Für immer Shane ~5~. Simone Lilly

Für immer Shane ~5~ - Simone Lilly


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Antwort aus: „Nein, ich bin kein Arzt.“

      Vielleicht durch eben diese direkte Frage prüskiert verschrenkte der Doktor seine Arme vor der Brust, ging um den luftigen Schreibtisch mitten im Raum herum und setzte sich lautstark hinter ihn. Seine hohe Stirn war in viele Falten gelegt, seine runtergezogene Brille begann gefährlich zu rutschen.

      „Wie alt sind Sie?“

      Noch bevor er in seinem Computer nachsehen konnte, setzte Shane zur Antwort an. „33.“

      Erschrocken wurde er aus zwei düsteren Augen angefunkelt.

      „W … warum denn?“

      Der Arzt wurde finster. „Bei Ihnen …“, sein Kugelschreiber zeigte wieder auf die glatte Folie des Bildes, dass seine Lunge abbildete, umkreiste langsam einen kleinen, runden Punkt, der in ihrer Mitte zu sehen war. „… wurde ein ziemlich fortgeschrittenes Bronchialkarzinom festgestellt.“

      Er schwieg. Shane tat es ihm nach. Der Arzt tat es um Shane die Gelegenheit zu geben, über das Gesagte nachzudenken, ihn die vermutlich schlechte Nachricht verdauen zu lassen. Shane jedoch plagte etwas völlig anderes. Etwas viel Banaleres. Was war ein „Bronchialkarzinom“?

      „Ähm … was ist ein Bronchialkar …“

      „Sie haben Husten, Sie hatten Fieber?“

      Shane nickte, immer noch ahnungslos, dennoch wurde ihm angst. Warum ließ der Arzt sich so viel Zeit, ihm von seiner Diagnosezu berichten.

      Mit sich ringend, legte Dr. Mohnam sogar seine Brille ab, ein schlimmes Anzeichen dafür, dass er hitzig am Überlegen war. „Mr. Ó‘ Brannagh, Sie meinten doch, Sie hätten etwas Blut gehustet, richtig?“

      Wieder nickte Shane, gewillt den Doktor anzuschreien, ihn zu schütteln und ihn endlich nach seiner Krankheit zu fragen.

      „Mr. Ò‘ Brannagh, Sie haben … Lungenkrebs.“

      Mitten in seiner Erinnerung hielt Shane inne, beugte seinen Kopf vornüber und fasste sich an seine Stirn. Als wäre es gestern gewesen, fühlte er noch immer, wie sich die Praxis um ihn herum gedreht hatte, wie sich der Boden unter seinen Füßen gelöst hatte, ihn verlassen hatte, und er das Gefühl gehabt hatte, bloß noch vom Stuhl in der Luft gehalten zu werden. Als gäbe es kein Oben und Unten, als gäbe es keinen Boden, nichts. Keine Luft zum Atmen, einfach nichts.

      „W … was?“

      „Bei Bluthusten besteht nur noch eine geringe Chance der Heilung. Jedoch könnten wir es noch mit einer Operation und einer Entfernung des tumorartigen Geschwürs …“

      „Ich machs‘“

      „Es ist riskant.“

      „Ich sterbe so oder so.“

      Dr. Mohnam pflichtete ihm ernst und mit beschlagener Stimme bei. „Sie haben recht. Ich werde mich darum kümmern, so schnell wie möglich einen Termin für Sie auszumachen. Danach werden wir mithilfe einer Chemotherapie versuchen, auch noch den Rest des …“

      „Gut.“, mehr wollte er nicht hören, seine Ohren von der bitteren Nachricht befreien, sie verdrängen und so tun als hätte ihm der Arzt lediglich von einer harmlosen Erkältung erzählt.

       4.

      Entgegen seine Laune hatte das Wetter wenig Interesse daran sie zu unterstreichen, oder es ihr gleichzutun. Die Sonne strahlte unbarmherzig vom Himmel, schien auf die anderen ihm entgegen kommenden Autos hinab, blendete Shane in den Augen, die er gequält zusammenkniff. Unter seinen Tränen konnte er ohnehin schon nichts mehr erkennen. Dr. Mohnam war ihm jetzt im Nachhinein betrachtet, ziemlich taktlos erschienen. Frei heraus hatte er ihm ins Gesicht gesagt: Sie haben Lungenkrebs.

      Matt wechselte Shane die Straßenseite, bremste aber kurz vor einer roten Ampel ab. Quietschend kam er zum Stehen, wurde kräftig nach vorne geschleudert und fiel wieder in seinen Sitz zurück. Erschrocken legte er einen anderen Gang ein.

      „Machen Sie einen Termin aus. Ich sterbe so oder so.

