meinen Geburtstag zu feiern. Sternförmig reisten wir auf unser Ziel die „Quinta Velha“ zu. Wir, das waren Papa, Mama, Moritz und ich. Nur wir vier! Ganz allein!

      Was wir nicht wussten: die Quinta war schon bevölkert, wie ein Ameisenhaufen.

      Paul, der verkrachte Künstler, wohnte dort sowieso jahraus jahrein . Papa hatte kein Sterbenswörtchen darüber zu uns gesagt. Da Paul von seinen von der Kunstwelt verkannten Werken, nicht leben konnte, hütete er unsere Hütte.

      Meine exzentrische Oma Paula war auch auf der Quinta gestrandet und breitete sich mit ihren bunten Tüchern und Hüten wie ein Schimmelpilz aus.

      Mein Moritz kam von irgendwo von der Iberischen Halbinsel. Er hatte moderne Gebäude spanischer und portugiesischer Architekten für seine Diplomarbeit fotografiert und wartete auf mich.

      Papa war noch nicht da, er ackerte mit dem Auto die 3000 Kilometer ab und behauptete, das würde ihm Spaß machen, wegen der Landschaft. Der Kofferraum platzte fast von den Unmengen Zeug: seiner Fotoausrüstung, einer alten Kaffeemaschine und einem museumsreifen Staubsauger Ungetüm. Weil er unser Gepäck auch mitgenommen hatte, konnten Mama und ich mit federleichtem -haha - Handgepäck reisen.

      Wir ahnten auch nicht, dass Tiago, ein Freund von Paul, andauernd aufkreuzte. Tiago war ein junger Priester und mehr auf der Quinta als in seinem Pfarrhaus. Oma stöhnte, als sie ihn zum ersten Mal sah:

      „Es ist ein Verbrechen, dass so ein Bild von einem Mann den Weibern dieser Welt verloren geht!“

      Als ich ihn sah, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf und fortan hatte ich nichts, wirklich nichts gegen göttlichen Beistand. Im Gegenteil. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder eben die Geschichte.

      Als wir Dussel den Flug verpasst hatten, jammerte Mama: „Das Neubuchen war sauteuer. Für das Geld hätten wir leicht einen Pauschalurlaub in einem Viersterne Hotel bekommen!“

      Stattdessen hingen wir einen Tag später platt wie Flundern in der Maschine nach Faro. Und in Lissabon wartete Papa!

      Wenige Stunden und Moritz würde mich mit seinen starken Armen rumschleudern, bis mir schwindelig wäre. Ich hielt es kaum aus vor Sehnsucht. Wir hatten drei Wochen nur per WhatsApp Kontakt gehabt. Er hatte seine Messages total süß mit Milliarden Emoticons verziert. Immer wieder guckte ich die Herzchen und Küsschen auf den Nachrichten an. Ich glaub, dabei schossen mir auch Herzchen und Sternchen aus den Augen wie in einem Comic. Nur noch drei Stunden aushalten. Dann...

      Der Champagner, den Mama und ich genüsslich geschlürft hatten, zeigte Wirkung. Die Bauch-Schmetterlinge machten langsam schlapp und legten ein Päuschen ein. Lang genug, um von Moritz‘ weichen, warmen Händen zu träumen. Er hatte die schönsten Jungenhände, die ich kannte. Die Fingernägel waren nicht abgeknabbert wie bei 90 Prozent der männlichen Smartphone Bediener. Wie zärtlich seine Hände sein konnten! Wenn sie mich berührten, stellten sich meine Nackenhaare auf und eine Gänsehaut lief mir rauf und runter. Warum stellen sich eigentlich bei Hunden und Katzen auch die Rückenhaare auf?

      Ach Moritz! Ich war jetzt fast 18 und Moritz mein erster richtiger Freund! Meine Freundinnen behaupteten, ich sei ein Spätzünder. Für mich waren Jungs bisher eine völlig rätselhafte Verirrung der Schöpfung. Mehr Kumpels als potentielle Liebhaber und irgendwie fand ich alle doof. Bis Moritz kam.

