Luves - Die Magier von Cimala. Bianca Schäfer
wandte Luves sich um, damit er sehen konnte, wer ihn verspottete. Hinter ihnen stand Reget, der damalige Anwärter, den Luves vor acht Jahren bezwungen hatte. Mittlerweile war er zu einem angesehenen Jäger aufgestiegen und hielt sich nur noch selten in Cimala auf. Seine schwarze Uniform war staubig von seiner letzten Reise. Nachlässig strich er sich das blonde Haar aus der Stirn, was ihn verwegener wirken ließ. Lachend setzte er sich auf einen freien Stuhl und schob einige auf dem Tisch liegende Bände achtlos beiseite.
»Aber er ist doch der jüngste Magier, der jemals das Siegel erhalten hat«, warf Kilian ein.
Es war kein Geheimnis, dass er Luves bewunderte und ihm nachzueifern versuchte.
»Ja, eben weil er mehr Glück als Verstand hat. Wäre ich nicht durch einen Schlag bewusstlos geworden, würde er heute noch wie ein aufgescheuchtes Huhn um den Platz rennen.«
»Was war mit den Feuerzaubern? Er war doch auch einer der Ersten seines Jahrganges, der sie beherrschte«, fragte Kilian neugierig.
Ungehalten sah Luves Reget an und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch der ging über seinen offensichtlichen Unmut einfach hinweg und wandte sich dem Jungen zu.
»Er sollte einen Feuerzauber auf ein Ziel lenken, doch die Entladung war derart stark, dass es ihn fünf Schritte weit zurückgeschleudert hat.«
»Ich gebe zu, dass ich umgefallen bin«, warf Luves ein, doch Reget winkte ab.
»Hör nicht auf ihn. Der Zauber war derart stark, dass er ein Loch in die Außenmauer gerissen hat.«
»Leider habe ich das Ziel verfehlt und der Energieschub hat sich an der Mauer entladen. Aber es waren nur ein paar Ziegel geschwärzt.«
»Dass ich nicht lache! Das Loch war so groß, dass man hindurch steigen konnte. Das ist kein Scherz. Ich habe es nämlich getan!«
Kilian blickte staunend von einem zum anderen und versuchte ein Kichern zu unterdrücken.
»Du darfst ruhig laut lachen, Kilian. Als Jäger der Gilde erlaube ich es dir und befehle es sogar. Luves ist nur ein Anwärter. Der hat dir nichts zu sagen, auch wenn du erst ein Schüler bist.«
Schritte schlurften über den steinernen Boden und das gleichmäßige Klackern eines Gehstockes erklang. Schlagartig verstummten die drei und sahen sich gegenseitig erschrocken an.
»Was soll das Geschwätz?«, krächzte eine heisere Stimme. »Dies ist die Bibliothek und kein Tollhaus! Ich werde euch alle am Kragen packen und eigenhändig vor die Tür befördern, ihr ungezogenes Lumpenpack.«
In seinen jungen Jahren mochte Meister Bukov ein stattlicher Mann gewesen sein, doch das Alter hatte ihn gezeichnet. Ein zottiger Kranz schlohweißer Haare umrundete seinen ansonsten kahlen Schädel und seine ehemals gerade Gestalt war krumm und bucklig geworden. Schwerfällig stützte er sich auf seine Krücke und kniff die wässrig blauen Augen zusammen, um die Störenfriede besser erkennen zu können.
»Habe ich es mir doch gedacht. Der kleine Kilian muss nachsitzen und ihr haltet ihn von seinen Studien ab.« Energisch stampfte er mit dem Stock auf den Boden, dass die Steinfliesen dröhnten. »Und dich habe ich an der Stimme erkannt. Schäm dich, Luves! Gerade du müsstest doch am besten wissen, wie wichtig sie sind.«
Anklagend richtete er seine Krücke auf den jungen Magier. Abwehrend hob der seine Hände.
»Vergebt mir, Meister Bukov. Ich wollte ihm nur bei seinen Studien behilflich sein.«
»Als ob du ein rechter Lehrer wärst«, spottete Reget und lachte.
»Bilde dir bloß nichts darauf ein, dass du zu den Jägern gehörst, Herumtreiber und Waldstreuner Reget. Dich habe ich am Gestank erkannt. Was fällt dir ein, den Dreck der Landstraße in diese Räume zu tragen? Geh und wasch dich gefälligst, bevor du eines der Bücher berührst!«, donnerte Bukov und schüttelte den Stock drohend in seine Richtung. »Na, wird's bald, Freundchen? Sonst mache ich dir Beine!«
Reget unterdrückte ein Lachen und erhob sich von seinem Stuhl.
