Wandlungen. Helmut H. Schulz

Wandlungen - Helmut H. Schulz


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stehendes, geläutertes deutsches Volk, sozusagen auf dem Reißbrett geplant, und weit hinten erhebe sich leuchtend das kommunistische Ideal. Noch in diesem Jahrhundert müsse sich der große Menschheitstraum erfüllen, das Geld abgeschafft sein, der bedürftige Mensch in einen bedürfnislosen umgewandelt und in seinen elementaren Ansprüchen aus staatlichen, vielmehr gesellschaftlichen Fonds versorgt werden. Bis dahin gelte es, umzuerziehen, das Wesen des Menschen, zumal des deutschen Menschen, auf eine höhere, bessere Stufe gehoben werden. Denn, die Geschichte entwickele sich gesetzmäßig und das heiße höher; aus dem historischen Chaos in die Ruhe der Harmonie. Anstatt Kriege und der Organisierung von wechselseitiger Ausbeutung, die erhabene Zukunft, die große Vermenschlichung ...

      Unser Held zog predigend mit der Roten Armee gen Westen, auf die Heimkehr fiebernd. Seine Stunde schlug Anfang Mai 1945 mit den letzten Schüssen und der Kapitulation des Deutschen Reiches. Nunmehr sollte die neue Welt errichtet werden, aber mit welchem Personal? Das war eine zentrale, vielleicht die schwierigste Frage. Die Deutschen hatten verblendet bis zur letzten Patrone gekämpft. Von den bewährten alten Kämpfern, Genossen, Kommunisten, Sozialisten und von den bürgerlichen Oppositionellen lebten nur noch wenige; ihnen gegenüber war Misstrauen angebracht. Als Beisitzer an den Säuberungsgerichten suchte Beharrer verzweifelt, voller Ablehnung, Hass und echtem Bemühen nach der reinen Seele der Deutschen und fand nur die kleinen Leute mit dem ungepflegten Innenleben, sonderte, so gut es eben ging, die Spreu vom Weizen, filterte aus der amorphen Masse Schuldiger eine dünne Schicht Unbelasteter, Aufbauwilliger, schuf aus dem Bodensatz der Davongekommenen seine Neulehrer und Nachtwächter, Verwaltungsangestellte, Kasernierte Volkspolizisten, Parteisekretäre und alle gebrauchten Kader, ohne eigenen Anspruch. Allerdings, der neue Gottes- und Volksstaat würde ohne Staatsvolk gebildet werden müssen und einer geschlossenen Gesellschaft gleichen; dies wurde ihm klar. Für einen langen Übergang war die Diktatur des Apparates, der Arbeiterklasse, zu errichten, schrieb Beharrer, das nannte er: Die Mühen der Ebenen!, sich an ein Dichterwort anlehnend. Und er erkannte: Das erhabene Umerziehungsprojekt war längst an den historischen Bedingungen des Nachkrieges gescheitert; der neue Mensch, nach den Konzepten von Casablanca, Jalta und Potsdam, verfehlt. Was blieb? Der Rückzug auf den bekennenden Antifaschismus.

      Was blieb noch? Die Jugend! Ihr allein brachte der alternde Propagandist jenes Vertrauen entgegen, das er anderen versagte. Straff führte er sie in der neuen Jugendorganisation, der Freien Deutschen Jugend zusammen, versprach ihr den sozialen Aufstieg, Studienplätze an der Arbeiter- und Bauernfakultät, die Führerschaft, baute an der Kaderreserve der Zukunft. - Es wechselten die Strategien, Beharrer wechselte mit, getreu einer Dialektik der austauschbaren Wahrheiten. Er war für den bündnisfreien, einigen deutschen Nationalstaat der Volkskongresse kurz vor Gründung der Bundesrepublik und der DDR, beschrieb ihn werbend in leuchtenden Farben als friedliebend und freundlich, als gerecht und internationalistisch-solidarisch; er schrieb gegen das aufrührerische Volk vom 17. Juni 1953 und ließ sich nur schwer dazu überreden, seine Kritik und Erbitterung über dieses erneute Versagen des Volkes dahin zu mildern, dass es vom Westen geblendet, verführt, getäuscht worden sei. Seine Nachrufe beim Tode Stalins klangen schon heuchlerisch, aber sie füllten die großen Zeitungen. Er fragte, wie es nach dem Tode des großen Führers denn nun weitergehen solle, erkundigte sich bei imaginären Instanzen, wieso nur der große Stalin alles habe wissen können, nicht aber der gewöhnliche Genosse, zu schweigen vom Mensch schlechthin?

      Hatte er nach seiner Rückkehr aus der Emigration propagiert, dass kein Deutscher mehr ein Gewehr in die Hand nehmen dürfe, nach einem der Leitsprüche jener Tage, der sehr überzeugt vorgetragen worden war, so deutete er den Ostdeutschen die Gründung der Kasernierten Volkspolizei, frühe Organisationsform einer Volksarmee, als internationalistische Großtat und patriotisch friedenssichernde Handlung. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU sinnierte Beharrer wiederum öffentlich über die Niedertracht des Personenkultes in der Stalin-Ära und sprach die Mehrheit aller hiesigen Stalin-Gläubigen von dem Verdacht frei, etwas gewusst zu haben. Zudem hätte er in der DDR keinerlei Verwerfungen festgestellt, alles könne also seinen ruhigen Gang gehen. Sein Jubel begleitete den Mauerbau, gern nahm er auch im Bewusstsein seiner Verdienste um den Antifaschismus staatliche Auszeichnungen und einen hohen militärischen Ehrenrang des Innenministeriums an, fühlte sich als eins mit dem Schwert und dem Schild, begann indessen in jenen Jahren weinerlich zu werden. Die Jahre zwischen 1961 bis zu seinem zeitlichen Ende waren seine erfülltesten. Eigentlich aber begriff er von dem, was wirklich um ihn herum geschah, nur noch wenig, wollte nichts sehen und hören und infrage stellen.

