Für immer Shane ~5~. Simone Lilly
ihm nach hinten. „Heute wäre es fast soweit gewesen, ich war schon drin‘ aber …“
„Aber?“
„Aber Maidred.“, antwortete er aufgewühlt und zog einen neuen Pinsel aus eine Papierhaufen heraus. Welcher Idiot wirft den denn hier rein? Spontan dachte er an seinen Praktikanten. Thomas Finn.
„Und Britney hat dich doch nicht rangelassen?“
Shane nickte.
Matthew ging an ihm vorüber, nach feixend seinen Pinsel an sich und legte ihn wieder zurück auf den Papierhaufen. Doch nicht Thomas Finn.
„Aber Shane … versteh’ sie doch auch. Es ist nicht leicht für euch in letzter Zeit. Vielleicht kann sie sich noch nicht richtig … darauf einlassen.“
Klar verstand er, für Shane war es doch auch schwer, aber er musste weiterleben, wollte sogar weiterleben und auf nichts verzichten müssen. Besonders nicht auf Britneys Nähe, auf ihren Körper.
Beide Männer verließen die Kammer und gingen in den Kundenraum zurück. Niemand war bei ihm, an diesem nassgrauen Vormittag. Zeit genug sich über Probleme auszutauschen. Besonders jetzt. Shane schauderte schon bei dem Gedanken an den morgigen Tag.
Als könne Matthew seine Gedanken lesen, als wären sie für ihn ein offenes Buch setzte er zur Frage an. „Was sagst du ihr wegen morgen? Also ich meine, den Kindern?“
Benommen schüttelte er den Kopf, dann erst fiel ihm ein, dass er und Britney ich am Abend zuvor eine passende Ausrede überlegt hatten. „Ich bin auf einer Geschäftsreise.“
„Einer Geschäftsreise? Mit meiner Firma?“, lachte Matthew auf, wurde aber gleich wieder ernst. „Etwas Besseres ist euch nicht eingefallen?“
„Nein, es war das Naheliegendste.“
„Ja stimmt. Vor allem dauert es eh nicht lang, bis du wieder zurückkommst.“
Shanes Miene verfinsterte sich, Matthew sprach genau diesen Satz aus, den er am meisten fürchtete, den er nachts aus seinen Träumen und tagsüber aus seinen Gedanken verbannt hatten. „Was ist, wenn ich nicht zurückkomme?“, traurig sah er zu Boden, auf die abgelaufenen Holzdielen.
„Ach was Shane. Du kommst zurück. Hundertpro.“
„Das sagst du, aber es gibt auch welche, die den Eingriff nicht überleben.“
„Klar. Es gibt auch welche, denen beim Spazieren gehen ein Klavier auf den Kopf fällt.“
Matthews sarkastischer Unterton schaffte es nicht Shane aufzuheitern. „Ich fürchte mich einfach. Besonders wegen meiner Familie.“
Verständnisvoll klopfte er ihm auf die Schultern, reichte ihm aber einen sauberen Block und einen Bleistift, damit Shane anfallende Skizzen entwerfen konnte. „Ich weiß, aber genau wegen deinen Kindern kommst du wieder. Und jetzt … komm‘ wir sollten echt mal arbeiten.“
3.
„Willst du nicht lieber nachhause gehen?“
„Nein Matthew, ich kann das schon.“
Ungeduldig drosselte er den Wagen auf Schrittgeschwindigkeit und ging in Bremsbereitschaft. Der Autofahrer vor ihm wurde immer langsamer, kam fast vollständig zum Stehen.
„Komm‘ schon Shane. Du bist müde, mit den Gedanken wo anders.“
Matthew war sein Schwager, drückte deshalb immer beide Augen zu , gab auf ihn acht. Doch das wollte Shane nicht. Er wollte sich alles im Leben verdienen und nicht darauf spekulieren zu müssen, ein nettes Familienmitglied bei sich zu haben, das ihm immer half. Matthew war so einer. Er wollte ihm helfen, das rechnete Shane ihm hoch an. Doch hatte er auch eine Arbeit zu verrichten, konnte wegen seinem Problem doch nicht alles stehen und liegen lassen. Vielleicht hätte er genau wegen seinem Verhalten in einer normalen Firma, bei fremden Leuten, seine Stelle schon verloren.
Der Wagen bremste vollständig ab, blieb stehen und löschte sogar alle Lichter. Stimmte etwas nicht?
Neugierig ließ Shane das Fenster runter, streckte den Kopf hinaus und lugte nach vorne. Auch der Mann hinter ihm öffnete das Fenster. Alles staute sich. Alle wurden ungeduldig.
