Lazarus. Christian Otte

Lazarus - Christian Otte


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um ihr aufzuhelfen.

      „Aber wie …?“ Sie wusste nicht, was sie fragen wollte, geschweige denn, wie sie es fragen wollte.

      „Ich glaube, sie braucht erst mal einen Tee“, hörte sie von der Seite eine zweite Stimme.

      Anna war so perplex von dem was vorgefallen war, dass ihr erst wieder einfiel warum sie hier war – nämlich wegen der Vorlesung um 10 Uhr – als sie einige Minuten später mit einem Becher Tee an einem der Tische im Bistro der Uni saß. Die beiden Männer hatten sich mit Ihr an den Tisch gesetzt, der jüngere ihr gegenüber, der ältere an das Kopfende am Gang. Die beiden hatten sich als Alex und Ben vorgestellt. Alex, eigentlich Alexander Doyle, der wesentlich jünger aussah, als Anna es von einem 23-Jährigen erwartet hatte, war ein sportlicher Typ, sowohl vom Körperbau, als auch von seinem Kleidungsstil her. Seine verwuschelten, braunen Haare, seine schlanke Statur und sein Kapuzenpullover ließen sie unweigerlich an einen Surfer oder Snowboarder denken, auch wenn seine Haut zu blass war, um in letzter Zeit viel Sonne abbekommen zu haben. Ben, mit vollem Namen Benjamin Rupp, der etwa ein Jahrzehnt älter war, trug einen dunklen Anzug mit blauem Hemd. Seine Haare hatte er ebenso wie seinen Bart auf Millimeterlänge gestutzt. Im Gegensatz zu seinem Cousin Alex, sprach sein Aussehen eher von Bürojob, wenn auch sehr erfolgreich. Alex war es, der ihr die geklauten Sachen wiedergegeben hatte.

      „Erklär' es mir nochmal. Wie kamst du darauf, dass ich gerade den Typen meinte?“, fragte sie. Sie musste es einfach noch ein weiteres Mal hören.

      „Als du geflucht hast, haben alle in Hörweite den Kopf in deine Richtung gewandt!“, wiederholte Alex in einer Tonlage, die auf sie ungewöhnlich beruhigend wirkte. Vielleicht lag es am Tee, aber je mehr Alex sprach, desto entspannter fühlte sie sich.

      „Bist du sicher, dass du keinen Schock hast? Oder Anzeige erstatten willst?“, fragte Ben, ebenfalls zum dritten Mal, während er einen Blick auf sein Handy warf.

      „Ja, ähm, nein.“

      „Verwirrung kann ein Anzeichen für einen Schock sein.“

      „Verwirrung kann auch ein Anzeichen von verwirrenden Fragen sein.“

      „Wolltest du nicht eine Geschichte erzählen.“

      „Wenn du aufhörst verwirrende Zwischenfragen zu stellen.“

      „Ich wollte ja nur helfen.“ Ben lehnte sich zurück und hob verteidigend die Hände.

      „Also?“, fragte Anna, die nun endlich begreifen wollte was vorgefallen war.

      Alex warf Ben einen Blick zu, der ihm sagen sollte, dass er sich aus der Erzählung raushalten solle und Ben antwortete mit seinem Schon-gut-mach-nur-Blick.

      „Wie gesagt, alle haben sich umgedreht oder wenigstens geschaut, außer einem Mann.“

      „Ich fand die pinkfarbene Handyhülle bei einem Kerl verdächtiger, aber ...ist ja nicht meine Geschichte.“

      „Genau, auf jeden Fall ist der eine, der sich eben nicht umgedreht hat auffällig schnell weitergegangen. Schneller als der übliche Stadtgang.“

      „Stadtgang?“

      „Ja, wenn du mal Leute beobachtest haben die meisten 3 Gangarten: 'Schlendern', 'Gehen' und 'Stadtgang'. Stadtgang ist im Prinzip Gehen mit größerem Schritt, etwas gehetzter.“

      „Interessante Theorie.“

      „Wer unterbricht denn jetzt ständig die Geschichte?“

      „Im Moment wieder du.“

      Ben nippte an seinem Becher, damit Alex weitererzählen konnte.

