Der Sturm entfacht von Herwarth Walden. Kerstin Herrnkind
er die Zeitschrift „Komet“. Bei der Kulturzeitschrift „Morgen“ arbeitet Walden zunächst als Redakteur und später als Schriftleiter, bevor er 1909 als Hauptschriftleiter zum Organ Deutscher Bühnenangehöriger „Der neue Weg“ wechselt. Er wird jedoch „nach drei Nummern fristlos entlassen, weil er in diesen Heften Beiträge von Strindberg und Schickele“ (50) veröffentlicht. Die Entlassung ruft unter zahlreichen Künstlern starken Protest hervor, der sich in einem offenen Brief über diesen Skandal artikuliert: „Sein (Waldens) Urteil war immer unabhängig von überkommenden Maßstäben und geprägten Werten. Seine Arbeit war stets Kulturarbeit ... Oskar Baum" (51). Joseph August Lux schrieb: „Ich schätze Walden, weil er einer der wenigen künstlerisch empfindenden Redakteure ist, die das Prinzip des Individualismus festhalten, das einzig mögliche in der Kunst und in der Literatur, das auch für einen guten Redakteur verbindlich ist, wenn er seine Zeitschrift nicht auf das Niveau eines Käseblatts herunterbringen will" (52). Doch Waldens „Prinzip des Individualismus“, wie Lux es genannt hat, führt stets zu Zerwürfnissen mit den Verlegern. Im Juli 1909 wird Herwarth Leiter des Berliner Büros der Wiener Zeitschrift „Die Fackel“ (53). Im September 1909 wird Herwarth Walden Chefredakteur der Zeitschrift „Das Theater“, die sich stark an der französischen Zeitschrift „Le Theatre“ orientiert (54), und sowohl über die Theatersituation in Berlin als auch in Paris berichtet. Schon nach kurzer Zeit schlägt sich die progressive Haltung Waldens in der Berichterstattung des Blattes nieder. Er nimmt Beiträge über Varieté und Modetanz auf, „Genres, die ... von den oberen Schichten genutzt wurden, jedoch in keiner Weise als eigene künstlerische Ausdrucksmöglichkeit gleichberechtigt neben anderen anerkannt waren“ (55). Nach vier Monaten wird Walden entlassen, angeblich „weil er sich weigert, Reklamenotizen redaktionell zu vertreten“ (56). Wenn man jedoch in Betracht zieht, dass „Das Theater“ nach dem Weggang Waldens völlig umgestaltet worden ist und keine progressiven Beiträge mehr erschienen sind, liegt die Vermutung nahe, dass den Verlegern auch - oder vor allem - die inhaltliche Konzeption des Blattes durch ihren Chefredakteur ein Dorn im Auge gewesen ist. Nachdem mehrere Versuche, der jungen Kunst und Literatur in Deutschland ein Sprachrohr zu verschaffen, fehlgeschlagen sind, trägt sich Walden mit dem Gedanken, eine eigene Zeitschrift herauszugeben. Schon der Lebensweg vor der Gründung des Sturms 1910 vermittelt den Eindruck, Walden sei streitbar und kompromisslos gewesen. Mit seinem „Verein für Kunst“ zieht er gegen die seiner Meinung nach profitgierigen Kunstfördervereine zu Felde, und als angestellter Redakteur kostet ihn seine progressive Haltung mehr als einmal den Job. Doch Lothar Schreyer, langjähriger Freund und Wegbegleiter Waldens, sieht den „Pionier und Vorkämpfer für die neue Kunst“ (57) anders: „Herwarth Walden war im Grunde keine streitbare Natur. Denn jedem Streit haftet das Zerstörende an, das Gegenteil jeder schöpferischen Natur. Dem Schöpferischen wusste sich Herwarth Walden allein verpflichtet. Wo er das Schöpferische in Gefahr oder gekrängt sah, verlangte es die Pflicht, das Schöpferische zu verteidigen. Die Verteidigung führte Herwarth Walden allerdings schonungslos“ (58). Das soll sich in den kommenden Jahren auch im Sturm zeigen.
"Der Sturm" entfacht von Herwarth Walden. Die Geschichte der Zeitschrift von 1910 bis 1914
Die Geschichte des Sturms lässt sich in vier Phasen einteilen. In der Anfangszeit, das heißt von der Entstehung der Zeitschrift bis 1914, beschränkt sich die Berichterstattung auf allgemeine Kunst- und Kulturkritik. Während des Ersten Weltkrieges eröffnet der Sturm unter anderen eine Kunstschule und eine Bühne, die dazu beitragen sollen, dass sich die so genannte Sturm-Kunsttheorie verbreitet. Die dritte Phase setzt 1919 ein und wird gekennzeichnet durch Waldens politisches Engagement für den Marxismus/Kommunismus. Neben kunstkritischen Artikeln erscheinen immer häufiger Stellungnahmen Waldens zu politischen Themen. Der zunehmende Radikalismus des Herausgebers ab 1928 leitet die vierte und letzte Phase des Sturms ein. Die kunstkritischen Artikel weichen politischen Themen. Aus der „Wochenschrift für Kultur und die Künste“ (1) wird „Die führende Zeitschrift der neuen Kunst“ (2) und schließlich eine „Internationale Monatsschrift“ (3). In der Literatur wird häufig behauptet, in seiner Anfangszeit sei „Der Sturm“ ausschließlich ein „Organ für Malerei“ (4) gewesen. Doch ein Blick in die ersten Jahrgänge der Zeitschrift widerlegt diese Behauptung. Die Berichterstattung bezieht sich gleichermaßen auf Literatur, Musik und bildende Kunst. 1912 engagiert sich Walden stärker für die bildende Kunst und gründet die Sturm-Galerie. In der Folgezeit ist die Geschichte der Zeitschrift nicht zu trennen von der Ausstellungstätigkeit der Galerie. Die Ausstellungen werden in der Zeitschrift angekündigt, besprochen und gegen die zum größten Teil vernichtenden Kritik verteidigt.