      Wie hatte er das einfach sagen können? Ohne vorher zu überlegen was eine solche Operation für Folgen haben konnte, dass er nicht mehr aufwachen konnte. Zwar stimmte es, dass er auch so sterben würde, trotzdem. Denn Shane hatte noch bevor er mit Britney oder seinen Kindern, anderen Ärzten geredet hatte, noch bevor er die Nachricht über seine Erkrankung überhaupt verdaut hatte, einer Operation zugestimmt.

      Wütend schlug er auf den Schaltknüppel. Sein metallener Ehering kratzte an ihm entlang und ließ Shane erschrocken auf ihn hinabblicken. Das Auto war neu, der Gedanke an eine Beschädigung grauenhaft. Aber gottseidank war keine Kerbe zu sehen. Sein Herz machte eine Pause, seine Atmung erschlaffte. Morgen war es soweit. Um genau acht Uhr morgens würde ihm die Narkose gesetzt werden, er würde schlafen, vielleicht für immer. Oder er würde leben, würde alt werden, würde bald nicht mehr daran denken und an diesen Abschnitt seines Lebens nur noch durch eine kleine Narbe an seiner Brust erinnert werden.

      Lustlos ließ er das Fenster hinunter und spuckte seinen abgekauten Kaugummi achtlos hinauf. Hinter ihm wurde gehupt. Aber das war eine Wunschvorstellung.

      „Bei Bluthusten besteht nur eine geringe Chance der Heilung …“

      Wow, wie viel Mut ihm Dr. Mohnam gemacht hatte, wie er versucht hatte ihn aufzubauen. Anstelle dieses Satzes hätte er genauso gut sagen können: „Sie werden bald 34? Genießen Sie diesen Geburtstag, es wird Ihr Letzter sein.“

      Geschickt parkte er sein Auto in der Einfahrt, sperrte es ab, ließ das Garagentor hinunter und betrat schnellen Schrittes das Haus. Anders als sonst, strömte ihm keine wohlriechenden Gerüche, wenn er aus der Arbeit nachhause kehrte, entgegen. Aber es war ja auch noch früh, niemand rechnete zu dieser Zeit mit ihm. „Hallo“, brüllte er in das große Gebäude hinein, schmiss seinen Schlüssel lautstark auf den Glastisch im Wohnzimmer und stülpte sich seine Jacke von den Armen.

      Keiner meldete sich zu Wort. Erstaunt krempelte er sich die Ärmel nach oben und erklomm die Treppen, die zu den Kinderzimmern führte. Das allererste Zimmer, das Babyzimmer, Maidreds Zimmer, war leer, wo auch immer Britney war, sie hatte das Mädchen mitgenommen. Was er auch voraussetzte, denn sie konnte noch nicht allein gelassen werden. Das zweite Zimmer gehörte Oliver, das dritte Latonia. Sachte klopfte er an.

      „Ja?“

      Olivers schon dunkle Stimme drang klar durch die Tür. Glücklich jemanden anzutreffen trat Shane ein. Olivers Zimmer wurde eigentlich an Tagen wie diesen von hellem Licht durchflutet. Gerade deswegen hatte er wahrscheinlich seine grauen Jalousien heruntergelassen, sodass es angenehm düster war.

      „Hi Dad“, begrüßte er ihn sofort und schaltete seine Stereoanlage leiser.

      Shane hatte Olivers Zimmer erst vor gut einem Jahr renoviert, jugendlicher gestaltet, hatte die Wände von gelb auf weiß gestrichen, eine modische Schlafcouch gekauft, einen kleinen Flachbildfernseher, eine Wii und eine große Stereoanlage, die beinahe täglich lief.

      „Hallo“, obwohl sein Sohn schon fünfzehn war, ließ er es sich nicht nehmen, laut Oliver, uncool auf ihn zuzugehen und ihm einen kurzen Kuss auf die Strin zu geben. Da sie alleine waren und keine Freunde aus der Schule bei ihm waren, beschwerte er sich auch nicht. Kurz sagten sie nichts. Shanes Blick glitt zu Olivers Schreibtisch, an dem er saß, blieb an einem Bilderrahmen hängen. Des Spaßes halber hatten sie ein Jugendbild von Shane und ein aktuelles von Oliver zusammengeklebt, verblüffend ähnlich lächelten sie ihm hinter dem Glas entgegen, als wären sie Zwillinge.

      Schitzend hatte Oliver sich ebenfalls die Ärmel seines lila kariertem Hemdes hochgekrempelt und sich missmutig über seine Hausaufgaben gebeugt.

      „Was machst du denn?“

      „Chemie.“

      Shane räusperte sich vernehmlich, setzte sich auf das weiche Bett und schlug die Beine übereinander. „Wo ist Mom?“

      „Mit Lato und Maidred beim Einkaufen.“

      „Aha.“


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