Der Fluch von Azincourt Buch 2. Peter Urban
gewesen, die der römische Kaiser Friedrich II. von Hohenstauffen dort im Jahre 1224 gegründet hatte und auch an der maurischen Schule von Cordoba in Al Andalus. Er hatte die Welt bereist: Ägypten, das Land am Nil, Persien und sogar das ferne und geheimnisvolle Indien…obwohl er über diese Zeit seines Lebens niemals zu ihnen sprach.
Aodrén hatte von diesen weiten und abenteuerlichen Reisen Abschriften zahlreicher wunderbarer Werke mitgebracht, die er gemeinsam mit Sévran las, wenn er ihm Unterricht in der arabischen und der jüdischen Sprache erteilte. Avincenna - Abu Sina, der Vater der maurischen Heilkunst gehörte genauso zu Sévrans Lektüre, wie Djabir Ibn Haijan, der mit seinem Werk um die islamische Alchemie den bedeutenden Einfluss der Gestirne auf den Körper und die Gesundheit des Menschen erklärt hatte. Der junge Mann räusperte sich. Sein jugendlicher Wissensdurst hatte ihn auch dazu verleitet Ibn Masarra und Ibn Arabi zu lesen und in den Kopien der Tabula Smaragdina und der Ghajat al-Hakim herumzuschnüffeln, die Aodrén mitgebracht hatte, doch diese etwas anrüchigeren Dinge wollte er seinen Prüfern vorerst ersparen.
„Schon bei den Griechen spielten Schlaf- und Schmerzmittel eine herausragende Rolle“, erläuterte er selbstsicher, „so nennt Gaius Plinius der Ältere in seinem Werk Naturalis Historia unter anderem den Mandragora-Wein und unterscheidet das Einsatzgebiet: soll Schlaf erzeugt werden, reicht allein schon das Einatmen des Weins; für eine betäubende Wirkung wird der Wein als Trank verabreicht. Als Mittel um nur eine bestimmte Stelle des menschlichen Körpers zu betäuben, gibt Plinius den sogenannten Stein von Memphis an, eine Paste aus Marmorstaub und Essig, welche auf die Haut aufgestrichen diese unempfindlich gegen Schmerzen macht, sowie die Asche von Krokodilshaut.“
Konogan nickte zufrieden. Auch Maod’ana und Berc’hed schienen von seinen Ausführungen angetan. Über dem runzeligen, verwitterten Gesicht der Bandrouiz lag ein katzengleiches, zufriedenes Lächeln und ihre von tiefen Falten umgebenen smaragdgrünen Augen glitzerten fröhlich, während Berc’hed ihr irgendetwas ins Ohr flüsterte und dabei mit einem spitzen, dünnen Finger etwas ungezogen direkt auf ihn deutete. Sévran fasste Mut. Er hatte selbst schon ein wenig herumprobiert und war dabei zu einer noch einfacheren Lösung gekommen, wie man ein Mittel zur Schmerzlinderung und Betäubung geschickt transportieren und auch verabreichen konnte. Aodréns Erfahrungen von der Akademie in Salerno, wo er Haschisch aus Persien, Opium aus dem Hindukusch und Belladonna erprobt hatte, hatten ihn dazu angeregt. Alle diese Stoffe ließen sich genau so leicht in eine Tinktur verwandeln, wie verschiedene Pflanzen, die er im heiligen Wald fand und die ähnliche Eigenschaften besaßen: „Verbo, nihil ut doceatur, discatur, sciatur, temere, ad curiositatem duntaxat, ut sciatur: sed ad artem, ut fiat..”, setzte er seine Ausführung auf Lateinisch fort, „Mit einem Wort; Nichts soll um des Lehrens Willen gelernt werden, nicht planlos als bloße Kuriosität gewusst werden, sondern für die Fertigkeit und damit es gemacht werden kann.“
Das Lateinische hatte mit der zunehmenden Christianisierung langsam aber bestimmt den Gebrauch der griechischen Sprache in den Wissenschaften verdrängt. Sogar die Drouiz hatten dies letztendlich akzeptiert, obwohl viele der Älteren immer noch vorzogen, das Wenige was sie schriftlich niederlegten, auf Griechisch zu verfassen.
„Wenn man nun aber die Auszüge von Papaver Somniferum, die die Araber allgemein „abu en nom“, den Vater des Schlafes nennen mit Alraunen- Bilsenkraut- und Schierlingssaft vermischt und einen ganz gewöhnlichen Schwamm voll saugen lässt, dann kann man diesen hinterher in der Sonne trocknen und ganz einfach mit sich führen. Wenn er dann verwendet werden soll, lege man diesen „spongium somniferum“ in eine Schüssel mit ein wenig warmem Wasser. Nach Beendigung einer Operation kann man durch erneutes Trocknen, den Schlafschwamm wieder in seine einfach zu transportierende Ausgangsform zurückverwandeln“, der junge Mann verbarg nach Abschluss seiner Erklärung seinen Stolz nicht mehr. Auf seinem Gesicht lag ein ausgesprochen selbstzufriedenes Lächeln.
