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wie der Helm eines Hunnenkriegers. Je nachdem, wie das Licht, das von den auf verschiedenen Ebenen angeordneten Lampen in die Empfangshalle fiel, ihr Gesicht beleuchtete, bekam es einen härteren, beinahe abweisenden Ausdruck oder es erhielt weiche, mütterliche Züge. Ihre dunklen Augen hatten etwas Geheimnisvolles an sich. Das rundliche Gesicht mit seinem hellen, reinen Teint war makellos schön. Augen, Nase, Mund und Wangen bildeten zusammen eine perfekte Einheit. Die Frau trug keine Spur von Make-up. Cutter verstand warum. Jeder Tupfer hätte die Wirkung dieses perfekten Gesichts nur beeinträchtigt.
Die Frau hatte Cutter in ihren Bann gezogen, lange bevor er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte. Doch war es nicht nur ihr Gesicht, das Cutter vom ersten Moment an faszinierte. Eine Aura umgab sie, die Cutter magisch anzog. Es war ihm nicht mehr möglich, den Blick von ihr zu wenden. Er musste all seine Konzentration darauf verwenden, die Frau nicht anzustarren.
»Seltsam«, dachte Cutter und fühlte, wie eine leichte Röte in sein Gesicht stieg, »sie ist so gar nicht mein Typ.« Trotzdem hatte ihn ihre Anziehungskraft längst umgarnt. Nicht zuletzt verspürte er auch ein körperliches Verlangen, wie er es schon lange nicht mehr gekannt hatte.
Sie schien nichts von seiner Reaktion bemerkt zu haben, streckte ihm nur immer noch freundlich lächelnd einen Schlüssel entgegen und sagte dazu: »Zimmer 1, gleich hinter Ihnen.« Dann entschuldigte sie sich dafür, dass es heute nicht möglich sein würde, im Speisesaal zu essen, da er von einer großen Gesellschaft belegt war. Sie bot ihnen an, einen kleinen Snack aufs Zimmer zu bringen.
Joanne und Cutter nahmen dankend an. Keiner von beiden war unglücklich darüber, den Abend nicht in einem lauten Speisesaal in Gesellschaft anderer Menschen verbringen zu müssen.
Cutter wollte eben in ihr Zimmer gehen, als er bemerkte, wie Prometheus eine Türe öffnete, die den Blick in einen Raum freigab, in dem rund dreißig Menschen an Vierertischen saßen. Einige von ihnen trugen Verbände um den Kopf, andere hatten den Arm oder ein Bein eingegipst. Zwischen den Tischen waren einige altertümliche Krücken an die Wand gelehnt. Es schien sich um lauter Männer zu handeln, zumindest konnte Cutter auf den ersten Blick keine Frau ausmachen. Der Raum wirkte auf ihn wie ein Aufenthaltsraum in einem Militärlazarett des Zweiten Weltkriegs, wie er sie in Kriegsfilmen gesehen hatte. Aus eigener Erfahrung konnte er es nicht beurteilen, da er erst viele Jahre nach dem Krieg auf die Welt gekommen war.
Die Männer spielten in Vierergruppen Karten. Trotzdem war es im Raum absolut still. Weder waren Laute der Freude oder des Ärgers zu vernehmen, noch wurde über das abgeschlossene Spiel diskutiert oder über den Fehler eines Mitspielers geschimpft. Cutter wollte eben nähertreten, um die seltsame Gesellschaft genauer zu betrachten, als Prometheus die Türe von innen mit einem lauten Knall schloss.
»Es muss sich um Kurgäste handeln, die aus irgendeiner Klinik hierhergeschickt worden sind, um sich von ihren Verletzungen zu erholen«, dachte Cutter und hatte die Männer schon wieder vergessen, als er der geschlossenen Türe den Rücken zukehrte.
Cutter und seine Tochter folgten einem Angestellten, der zwei ihrer Koffer ergriffen hatte und sie zu ihrem Zimmer führte, das gleich zu ihrer Linken lag.
Die Suite bestand aus zwei Räumen und einem Bad. Sie war einfach, aber gemütlich eingerichtet, wenn sie auch etwas dunkel wirkte. Das Mobiliar schien aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu stammen, befand sich jedoch in einem für ein ländliches Hotel eher unüblichen, hervorragenden Zustand. Über dem Bett hing ein riesiges Bild, das eine Landschaft unter einem dunkel drohenden Himmel zeigte. Die Bauersleute mit Kind und Kegel waren daran, das Heu vor dem nahenden Gewitterregen in Sicherheit zu bringen. Helle Vorhänge kompensierten einen Teil der düsteren Stimmung, die das Bild im Raum verbreitete. Im Gegensatz zu den beiden Zimmern war das Badezimmer freundlich, modern und mit allem Komfort ausgestattet.
