INGRATUS - Das Unerwünschte in uns. Tabea Thomson

INGRATUS - Das Unerwünschte in uns - Tabea Thomson


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Marte mehrmals mit Handzeichen zu verstehen, das sie etwas sagen will. Ihre Ausbilderin ließ sich nicht stören. Erst als nichts mit dem Scanner geschah, schenkte sie der Studentin die geforderte Aufmerksamkeit.

      Die blickte beschämt zum Fußboden. »Sire, ich habe einen Fehler gemacht ...«, gestand sie kleinlaut.

      Ein breites Grinsen lag quer über Melinas Gesicht. Sie nahm an, weil diesem Musterweib von Heiler Studentin nie ein Fehler passiert, dass diese scherzt.

      Ohne auf den Spot einzugehen, vollendete Marte den Satz: »... ich setzte ein Shuttle unter strenge Quarantäne.«

      Melinas Lachen erstarb auf der Stelle: »Welches?«

      Bevor Marte antwortete, schaute sie die Ausbilderin treuselig an. »Mit dem die neue Heiler Software ankam.«

      Ein kraftvolles Atemgeräusch erstürmte Melinas Rachen, dem folgte ein herauskatapultiertes »Latuuuu!« Es verließ so kräftig ihre Kehle, dass selbst Adrian im künstlichen Schlaf erschrocken zusammenzuckte und Marte, sie wollte im selben Moment ihr Missgeschick entschuldigen, brachte nur ein wirres Wortgestammel hervor.

      Melina ignorierte es. »Was ist mit der neuen Software?«

      Software löste auf der Stelle Marte's Stimmenlähmung: »... Die Techniker kommen nicht so einfach an das versiegelte heran«, antwortete sie mit langsamen Zungenschlägen.

      Melina kam es wie abgelesen vor. Den Unwillen darüber drückten die auf den Hüften abgestützten Fäuste aus und dazu schrie sie entrüstet: »Das ist ein Scherz?«

      Marte blickte flüchtig zu Adrian. »Leider nein.«

      Wild gestikulierend holte Melina Anlauf sich noch mehr verbal Luft zu verschaffen, die Studentin kam ihr jedoch zuvor: »Ich fand heraus, dass die Koliken beim scannen als Geburtskontraktionen angezeigt werden. Und wir können sie genau wie Wehenschmerzen blockieren.«

      »Das geht?«, erwiderte Melina mit skeptischem Blick.

      »Korrekt. Ich machte es bei Adrian bereits mehrfach mit Erfolg.« Zu ihren Worten öffnete sie Adrians Biodaten-Datei. Das angezeigte besänftigte Melinas Gemüt, jedoch es verminderte nicht im Geringsten ihr Misstrauen. Im Gegenteil, dass was Marte dann forderte, verstärkte die Empfindung noch mehr. »Wenden Sie es unverzüglich an.«

      Verdattert blickend konterte Melina: »Und du begibst dich zu den Technikern. Komme ja nicht ohne gute Nachricht zurück.«

      »Aye Sire.«

      ~

      Hals über Kopf lief Marte zur Tür hinaus, und Melina rollte den Bruder auf die Seite. Weil sie es zu grob anging, fuhr Adrian erschrocken hoch. Der Schmerz lag auf den Lippen. Kläglich wimmernd kam er der Bitte nach, die Seitenlage einzunehmen. Melina raffte ihm das Shirt am Rücken hoch und im nächsten Moment rasten die Finger auf die neuralen Punkte der Wehenschmerz Blockade zu. Just als Melina die Finger auf Adrians Rücken aufsetzen wollte, spürte sie einen Widerstand. Noch bevor sie begriff, was es ist, wurden ihre Hände von einer unsichtbaren Kraft weggestoßen. Zischende Atemluft drückte ihre Fassungslosigkeit aus. Sie ignorierte die Gefahr und unternahm umgehend den nächsten Versuch. Abermals wurde sie daran gehindert.

      »Ich habe nichts gemacht«, flüsterte Adrian angsterfüllt.

      Die Worte machten sie stutzig. Dessen ungeachtet führte sie die Hände zu den vorherigen Ausgangspunkten. Ihre unruhigen Finger allerdings sagten – ich ahne Schlimmes. Um dafür gewappnet zu sein, und damit der Bruder im Notfall handeln konnte, setzte Melina zunächst an seinem Nacken die bewährte kurzzeitig wirkende Blockade.

      Nachdem es Adrian besser ging, entschuldigte er sich für das Geschehene. Als Zeichen der Annahme strich ihm Melina mitfühlend übers Haar. »Schon gut. Ich fühlte, bevor es mich traf, ebenfalls nichts.« Ihren besorgten Gesichtsausdruck sah er zum Glück nicht. Ob ihre düstere Vermutung wirklich begründet ist, testete sie umgehend mit einem Blitzangriff. Bei diesem fasste sie Adrian derb an die Schulter. Er zuckte erschrocken zusammen, mehr geschah nicht. Davon ermutigt bat sie: »Darf ich deinen Rücken abtasten.«

      Adrian stimmte ohne Zögern zu, dann drehte er sich auf den Bauch. Sogleich näherten sich Melinas Hände zaghaft seinem oberen Rücken. Sie verspürte keinerlei Barriere, dennoch blieb sie wachsam. Millimeter um Millimeter bewegte sie die Hände weiter abwärts. Einen fingerbreit vorm Auflegen hielt sie inne. Nichts geschah. Nicht mal ein Kribbeln verspürte sie. Dessen ungeachtet wagten sie nicht, sich zu bewegen. Für Sekunden waren nur ihre angespannten Atemzüge zu hören.

