Die Sümpfe. Gerhard Wolff

Die Sümpfe - Gerhard Wolff


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      Gerhard Wolff

      Die Sümpfe

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Ohnmacht

       In der Fremde

       Auf schiefer Ebene

       Geschäfte

       Verliebt

       Bewährung

       Im Zentrum des Netzes

       Neuausrichtungen

       Bedrohungen

       Krieg

       Nach Hause

       Impressum neobooks

      Ohnmacht

       1

      „Kommst denn du jetzt her?“, lallte Toms Vater, als sie sich in der Diele begegneten. Er hatte sich wie jeden Abend in der Dorfkneipe volllaufen lassen und dann an der Wohnzimmerbar den Rest gegeben. Jetzt wollte er nach oben ins Bett.

      Tom blieb entsetzt stehen, als er ihn bemerkte. Wie immer, wenn sein Vater betrunken war, legte sich augenblicklich eine traurige Schwermut auf seine Seele und er konnte seiner Stimmung trotz seiner Empörung keine Luft verschaffen. Er stand nur da und schämte sich.

      „Ach, von deinem asiatischen Rumgehampel!“ Der Vater lachte böse. „Macht doch keinen Mann aus dir!“. Er gehörte zu den Menschen, die sich Mut antranken und dann böse wurden. Er ging an Tom vorbei und schnappte nach dem Geländer, um sich festzuhalten. „Mach Platz, du Lusche!“, knurrte er ihn an und lachte wieder. „Mit solchen Weicheiern wie dir werde ich immer noch fertig!“

      Tom sah ihm mehr enttäuscht als böse nach. Er schämte sich nur, dass er einen solchen Vater hatte, der sich nicht beherrschen konnte. Er wollte keinen Vater, der sich nicht unter Kontrolle hatte. Er hasste Disziplinlosigkeit. „Du bist doch völlig betrunken!“, entfuhr es ihm und er erschrak über seine Worte. Es war das erste Mal, dass er ihn auf seine Trunksucht ansprach.

      Der Vater hielt überrascht inne und starrte Tom entgeistert an. „Ich hör wohl nicht recht. Was hast du da eben gesagt? Hast du gesagt, dass ich betrunken bin?“ Er reckte Tom seinen Kopf entgegen, so dass dieser seinen nach Alkohol stinkenden Atem riechen konnte. „Du willst wohl frech werden. Du hast mich noch nicht betrunken erlebt!“

      Jetzt reichte es Tom. „Dass ich nicht lache. Ich habe dich wahrscheinlich schon tausend Mal betrunken erlebt. Genauer: Tausende Male. 365 Tage im Jahr mal 20 Jahre, das sind viele tausend Male betrunken. Was sage ich, betrunken, besoffen meine ich.“

      Er trat einen Schritt zurück, richtete sich auf, schnaufte tief durch und schrie den Vater an. „Als du noch Handelsvertreter warst, um nebenbei etwas zu verdienen und übrigens der Mutter den ganzen Hof überlassen hast, wobei sie sich zu Tode gearbeitet hat, bist du jeden Abend besoffen nach Hause gekommen.“

      „Sag das nicht noch einmal, sonst …!“ Er drohte Tom mit geballter Faust und glotzte ihn aus bösen Augen an. „Sag das nicht noch einmal!“

      Tom beeindruckte das nicht. Er war Taekwondo-Kämpfer und hätte den Vater mit einem einzigen Schlag niederhauen können. „Deine ganze Arbeit bestand darin, dich von einer Kneipe zur nächsten zu hangeln, ein paar Aufträge abzuschließen und dich dann volllaufen zu lassen. Und dann kamst du nach Hause, hast die Mutter terrorisiert und beleidigt, anstatt einmal mit ihr auszugehen oder etwas zu unternehmen.“

      „Du elender Hund!“, brüllte der Vater, schlug nach Tom und fiel zu Boden, weil dieser dem Schlag durch einen Schritt nach hinten ausgewichen war.

      „„Am Abend wird der Faule fleißig!“ hast du die Mutter dann noch gehänselt, wenn sie, nachdem sie den ganzen Tag auf dem Hof geschuftet und noch die Hausarbeit erledigt hatte, während du dich dann auf die Couch gelegt und deinen Rausch ausgeschlafen hast.“

      Der Vater zog sich am Geländer hoch, stand mit offenem Mund da und gaffte dumm. Speichel floss ihm aus dem Mund. „Das wirst du büßen!“, lallte er.

      „Und als du mit dem Job aufgehört hast, weil die Mutter es nicht mehr schaffte und nicht mehr konnte und schließlich starb, da war ja ich alt genug, die Arbeit zu machen und da warst du jeden Abend in der Kneipe und hast deine Säuferkarriere fortgesetzt. Meinst du wirklich, ich hätte dich bei einem solchen Leben noch nicht betrunken gesehen. Tag für Tag habe ich dich besoffen gesehen. Aber solange die Mutter noch lebte, durfte man nicht darüber reden, weil sie Angst vor den Konsequenzen hatte, denn eines ist klar, dass du ein mieses Schwein bist.“

      Der Vater war völlig baff.

      „Und bei solch einem Großmaul wie dir ist es natürlich klar, dass du zwar am Abend einen ganzen Kasten Bier trinkst, aber dann immer noch stocknüchtern bist“, ergänzte Tom ironisch.

      „Was fällt dir ein, du dreckiges Miststück!“, brüllte der Vater mit weit aufgerissenen Augen, stürzte auf Tom zu und versuchte, ihn zu packen.

      Der trat einen Schritt zur Seite, der Vater griff ins Leere, torkelte und fiel wieder zu Boden. Er versuchte, sich aufzurappeln und fluchte laut. „Verdammt, wenn ich dich kriege, gibt´s wieder mal Prügel. Du hast wohl schon lange keine mehr bekommen.“

      „Du bist doch nur ein alter Säufer!“, entfuhr es Tom.

      „Willst du frech werden gegen deinen Vater, schämst du dich nicht?“

      „Wenn du wüsstest, wie oft ich mich in meinem Leben schon für dich geschämt habe. Für so einen alten Säufer wie dich!“

      „Hau ab, du Scheißkerl!“, brüllte der Vater. „Hau ab, bevor ich mich vergesse!“

      „Vergesse?“, fragte Tom nachdenklich. „Ich frage mich, ob du dir deiner Person eigentlich überhaupt einmal bewusst warst, du eingebildeter, egoistischer Selbstbetrüger.“

      Der Vater saß mit offenem Mund auf dem Boden und glotzte blöd vor sich hin. Er schien Toms Worte gar nicht zu begreifen.

      „Ja, das ist die Frage: Ob du jemals Verstand hattest und ihn nur versoffen hast. Oder ob du nie welchen hattest? Oder ob du dich nicht selbst erkennen kannst, weil du so ein toller Hecht bist!“

      Sie stierten sich aus bösen Augen an.

      „Wie auch immer: Jedenfalls bist du eine Schande für unsere Familie! Du widerst mich nur an“, stammelte Tom leise.

      Dann war es totenstill im Raum und sie starrten sich böse an.

      Schließlich wandte sich Tom ab und ging traurig und zerstört nach oben in sein Zimmer. Die Scham nahm ihm jeden Lebensmut.

      Er musste an seine Mutter denken. Sie war eine große, schlanke Frau, die von einem der kleineren


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