Volker Pirsich wählt in seiner Dissertation eine andere Einteilung und sieht nur drei Phasen. Die erste Phase des Sturms verortet er in die Zeit bis 1912. Er begründet diese Einteilung unter anderem mit dem Weggang mehrerer Autoren, die für das Blatt bis 1912 prägend waren, darunter Waldens Ex-Frau Else Lasker-Schüler. Die Literatur trete im Sturm zurück, mache der Bildenden Kunst Platz (Pirsich: Der Sturm, S. 61 ff.). Pirsich schreibt, dass die dritte Phase „fast unmerklich ab Mitte der 20er Jahre einsetzt" und den „sich immer rascher vollziehenden Abstieg“ markiert (Pirsich: Der Sturm, S. 71). Dies ist für ihn die letzte Phase des Sturms.
Entstehungsgeschichte des Sturms - Rolle von Karl Kraus und Einfluss der Zeitschrift „Die Fackel“
Einen maßgeblichen Anteil an der Entstehung des Sturms hat der Wiener Journalist und Schriftsteller Karl Kraus. Herwarth Walden lernt ihn über seine Frau Else Lasker-Schüler kennen und zeigt sich von der Kulturzeitschrift „Die Fackel“ (5), die von Kraus in Wien herausgegeben wird, stark beeindruckt. Herwarth Walden übernimmt im Juli 1909 (6) das Berliner Büro der Zeitschrift. Als Walden sich mit dem Gedanken trägt, eine eigene Zeitschrift herauszugeben, nimmt er nicht nur die finanzielle Hilfe von Karl Kraus in Anspruch, sondern stimmt auch den Titel sowie die inhaltliche Konzeption mit ihm ab (7). Karl Krauss, ohne dessen finanzielle Unterstützung „Der Sturm“ nicht zustande gekommen wäre, hat allerdings keine Rechte an der Zeitschrift. Gleichwohl ist der erste Jahrgang des Sturms stark an „Die Fackel“ angelehnt. Walden übernimmt von Kraus zum Beispiel das Verfahren, Zeitungsartikel zu kritisieren, indem er Zitate ohne Kommentar oder nur kurz kommentiert abdruckt. Auch die Methode, besonders kritikwürdige Sätze ohne Kommentar, dafür aber gesperrt zu drucken, kopiert Walden von Kraus. Als Karl Kraus und Walden sich 1912 überwerfen, orientiert sich Walden nicht mehr an „Die Fackel“.
Die erste Sturm-Ausgabe
Am 3. März 1910 (8) erscheint die erste Ausgabe des Sturms. Mit einer Note auf der ersten Seite umreißt „die Schriftleitung“, also Herwarth Walden selbst, die Grundidee seiner Zeitschrift: „Zwei Worte. Zum vierten Male treten wir mit einer neuen Zeitschrift an die Öffentlichkeit. Dreimal versuchte man, mit gröbsten Vertragsbrüchen unsere Tätigkeit zu verhindern, die von den vielzuvielen als peinlich empfunden wird. Wir haben uns entschlossen, unsere eigenen Verleger zu sein. Denn wir sind noch immer so glücklich, glauben zu können, dass an Stelle des Journalismus und des Feuilletonismus wieder Kultur und die Künste treten können“ (10). Journalismus und Feuilletonismus behindern, so glaubt Walden, die Kultur und die Künste, anstatt sie zu fördern. Wie bei der Gründung des „Vereins für Kunst“, mit dem Walden versucht, ein Gegengewicht zu den kommerziellen Agenturen zu schaffen, stellt er auch seine Zeitschrift in den Dienst der Künstler und ihrer Förderung. Else Lasker-Schüler gibt der Zeitschrift den Namen (11). Kurt Möser weist in seinem Buch: „Literatur und die ,Große Abstraktion‘, Kunsttheorien, Poetik und ,abstrakte Dichtung‘ im Sturm von 1910 bis 1930“ darauf hin, dass es für diese Behauptung keinen Beleg gebe (12). Die Zeitzeugen Lothar Schreyer (13) und Gottfried Benn (14) haben allerdings bestätigt, dass der Name der Zeitschrift von Else Lasker-Schüler stammt (15). In der Literatur stösst man häufig auf den Hinweis, der Name sei angelehnt an „Sturm und Drang“ (16). Lothar Schreyer spricht dem Namen jedoch eher eine metaphysische Bedeutung zu: „Der Sturm reinigt, entwurzelt, zerstört. Aber er braust auch