      »Nun denn! Ich lege die Hände auf«, flüsterte Melina.

      »Ja«, raunte Adrian.

      Im Zeitlupentempo überwand Melina die noch verbleibende Distanz. Knapp über der Haut, sie konnte bereits seine Körperwärme spüren, knisterte es. So wie Melina es vernahm, wurde sie von einer unsichtbaren Kraft vom Bett weggeschleudert. Ihr unaufhaltsamer Flug katapultierte sie ungebremst an die hintere Wand. Schmerzerfüllt ächzend rumpelte sie zusammengeknautscht, rücklings an der Wand hinab. So wie sie Fußboden Kontakt hatte, blieb sie regungslos liegen. Nur gut das die Zellen I P S, das in der verzerrten Luftspirale davon preschende Geschoss als einen humanoiden erkannten und bereits vor Melinas aufschlagen stummen Alarm auslösten. Gleichlaufend veranlassten diese, dass ein Trägerstahl den humanoiden abfängt, doch bevor jener auf das Geschoss fixiert war, schlug es an der hintersten Wand ein. Die davon ausgehende Erschütterung sowie die I P S Daten lösten einen Notfallalarm aus, der wiederum aktivierte einen realen Scanner der Heiler und informierte den Bereitschaftsdienst. Marte informierte man zuerst, sie stand, bis es in der Belegzelle polterte, vor der Tür, es wurde so mit Adrian bei der letzten Einsatzbesprechung abgesprochen. Ihr ankommender Blick schwenkte, von der am Boden liegenden Melina zum Biobett. Dort kauerte der zitternde Adrian auf dem Kopfkissen, sein verstörter Blick war auf die Schwester gerichtet. Adrian hatte, wie Marte im vorübereilen sah, keine äußeren Verletzungen, jedoch mental fühlte sie, ihm saß der Schreck im Nacken.

      Binnen weniger Sekunden begriff Adrians gelähmter Geist, was mit seiner Schwester geschah. Reflexhaft sprang er vom Bett und stolperte ihr entgegen. Jedoch auf halber Höhe schlug der Kolik Anfall wieder gnadenlos zu. Schmerzerfüllt aufschreiend stützte er sich an der Labortür ab.

      Marte schaute kurz auf, sie war inzwischen damit beschäftigt Melina "auseinanderzufalten", »Hältst du es aus«, fragte sie Adrian.

      Mit größter Anstrengung presste er hervor: »Hilf ihr ...«, der Rest seiner dünnen Worte ging in der sehr lauten Citraa Mitteilung unter: ›... Innere Verletzungen, schwere Gehirnerschütterung, rechtsseitig Schlüsselbeinbruch ...‹

      Während die Citraa sprach, veranlasste Marte, dass die Ausbilderin in eine Notfall Staze-Abteilung der echten Krankenstation portiert wurde, und noch bevor der letzte Portierstrahl verschwunden war, wandte sie sich den Schutzbefohlenen zu. Augenblicklich verschmolzen ihre Blicke. Fast zeitgleich fixierte Marte auf Adrians Rücken einige neurologische Punkte.

      Sofort war sie schmerzfrei. Dicht an das Weib geschmiegt atmete er erleichtert auf, und wie gehabt spendete sie so, etwas Lebenskraft. Die Nähe tat ihm gut, er entspannte und sie löste den hypnotisierenden Blick von ihm. Für etliche Herzschläge hielten sie sich noch fest umschlungen. Die Lippen besiegelten mit zaghaften – schüchternen – Küssen die unnahbare Distanz der Gefühle. Dennoch genoss Adrian die flüchtigen Berührungen.

      »Nimmersatt«, scherzte sie.

      Auf der Stelle nahm Adrians Gesicht bis zu den Haarwurzeln Farbe an.

      Seine Schamhaftigkeit belustigte Marte. Frech grinsend stupste sie an seine Nase. Er blickte verschämt zu Boden und schwieg. Kaum einen Lidschlag später liefen ihm dicke Tränen über die Wangen.

      Das Adrian urplötzlich von starken Gefühlsausbrüchen überrannt wird, hängt mit ihren niedrigen und zudem chaotischen Elias-Werten zusammen. Dadurch ist seine Psyche stark angeschlagen und er stand sehr nah "am Wasser".

      Weil Marte das wusste, bereute sie die Witzelei. Hastig, fast ein wenig derb, riss sie ihm an sich heran. »Hey, ist gut. Ich habe es nicht so gemeint.«


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