      Zum inneren Zirkel der Parteiführung war er nie zugelassen, alle die fixen Laufjungen der Einheitspartei, die ihren Verein mit gelassenem Gestus und um etwas mehr als um acht Groschen alsbald verraten sollten, und von denen er manch einem in den Sattel geholfen, überrundeten ihn als komische Figur spielend leicht. Ein großer Beschwichtiger, wurde er schließlich geschwätzig, leierte immer den gleichen Sermon her, bis er gemieden wurde, ohne es zur Kenntnis zu nehmen. In seinen Vorstellungen war das große Ziel erreicht, nichts stand dem Kommunismus mehr im Wege, ein paar kleine Schritte, und das Werk durfte als vollbracht gelten. Gleich seinem obersten Chef lebte er in der Überzeugung, alle anderen seien Ochs und Esel, das Jahrhundert nehme seinen Lauf nach den persönlichen Einfällen von Parteiführern. Persönlich ging es ihm vortrefflich. Mit den knappen Gütern des Tagesbedarfes stets wohl versorgt, mit nobler Datscha, mit Dienst- und Privatauto lebte er, ohne dass ihm die Idee kam, es könne sich um Privilegien handeln, die mit der angestrebten Gleichheit nicht ganz vereinbar seien; dem Sozialismus hafteten eben noch Elemente von Ungerechtigkeit an, gleichwohl sei er gerechter, als andere Ordnungen, und erst der baldige Kommunismus gebe jedem nach seinen Bedürfnissen. Die Zukunft verhandelte der alternde Propagandist wie ein dramatisches Theaterstück; in seinen Reden und Aufsätzen beschwor er noch immer und immer dieselben Lehrstücke; man näherte sich gesetzmäßig, zwangsläufig dem Zustand der Vollkommenheit und des Glückes. Ihn störte es nicht, dass die jesuitisch gehandhabte Lehre mit der Lebenswirklichkeit längst auseinanderlief, dass die Widersprüche unübersehbar anwuchsen. Wohl hörte er gelegentlich munkeln, dass sich eine Clique des Staates bemächtigt habe, hörte von enormen Wirtschaftsverlusten, unbeherrschten ökonomischen Problemen, dem nahen Zusammenbruch der Volkswirtschaft. Allein er schob alles weit von sich und stand Beifall klatschend, in Selbstmitleid Tränen vergießend, unter den Delegierten des jeweiligen Parteitages. Zuletzt sah er mit Unverständnis einen neuen Stern am sozialistischen Himmel aufgehen, der Gorbatschow hieß, erlebte die Jahrhundertniederlage des Kommunismus jedoch nicht mehr, ward in seinem Glashaus hinweggenommen und hinterließ eine Generation Umerzogener im Zwiespalt. Seine Schüler wurden von der Katharsis einer gescheiterten Inszenierung auf dem Welttheater getroffen; der die Zukunft regelnde mechanische Gott des historischen Materialismus, die Verkörperung angeblicher Gesetzmäßigkeit jeder Entwicklung, erwies sich als bloßes Hirngespinst, angesichts der Wendungen und Sprünge, welche die Geschichte sichtbar vollführte.

      Es hatten all die Glaubenspädagogen, die Anbeter des Fortschrittes, soweit sie Intellektuelle waren, mit Anleihen an frühere Epochen nicht gespart, vom freien Volk auf freiem Grund war die Rede im Zusammenhang mit der sowjetischen Bodenreform; von den Siegern der Geschichte beim doch eigentlich unterlegenen Volk der Deutschen war viel geschwärmt, der Nationalsozialismus als Menschheitsfeind und einmaliger Fall, außerhalb jeder Geschichtsbeobachtung stehend, beschrieben worden. Sieger waren allerdings nicht mehr recht auszumachen; so erschien es wenigstens den Umerzogenen bei der Totenfeier ihres Lehrers. Man begrub den alten Kämpfer unter Anteilnahme seiner geprellten Eleven, hinausgeworfenen Hochschullehrern, ehemaligen Offizieren der Volksarmee, Statthalter der Macht des gestürzten Ministeriums für das Innere.

      Menschlich wird man Beharrer das Verständnis nicht versagen wollen, zieht man die Epoche in die Betrachtung mit ein, in der er lebte. Ohne Krieg und Revolution wäre er ein braver Mensch geworden, mit ein paar schrulligen Neigungen. Vielleicht hätte er Gemälde gesammelt und würde gescheit über seine Erwerbungen in der Fachpresse geschrieben haben. Im Vorstand eines Vereins zur Pflege und Züchtung von Rosen mit revolutionären Eigenschaften ist er vorstellbar. - Seine noch junge Frau und die aus einer spät geschlossenen Ehe hervorgegangenen Söhne traten nach seinem Tode in die antifaschistische Erbfolge ein. Bis zur Wende genossen sie alle Privilegien des Heimgegangenen, und sie stellten neue Ansprüche unter Hinweis auf die Verdienste ihres Vaters. Der hinterließ eine verlogene Autobiografie,


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