»Mit Verlaub und bei allem Respekt, Meister, aber während Kilian über den Büchern hockt, verpasst er wichtige Übungen in den Kampfkünsten. Die wird er als Jäger ebenso sehr benötigen wie die Kenntnisse der Zaubersprüche.«
»Anstatt in der Sonne mit euren Stöcken und Schwertern herumzutollen, solltet ihr lieber Studien betreiben, bis ihr bleich seid wie der Tod.«
Ein zorniges Funkeln lag in den Augen des Alten und Reget zog es vor, die Flucht zu ergreifen.
»Du bist ein fleißiger Bursche«, sagte er zum Abschied zu Kilian. »Vor den Prüfungen brauchst du dich nicht zu fürchten. Alles Notwendige beherrschst du bereits. Glaub einfach nur mehr an dich selbst und hab Vertrauen in die Kräfte der Urmächte.«
Der Junge versuchte ein tapferes Lächeln, auch wenn er die Unsicherheit in seinem Blick nicht verbergen konnte, und nickte. Reget entbot dem Meister einen freundlichen Gruß, doch Luves grinste er nur an und wandte sich dann kopfschüttelnd ab.
»Du kommst mit mir«, sagte Meister Bukov energisch und deutete Luves mit seiner Krücke, ihm zu folgen. »Vertrödele nicht noch mehr Zeit. Du hast einiges vorzubereiten, bevor du aufbrichst.«
»Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell die Stadt verlassen zu müssen«, gestand Luves ein.
»Glaubst du etwa, dass der Faun wartet, bis du irgendwann auftauchst? Diese verdammten Kreaturen sind ständig in Bewegung und man weiß nie, wo sie aufzutreiben sind. Mögen die Urgewalten sie zermalmen.«
Schwerfällig bewegte sich der alte Magier über den Gang auf eine Treppe zu und Luves folgte ihm. Keuchend erklomm Bukov die Stufen und zog sich dabei an dem hölzernen Geländer hoch.
»Dein erster Auftrag«, murmelte er mit vor Anstrengung heiserer Stimme. »Bald bist du ein Jäger und treibst dich genauso in der Welt herum wie Reget.«
»Es ist unsere Aufgabe, Aestra vor den geächteten Wesen zu schützen«, erklärte Luves nicht ohne Stolz.
»Humbug! Durch die Gegend reiten, große Reden schwingen und mit den Schwertern herumfuchteln. Das ist es, was die Jäger machen«, schimpfte der Alte. »Die vier Mächte sind meine Zeugen. Ich hoffe, du wirst dich nicht in dieser Weise entwickeln.«
»Ich werde mir alle Mühe geben, Meister.«
»Du begleitest Meister Friebert?«
Luves bejahte und Bukov seufzte bedauernd.
»Mögen die Urgewalten deiner Seele gnädig sein, mein Junge. Ich hätte dir einen angenehmeren Weggefährten gewünscht, aber du wirst es schon überleben.«
Sie erreichten die obere Etage, wo die Regale und Schränke mit Landkarten und Stadtplänen gefüllt waren. Verstohlen warf Luves einen sehnsüchtigen Blick auf die Holzdecke. Direkt über ihm befand sich die verbotene Abteilung der Bibliothek, zu der nur die Veteres und die Meister Zugang hatten. Sobald er den Status eines Jägers erreichen würde, durfte auch er die dort lagernden geheimen Schriften studieren. Bukov ging an ihm vorbei auf eines der Regale zu und entnahm ihm zwei Pergamentrollen, die er Luves reichte. Auf einem großen Tisch aus dunklem Holz entrollte der die Landkarten. Sorgfältig strich Luves sie glatt.
»Ah … die Sommerfelder.« Der alte Magier hielt inne und ein versonnenes Lächeln zeichnete sich auf seinem faltigen Gesicht ab. »Man nennt die Gegend auch die Kornkammer von Aestra. Sehr idyllische Umgebung, hübsche Frauen und gutes Bier. Du wirst dich dort prächtig amüsieren, mein Junge.«
»Meister, ich habe dort einen Auftrag zu erledigen«, stammelte Luves verlegen.
»Der Auftrag, der dich zum Jäger macht und dir Ruhm und Ehre einbringen soll.« Der Alte lachte krächzend und klopfte ihm auf die Schulter. »Mit euch Jungspunden ist es immer dasselbe. Erst tut ihr so pflichtbewusst, aber sobald ihr die Mauern der Stadt hinter euch gelassen habt, geht euer heißes Blut mit euch durch. Warte nur ab, Luves, dir wird es nicht anders ergehen, wenn dir der Wind um die Nase weht.«