Die Weisen, die um die Drouiz, die Sévran befragten versammelt saßen nickten alle anerkennend. Auch Maod’ana und Berc’hed gaben Konogan Zeichen, das er seine Prüfung nun beenden könne, denn Sévran hatte ausreichend bewiesen, dass er sich nach elfjährigem Studium das Recht auf den Titel eines Anruth erarbeitet hatte und sich endlich auf die letzte und schwierigste Etappe seines Weges begeben konnte. Tugdual winkte ihn heran.
Sévran atmete auf. Die Sonne wärmte angenehm seine nackte Haut. Die rostbraune Robe lag ordentlich zusammengefaltet vor ihm auf dem Boden und er hielt einen langen Stab aus hartem, glänzendem Eibenholz in der Rechten. Noch schmückten den Stab keine Zierden aus Silber und kein Kristall thronte auf seiner Spitze und der dunkelblaue Pflanzensaft, mit dem Hegareg die Konturen eines Triskel auf seine Brust gezeichnet hatte war noch feucht. Aber trotzdem: Es war beinahe zu Ende. Er würde sich bis zum Einbruch der Nacht ausruhen dürfen. Er hatte Hunger und war schrecklich durstig.
II
Nach dem Abendessen kehrten Jean de Craon und Gilles noch einmal in das Laboratorium des alten Mannes in den Gewölben von Champtocé zurück. Der Ritter aus Anjou, der seit einigen Wochen ihre Gastfreundschaft genoss, hatte diesen Teil der Festung noch nicht betreten. Er war in einem Gemach im Turm untergebracht. Der Raum war gut eingerichtet: ein großes, bequemes Bett, ein Schreibtisch, Stühle, eine Truhe, eine kleine Bibliothek mit interessanten Handschriften aus der reichen Sammlung von de Craon.
Nach seiner beschwerlichen Reise von Paris bis an die Ufer der Loire und den vorausgehenden Entbehrungen während der Kriegshandlungen und der anschließenden Belagerung der Hauptstadt, war der Mann nicht in einer Verfassung gewesen, sofort die vereinbarten Forschungsarbeiten aufzunehmen. Er hatte Dankbarkeit gezeigt, als de Craon ihm vorschlug, erst einmal wieder zu Kräften zu kommen.
Sorgfältig verschloss Gilles die schwere Eichenholztür, während sein Großvater drei Kerzen an einem großen Schreibtisch entzündete. Das Buch des Alchemisten lag dort aufgeschlagen. Sie hatten ohne größere Schwierigkeiten die meisten Anweisungen lesen können, die Abraham Eleazar der Jude für seine in alle Winde zerstreut lebenden Brüder und Schwestern damals niedergelegt hatte, um ihnen zu helfen, die Steuerlast zu ertragen, die die weltlichen Herrscher ihnen aufbürdeten. Erstaunlicherweise hatte der Leviterfürst und Priester für sein Werk die klassische, lateinische Sprache ausgewählt, wohl wissend, dass viele Israeliten im Exil der hebräischen Sprache kaum noch mächtig waren. Doch damit hatten Jean und Gilles das Rätsel um Nicolas Flamel und seinen unglaublichen Reichtum natürlich noch lange nicht gelöst.
„Großvater, habt Ihr damals während der Ermittlungen, als Ihr noch im Dienste von Staatsrat Cramoisi gestanden habt nicht vielleicht doch irgendein Detail übersehen...oder im Verlauf von drei Jahrzehnten einfach vergessen“, der junge Laval besaß einen außergewöhnlich scharfen Verstand. Seine Ausbildung war vom ersten Tag an, als Jean de Craon das Kind seiner ältesten Tochter nach Champtocé geholt hatte vom Besten gewesen: Gilles sprach und schrieb die lateinische und die griechische Sprache. Er hatte Mathematik und Astronomie studiert und sämtliche bedeutenden philosophischen Werke gelesen, die auf dem Markt für gutes Gold erworben werden konnten. Jean selbst hatte ihn nicht nur in der Schwarzen Kunst unterwiesen, sondern ihn auch die Ars Alchimia und das Sternedeuten gelehrt. Natürlich war Gilles' Unterweisung im Waffenhandwerk immer an erster und wichtigster Stelle gestanden, doch der Junge war begabt und ausgesprochen wissbegierig. Das Lernen fiel ihm leicht.
Der alte Mann zog sich einen Stuhl an den Tisch und bedeutete auch seinem Enkel sich zu ihm zu setzen. Seine Rechte strich Gilles liebevoll über die dunkelbraunen Locken und de Craons hellgraue Augen, die ür gewöhnlich kalt und hart blitzten, wurden für einen kurzen Augenblick weich und zärtlich: „Wir haben den Fall Flamel lange untersucht, mein lieber Junge. Ich befürchte, weder de Cramoisi noch ich selbst haben damals irgendetwas übersehen. Es war ein persönlicher Befehl des Königs gewesen, diese Untersuchung durchzuführen. In jenen Tagen, als Charles noch klar im Kopf war, konnte sich niemand Fehler leisten, nicht einmal de Cramoisi.“
In der Tat waren de Craons Erinnerungen an dieses Schlüsseljahr 1389 so klar und so präzise, als ob sich das Ganze erst gestern abgespielt hätte: Er war fünfunddreißig Jahre alt gewesen, energisch, ehrgeizig und gerissen. Sein Interesse an den geheimen Künsten und an der Ars Alchimia hatte die Aufmerksamkeit des Staatsrates de