Die Sümpfe. Gerhard Wolff

Die Sümpfe - Gerhard Wolff


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dich vielleicht, aber nicht für mich. Denk doch auch mal an mich!“

      Der Vater sah ihn fragend an und schwieg.

      „Ich habe hier ein Prospekt mit Pumpen, mit denen ich die Sümpfe trockenlegen kann. Ich brauche zehntausend Euro. Bist du bereit, das Geld zu investieren? Bezahlst du die Rechnung, wenn ich die Geräte bestelle?“

      Der Vater grinste ihn frech an. „Ich investiere nur noch in das!“, erklärte er, deutete auf die Bierflasche und nahm einen Schluck daraus. „Ich investiere in sonst gar nichts.“ Er grinste Tom weiter an. „Du musst schon warten, bis ich tot bin, damit du an mein Geld kommst. Und das kann noch dauern. Ich will hundert Jahre alt werden, wie mein Großvater!“

      „Der hat aber nicht so gesoffen wie du!“, konterte Tom.

      „Willst du frech werden, du Saukerl!“, brüllte der Vater Tom an und Geifer spritzte ihm ins Gesicht. Wieder versuchte er, Tom zu schlagen, aber wieder war es ein Leichtes für ihn, dem Schlag auszuweichen.

      Tom sah ein, dass es sinnlos war. Da ließ er seinen Vater los und dessen Kopf plumpste auf seine Arme.

      Er murmelte noch kurz etwas Unverständliches, dann war er eingeschlafen.

      Tom saß nachdenklich da und betrachtete ihn noch eine Weile.

      11

      „Auf Wiedersehn, Mama, ich muss jetzt gehen, der Bus kommt schon!“

      Sofia deutete die Straße hinunter, wo ein Bus in Richtung der Bushaltestelle, die gleich neben Sofias Elternhaus war, fuhr.

      „Musst du denn wirklich, Sofia?“, fragte der Vater. „Wir schaffen es doch auch so, meinst du nicht?“ Er sah sie traurig und hilflos an.

      „Ach, Papa, das haben wir doch schon tausend Mal besprochen!“, erwiderte Sofia. „Niemand von uns hat Arbeit, wir haben kaum genug zu essen, geschweige denn, dass wir uns sonst etwas leisten können. Wir haben nicht einmal genug Geld, um unser Haus in Stand zu halten.“ Sie zeigte auf das Dach, durch das es bei starkem Regen bis in die Zimmer regnete.

      „Ja, ja, das haben wir nicht!“, bestätigte der Vater und senkte enttäuscht den Kopf. „Ich kann nicht für meine Familie sorgen und kann ihr nicht einmal ein ordentliches Heim bieten!“

      Sofia nahm ihren Vater in den Arm und drückte ihn. „Papa, bitte, so habe ich es doch nicht gemeint!“

      „Ich weiß“, bestätigte der Vater. „Aber es tut trotzdem weh!“

      Sie gab ihm einen dicken Kuss. „Ich werde in Deutschland Arbeit finden, ich schicke euch viel Geld, ihr könnt gut leben und alles in Ordnung bringen, ich spare auch ordentlich etwas und sobald ihr hier für mich eine Arbeit gefunden habt, komme ich zurück. Das ist doch ein guter Plan. Ich gehe doch nicht für immer!“, rief sie lachend, obwohl auch sie den Tränen nahe war.

      „Ja“, meinte die Mutter leise. „Hoffentlich kommst du bald wieder!“

      „Versprochen!“, meinte Sofia. „Aber ich muss jetzt gehen!“

      Der Bus passierte gerade die kleine Gruppe vor Sofias Elternhaus und hielt mit quietschenden Reifen auf der gegenüberliegenden Straßenseite an.

      Sofia drückte und küsste nochmals alle, die Mutter, den Vater, die Geschwister. Dann sah sie sie noch einmal lange an, so als wollte sie sicherstellen, dass sie dieses Bild niemals vergessen würde. Die Mutter fing an, zu weinen. Da wusste Sofia, dass es Zeit war, sich loszureißen, sonst würde sie es nicht schaffen, zu gehen. Ohne weiteres Wort rannte sie über die Straße, war im nächsten Moment eingestiegen und suchte sich einen Fensterplatz, damit sie ihrer Familie nochmals winken konnte.

      Dann fuhr der Bus ab.