      Die Turbinen brummten leise vor sich hin. In meinem I-Pod streichelte Ann Sophie Mutter mit Mozartmelodien ihre Stradivari. Der neue weiche Kaschmirschal streichelte meinen Hals. Auf dem Klapptischchen vor mir lag das ungenießbare, pappartige Sandwich, das sogar eingefleischte Fastfood Junkies abgelehnt hätten und wartete darauf, in den Müllcontainer zu wandern. Mein Kindle war ausgeschaltet. Ich lauschte in sanftem Dämmerzustand dem Violinkonzert No.2. Unten zogen die letzten verschneiten Gipfel der Alpen vorbei. Bald würden wir über die trockenen, karstigen Berge Spaniens gleiten, bevor der Sinkflug Richtung Faro begann.

      Lautes Geplärr wütender, ungezogener Bälger riss mich aus meinen Wohlfühlkokon. Warum, um Himmelswillen, wünschen sich die Menschen so sehnlichst Kinder? Man hat nur Geplärre, schlaflose Nächte und später renitente Pubertiere. Irgendein genetischer Fehler in unseren Fortpflanzungsorganen lässt uns das Gegreine, Hosenscheißen und all die anderen Plagen mit den Blagen wunderbar finden. Allerdings natürlich nur, wenn es die eigenen Sprösslinge sind. Eigentlich krass. Ich jedenfalls kann diese quietschenden Monster nicht ausstehen.

      Ach, Moritz! Auch mit dir nicht! Nein! Noch lange nicht!

      Ich räkelte mich Gangplatz 8D und lächelte Mama zu. Mama machte sich auf der anderen Seite 8C so schmal wie möglich. Hautkontakt mit ihrem Nachbarn hätte gerade noch gefehlt. Aus meinen Ohrstöpseln jubelte immer noch die „Mutter“ und ich wiegte mich sanft dazu. Ich werde achtzehn!

      „Mama, hast du Papa gesimst, dass wir nach Faro und nicht nach Lissabon fliegen?“

      Mama schaute mich entsetzt an.

      „Ach du liebe Zeit, ich habe ihm nicht mal gemailt, dass wir einen Tag später ankommen!“

      „Super. Mein Akku ist leer und das Ladegerät im Koffer bei Papa im Auto!“

      Mama sank mit einem bühnenreifen Stöhnen noch tiefer in ihren Sitz.

      „Was machen wir jetzt?“

      „Na, den Piloten bitten, er soll statt nach Faro nach Lissabon fliegen, das ist doch ganz einfach!“

      „Olivia, Papa wartet in Lissabon und wird wie ich ihn kenne, bestimmt verrückt vor Sorge. Werd endlich mal erwachsen, das ist nicht zum Spaßen!“ Sie funkelte mich richtig böse an.

      „Bin schon fast erwachsen, schon vergessen?“

      Mama verzog säuerlich ihr Gesicht. Sie war das personifizierte schlechte Gewissen. Erst den Flieger verpassen, dann nicht Bescheid sagen und zum Überfluss auch noch Unsummen verplempert zu haben. Am schlimmsten war es, dass sie hier untätig angeschnallt sitzen musste.

      4 Von Nestflüchtern und Nesthockern - Oder von der Leichtigkeit Väter um die Finger zu wickeln

      Jetzt ist es soweit, ich werde erwachsen, darf wählen, Autofahren und ausziehen.

      Es ist schon komisch mit den besonderen Geburtstagen. Eigentlich ändert sich nichts und du bist davor und danach genau die gleiche Person. Und doch ändert sich alles. Zum Beispiel beim Achtzehnten, man fiebert auf das „endlich erwachsen“ sein hin. Die Erwachsenen behandeln dich nicht anders, du darfst zwar wählen, dich betrinken und Auto fahren, aber ohne die Hilfe der Altvorderen geht halt doch nicht alles, was du dir so vorstellst. Ob ich meine Drohung, mit achtzehn das Nest zu verlassen, wahr machen würde? Immer wenn mir mal was nicht passte, erpresste ich meine beiden Alten.

      Eigentlich mag ich meine Mama sehr, immer kann man das natürlich nicht zeigen. Und außerdem läuft einem eine Mama nicht weg,


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