Joanne warf einen Blick hinein, und ihre Augen begannen zu strahlen. »Ich bin zuerst dran«, sagte sie, nahm einige Sachen aus ihrem Koffer und schloss sich im Badezimmer ein.
»Ich geb dir eine halbe Stunde, nicht mehr!«, rief Cutter, der sich auch gerne den Schweiß vom Körper gespült hätte, noch hinter ihr her.
Ein lautes Lachen zeigte ihm, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis er sein Bedürfnis stillen konnte.
Auf ein Klopfen hin öffnete er die Türe.
Die Wirtin stand mit einem Tablett vor ihm. »Darf ich?«, fragte sie, und als Cutter einen Schritt zur Seite trat und eine einladende Handbewegung machte, kam sie herein und stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch, der unmittelbar neben dem Fenster stand.
Cutter schloss unwillkürlich die Türe hinter der Wirtin und folgte ihr unsicher durch den Raum. Er spürte, dass mit der Frau ein bestimmtes Etwas eingetreten war, eine Aura, eine neue, unbekannte Atmosphäre, die den Raum erfüllte, Cutter faszinierte und ihn auf eine mystische Weise anzog.
»Ich habe einen hervorragenden Weißwein aus der Gegend mitgebracht«, sagte Margot. »Darf ich Ihnen ein Glas einschenken?«
»Gerne«, antwortete Cutter, »wenn Sie ein Glas mit mir trinken«. Er war von seiner Antwort selbst überrascht. Erstens trank er sehr selten Alkohol, höchstens ein Bier oder ein Glas Rotwein zum Essen, doch nie einen Aperitif, schon gar nicht am Ende eines heißen Tages. Und zweitens hatte er die Frau eigentlich nicht zum Bleiben auffordern wollen.
Margot schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, entkorkte routiniert die Flasche, goss zwei Gläser ein und reichte ihm eines. Sie prostete ihm zu. »Auf einen schönen Aufenthalt in Österreich!«, sagte sie.
Cutter bedankte sich und nahm einen kleinen Schluck. Der Wein war ausgezeichnet. Zwei Minuten später hatte er sein Glas geleert und Margot schenkte nach. Sie hatten sich an den kleinen, runden Tisch gesetzt und unterhielten sich ungezwungen, während Cutter den belegten Broten zusprach.
Margot erzählte von ihrem Hotel, von dem schweren Stand, den ein kleines Gasthaus gegen die multinationalen Hotelketten hatte, und den Problemen mit dem Personal. Sie jammerte und beschwerte sich jedoch nicht, was sie Cutter noch sympathischer machte. Sie stellte lediglich eine Realität dar, mit der sie konfrontiert war, und brachte ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, die Schwierigkeiten zu überwinden. Dann nahm das Gespräch eine von Cutter kaum bewusst wahrgenommene Wendung. Er begann von sich selbst zu erzählen, von seinem Leben, seinem Beruf, und er wunderte sich selbst, wie offen er zu der ihm fremden Frau sprach. Er sprach sogar von Jennifer. Cutter konnte sich nicht erinnern, dass er je mit einem fremden Menschen über seine tote Frau gesprochen hatte.
Die Badezimmertüre öffnete sich und Joanne trat ins Zimmer. Sie schien sich nicht über Margots Anwesenheit zu wundern; vermutlich hatte sie die Stimmen durch die Türe gehört. Sie trug nichts als ein überlanges T-Shirt, das ihr bis über die Knie reichte.
»Eine hübsche Tochter haben Sie«, sagte Margot und zauberte mit ihren Worten ein Strahlen auf Joannes Gesicht.
»Danke«, sagte Joanne und huschte an ihnen vorbei in ihr Zimmer.
»Zeit zu gehen«, sagte Margot, erhob sich, schüttelte Cutter die Hand und verließ das Zimmer.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte Cutter fest, dass er weit über eine Stunde mit Margot gesprochen hatte. Die Zeit war ihm wie im Fluge vergangen.
Nachdem Cutter geduscht hatte, legte er sich auf das Doppelbett und streckte seine müden Glieder aus.
Joanne betrat das Zimmer. »Darf ich die Nacht bei dir schlafen?«, fragte sie mit flehendem Blick.
Cutter hatte während des Gesprächs mit Margot Joannes missliche Situation fast vergessen. Ein Blick auf seine völlig verunsicherte Tochter genügte, um sie sich wieder ins Bewusstsein zu rufen. »Komm«, forderte er sie auf.
Joanne ließ sich neben ihm auf das Bett sinken und legte ihren Kopf dorthin, wo die Schulter ihres Vaters war. Es war ein seltsames Gefühl, das sie empfand. Es war, als ob ihr Kopf in der Luft schweben würde, und doch wurde er von einer unsichtbaren,