      12

      „Hallo, Tom!“, rief der Postbote und hielt sein Postauto neben der Wiese an, auf der Tom gerade Bogenschießen übte und rief ihn durch die geöffnete Fensterscheibe zu sich.

      Das Bogenschießen war neben dem Taekwondo und dem Motorradfahren Toms drittes großes Hobby. Gerne wäre er auch geflogen, aber er wusste, dass er niemals das Geld dafür haben würde.

      „Hallo, Freddy!“, begrüßte Tom den Postboten, unterbrach sein Training und ging zu ihm hin. Sie kannten sich schon lange und waren Freunde.

      „Heute mal nicht Taekwondo?“

      „Es gibt auch noch was Anderes!“, lächelte Tom.

      „Aber im Taekwondo hast du dir schon einen Namen gemacht!“, erinnerte der Postbote Tom. „Bezirksmeister und dritter auf Landesebene, das ist schon was.“ Er hob beratend die Hände. „Ich würde schauen, dass ich mich da noch verbessere. Vielleicht wirst du ja noch ein ganz Großer. Hier auf dem Hof kannst du es eh zu nichts bringen. Dein Alter lässt doch alles verfallen!“

      Tom verzog verärgert die Miene und schwieg.

      Der Postbote bemerkte es. „Tschuldigung, wollte dich nicht beleidigen, Tom. Ich denke, du weißt, dass ich es gut mit dir meine!“

      Tom nickte. „Das schon, Freddy.“ Er machte eine kleine Pause. „Tut halt verdammt weh, was du sagst, auch wenn´s wahr ist!“ Er begann die Post zu öffnen.

      „Tja, die Wahrheit tut manchmal verdammt weh!“, überlegte der Postbote. „Da fragt man sich, ob es besser ist, wenn man sie nicht weiß oder hört!“, sinnierte er. „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“

      „Verdammt, verdammt, verdammt!“, schimpfte Tom plötzlich laut und stampfte auf den Boden.

      „Was Unangenehmes?“

      „Das kannst du laut sagen!“, rief er enttäuscht aus. „Nur Unangenehmes!“

      „Na ja, da fahr ich mal lieber weiter!“, meinte der Postbote. „Geht mich ja nichts an.“

      „Kannst du ruhig hören!“, rief Tom wütend. „Hier, das ist eine Absage von der Bank. Die geben mir keinen Kredit, obwohl sie genau wissen, dass mein Alter genug Kohle hätte, um den Hof zu sanieren und die Sümpfe, du weißt ja, mein eigentlicher Plan …!“

      „Ja, du und deine Sümpfe!“ Alle im Dorf wussten Bescheid.

      Tom sah ihn kurz böse an, begriff aber, dass er wie alle anderen auch Recht hatte. „Ja, jedenfalls gibt mir die Bank keinen Kredit für das Projekt, obwohl mein Vater zehntausende von Euros bei ihr hat!“

      „Dein Vater ist dein Vater und du bist du. Wer weiß, wie der sein Geld noch verschleudert, so wie der säuft. Das sind keine Sicherheiten. Und du bist ein armer Schlucker und hast nichts.“

      „Danke!“, meinte Tom lakonisch, wusste aber, dass Freddy Recht hatte.

      „Bitte!“, konterte der ebenfalls trocken.

      „Und der andere Brief ist auch nicht besser!“, fuhr er Tom fort.

      „Schlimmer kann´s doch gar nicht kommen!“, schätzte der Postbote.

      „Denkste!“, schimpfte Tom nun ratlos. „Post vom Staatsanwalt. Ich hab `ne Anzeige wegen Körperverletzung am Hals. Wegen der Schlägerei in der Kneipe. Da geht es mir sicher an den Kragen. Dass mich das Schwein provoziert hat, interessiert doch keinen!“ Er sackte in sich zusammen.

      „Du hättest den Kerl halt auch nicht zusammenschlagen dürfen!“, wusste Freddy. „Das ist in unserem Land verboten!“

      „Danke für den Sozialkundeunterricht!“

      „Obwohl ich auch manchmal der Meinung bin, dass es manchem gut täte, wenn er mal eine auf´s Maul bekäme!“, versuchte er, ihn aufzurichten.

      „Das hilft mir überhaupt nicht!“, wusste Tom. „Ich werde verurteilt werden und wenn ich Pech habe, komme ich in den Knast.“ Er dachte nach. „Ich komme sicher in den Knast. Wenn der Richter hört, dass ich Kampfsport mache, dann bin


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