      „Als ich erkannt habe, dass er dir etwas geklaut haben musste und grade dabei war zu flüchten, habe ich ihn aufgehalten.“

      „Mit einer geworfenen Flasche?“

      „Genau.“

      „Guter Wurf.“

      „Danke.“ Anna hatte nicht gesehen, dass er den Dieb mit der Plastikflasche am Kopf getroffen hatte, wodurch dieser fiel und mit dem Kopf gegen einen Mülleimer prallte. Und solange sie nicht explizit danach fragte, würde er es ihr auch nicht erzählen. Sie nahm wohl an, der Dieb hätte – durch den Schreck getroffen worden zu sein – die Sachen einfach fallen lassen und sei auf und davon. Hoffentlich hat der Dieb aus den Schmerzen seine Lehren gezogen.

      Ben ergriff das Wort, bevor die eingetretene Gesprächspause zu einem peinlichen Schweigen werden konnte.

      „Ich verabschiede mich, ich habe nämlich noch Termine. Anna, war mir eine Freude dich kennen zu lernen.“

      „Danke, ebenso“, verabschiedete sich Anna von ihm.

      Mittlerweile hatte sich das Bistro gefüllt mit Studenten, die zwischen dem ersten und zweiten Block eine Kleinigkeit essen oder sich zum wach bleiben einen Kaffee holen wollten. Die Schlange an der Selbstbedienungstheke hatte eine beträchtliche Länge erreicht und endete im Foyer. Die beiden blieben noch einige Minuten sitzen und unterhielten sich. Schließlich verabschiedete sie sich zu ihrer ersten Vorlesung. Er begleitete sie noch bis zum Eingang, wo er in die entgegengesetzte Richtung gehen musste.

      Der große Mann im schwarzen Anzug, der sie seit einer ganzen Weile im Blick hatte, war ihnen zwischen den Studenten nicht aufgefallen.

      4

      Die Türen des Fahrstuhls glitten nahezu lautlos auf. Vielleicht hätte er sich für ein Modell entscheiden sollen, das „Pling“ macht. Ohne Pling war es irgendwie kein richtiger Fahrstuhl. Aber bei der Renovierung der Wohnung hatte er daran nicht gedacht. Der Architekt hatte ihn auch nicht über die Möglichkeiten von Pling- und Nicht-Pling-Fahrstühlen aufgeklärt. Irgendwie enttäuschend.

      Ben trat aus dem Fahrstuhl in seine Wohnung und legte seine Aktentasche auf die Kommode neben der Tür.

      „Alex?“

      „In der Küche.“

      Ben betrat die Küche, wo sein Cousin gerade eine Paprika in Streifen schnitt. Er nahm sich eine Bierflasche aus dem Kühlschrank und setzte sich auf den Hocker an die Kücheninsel Alex gegenüber.

      „Und?“

      „Was und?“

      „Na komm schon, ich habe doch diese Spannung zwischen euch gespürt.“

      Alex konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

      „Aha.“

      „Nix aha, wir haben uns gut unterhalten, sie hat mir ihre Nummer gegeben und wir wollen am Wochenende was unternehmen.“

      „Also doch aha.“

      „Ich will es langsam angehen lassen.“

      „Aber schlaf' nicht ein, während du es langsam angehen lässt. An Dates ist nichts verkehrtes und ein Date wird dich nicht umbringen. Das Schlimmste was passieren kann, ist dass du eine Abfuhr bekommst.“

      „Sehr ermutigend. Ich weiß nur noch nicht, wie ich ihr das hier erklären soll.“

      Ben drehte sich auf dem Hocker um, nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und betrachtete aus der offenen Küche heraus seine Wohnung. Dann deutete er mit einer ausladenden Handbewegung in den Raum.

      „Was ist falsch daran?“

      „Es ist ein Penthouse.“

      „Was ist verkehrt an einem Penthouse.“

      „Ja toll, ich erzähle ihr, dass ich während meines Studiums bei meinem Cousin im Penthouse wohne.“

      „Ja! Ja? Was ist daran verkehrt?“

      Ben konnte nachvollziehen, was in Alex vorging. Er wollte aber die Konsequenz daraus nicht einfach akzeptieren. Bens Vater war Mitglied der Geschäftsführung eines großen, international erfolgreichen Unternehmens. Geld war in seinem Zweig der Familie seit


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