„Los“, barsch hatte Matthew ihn am Oberarm gepackt und ihn zur Tür hinausgeschoben. „du brauchst eine Pause, du brauchst eine ruhige Minute. Ohne Kinder, entspann‘ dich mal“
Jetzt war er draußen, auf dem Weg zu seinen Eltern. Am frühen Nachmittag. Eigentlich war es ja der erste Arbeitstag nach seiner Krankheit. Wochenlang hatte Shane an Fieber gelitten, hatte immer wieder gehustet, keiner konnte es sich erklären. Da er nicht mit Fahren beschäftigt war, schielte er unheilverkündend zur Seite. Hinter dem Beifahrersitz klemmte es. Das Bild. Shane schluckte und krallte sich tiefer ins Lenkrad. Das Foto, das sein Leben zerstört hatte, mit einem Mal. Nie hatte er es mit zu sich ins Haus genommen, zu keiner Sekunde wollte er es bei sich haben, bei seiner Frau, bei seinen Kindern. Nie.
Der Verkehr löste sich, der Wagen fuhr weiter. Zwar immer noch langsam aber es ging wenigstens voran.
Gestresst wechselte er auf die andere Fahrbahn und überholt ihn. Waghalsig, denn der Gegenverkehr ließ nicht lange auf sich warten. War es für Shane wirklich entspannend jetzt zu seinen Eltern zu fahren? Ihnen Fragen über sein Befinden, über seine Familie zu beantworten? Kurz überlegt er. Nein war es nicht. Schlagartig bremste er sachte, betätigte den Blinker und bog einfach nach rechts. Egal wohin er gelangen würde, einfach auf eine andere Straße.
Es war nicht schlimm, Shane kannte sich aus. Fuhr immer weiter, wurde schneller und einsamer. Die Straße leerte sich je mehr Meter er hinter sich brachte. Das war ihm am liebsten. Er war allein. Konnte seinen Gedankengängen nachhängen, hatte nicht auf andere zu achten, konnte die weite unbegrenzte Straße vor sich genießen. Konnte die neu gewonnene Ruhe genießen. Ab und an, während dem Fahren kniff er seine überanstrengten Augen zusammen, öffnete sie zwar rasch wieder, doch fand er es eine willkommene Abwechslung, einfach mal vor sich hinzurauschen, ohne Kinder, die hinten saßen, auf die er ein Auge haben musste, ohne eine Frau, die ihn von der Seite bequatschte und Antworten von ihm forderte, die forderte, dass er ihr zuhörte und ihr zustimmte. Einfach allein zu sein. Sofort wurde er ernst. So wie er es gewesen wäre, wäre er damals nicht zu Britney gegangen, wäre er nicht ihrem verführerischem Blick, ihrer Schönheit, sondern Mac und Lie ihrer Lehrerin gefolgt. Wäre zu der Feier gegangen, hätte sich dort betrunken und sich später über der Kloschüssel übergeben. Sicherlich wäre das auch unangenehm gewesen, doch dann wäre er jetzt alleine. Hätte sich die ganzen Sorgen um Britneys Vater erspart, hätte sich die unerwartete Schwangerschaft erspart, hätte sich vielleicht auch … das Bild erspart.
Müde richtete er seinen Blick geradeaus, konnte aber das Bild neben sich nicht vergessen. Wie bedrohlich es in seiner Ecke klemmte, ihn einzunehmen begann und sich wie ein unheimlicher Schatten über sein Leben ausbreitete. Wütend schaltete Shane einen Gang runter, lenkte an die Straßenseite und stellte den Motor surrend aus. Einen Moment blieb er regungslos sitzen, mit beiden Händen am Lenkrad geklammert und starr nach vorne schauend. Eigentlich brauchte er gar nicht nachzusehen, schließlich kannte er den Inhalt des Bildes ja. ängstlich schielte er zur Seite. Aber andererseits musste er es einfach sehen, sich wieder vor Augen führen in welcher Gefahr er sich befand. Schweißgebadet zog er den Schlüssel aus dem Lenkrad und warf ihn achtlos auf das Amaturenbrett. Kurz danach schnappte er sich zitternd das braun angelaufene Kouvert nicht weit von ihm und setzte sich fröstelnd in den Sitz zurück, kurbelte ihn entspannend nach hinten und öffnete das zugeklebte Papier. Nachdem er das getan hatte, hielt er wieder inne. Komm‘ schon. Es ist nur ein Bild.
Ja, nur ein Bild. Wenn er sich das einreden wollte, so klappte es nicht sonderlich gut. Tief atmend zog er es an sich heran, hielt es empört von sich fort und musterte es, zum gefühlten Hundertstem Mal.
Der Stift des Arztes ruhte ungewohnt lange auf dem schwarz- grauen Röngtenbild. So lange, dass es Shane übel wurde. Ungeduldig wippte er mit dem Fuß hin und her, straffte seinen Rücken, sodass er gegen die harte Lehne des Stuhls im Behandlungsraum