Waldesruh. Christoph Wagner

Waldesruh - Christoph Wagner


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irritierte.

      „Ist doch doll!“, meinte Bernhard. „Oder?“

      Der Senior verfolgte das ganze Theater eher mit gemischten Gefühlen. „Klar, wie alles, was mit Feuer zusammenhängt, hat es eine magische Anziehungskraft. Das ist seit Urzeiten so. Aber warum machen die Leute das eigentlich?“

      „Ach, man muss doch nicht alles hinterfragen. Einfach Spaß haben, das ist doch o. k.“

      Bernhard schien sich richtig zu ärgern.

      „Wahrscheinlich hast du recht. Ich bin mal lieber ruhig, bevor ich zur Spaßbremse werde.“

      Auch wenn er das ganze Treiben mit einer gewissen Faszination verfolgte, war ihm dieses pure Spaßhabenwollen irgendwie suspekt. Er konnte nicht verhindern, dass die Knallerei in ihm Bilder von echtem Granatendonner und Bombenexplosionen an vielen Orten der Welt wachrief, und er dachte daran, dass mit dem Geld, das hier im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert wurde, sehr viel Not gelindert werden könnte.

      Irgendwann hörten sie das erste Martinshorn.

      „Siehst du?“, sagte Travniczek zu seinem Sohn. „Da wollte jemand zu viel Spaß haben. Hat glatt vergessen, dass Feuerwerkskörper mit Feuer zusammenhängen. Und jetzt ist Schluss mit lustig.“

      Bernhard sah ihn stirnrunzelnd an, sagte aber nichts.

      Schließlich waren sie beide froh, als das ganze Tamtam allmählich abebbte und sich die ersten Leute auf den Heimweg machten. Ihre Sektflasche war natürlich auch schon lange leer.

      Kurz vor der Einfahrt in die Brückenstraße sahen sie in die Pizzeria da Claudia und entdeckten in einer Ecke tatsächlich noch einen leeren Tisch für zwei Personen.

      Schnell nahmen sie ihn in Beschlag, ein Kellner begrüßte sie mit „Buona sera“, legte ihnen die Karte vor und entzündete die Kerze, die auf einem gedrungenen Holzleuchter stand.

      Sie entschieden sich für einen halben Liter Montepulciano, Travniczek senior nahm eine Pizza capricciosa und Bernhard wollte eine Calzone.

      Es dauerte nur kurze Zeit, bis der Kellner die Halbliterkaraffe mit dem Wein sowie zwei große langstielige Gläser brachte und ihnen stilvoll einschenkte. Sie stießen an.

      „Auf die Zukunft!“, sagte der Vater.

      „Auf amore!“, entgegnete Bernhard mit herausforderndem Lachen. Der Alte ließ sich dadurch aber überhaupt nicht aus der Ruhe bringen, genoss den ersten Wärme verbreitenden Schluck und wollte dann seinen Sohn beim Wort nehmen.

      Jetzt wurde Bernhard etwas mulmig und er entgegnete verlegen: „Merkwürdige Alternative.“

      „Naja, als das anfing, dachte ich, du wirst dich doch bald einmal für die eine oder die andere entscheiden. Aber es tut sich nichts. Sag mal, kannst du nicht oder willst du nicht?“

      Damit brachte ihn der Vater noch mehr in Verlegenheit, denn er wollte darüber eigentlich gar nicht nachdenken. Er brauchte viel Zeit, ehe er etwas stockend antwortete.

      „Also, wenn du mich so direkt fragst, ich kann das eigentlich gar nicht wirklich unterscheiden. Es ist, … wie soll ich sagen, … keine Ahnung, … irgendwas Drittes.“

      „Das versteh ich jetzt gar nicht. Kannst du mir das genauer erklären?“

      Jetzt wurde der Vater nachdenklich. Bernhard stand offensichtlich im Spannungsfeld zwischen Gefühl und Konvention und fand alleine nicht heraus. Er sah sich gefordert. Als Vater musste er versuchen, ihm zu helfen. Er begann ganz vorsichtig.

      „Was mich zuerst interessiert: Weißt du, wie die beiden jungen Damen darüber denken?“

      „Gesprochen haben wir darüber nie. Aber ich bin ziemlich sicher, die sehen das ähnlich.“

      „Irgendwie klingt mir das alles zu rational. Verdammt, ihr seid jung. Da steuern nun mal die Hormone das Verhalten viel mehr als der Kopf. Wie macht ihr das denn? Ihr seid doch keine geschlechtslosen Wesen. Das muss doch ständig irgendwie knistern, oder?“

      Bernhard sagte nichts.

      „Du brauchst nicht zu antworten. Ich bin schließlich auch ein Mann und kann mich noch recht gut an die Zeit erinnern, als ich in deinem Alter war. Natürlich willst du mit beiden zusammen sein und natürlich nicht nur beim Erstellen eines Buches. Anders kann das doch gar nicht sein.“

      Der Vater wartete lange auf eine Reaktion. Doch Bernhard stierte auf sein Weinglas, ohne daraus zu trinken.

      „Wovor hast du Bammel?“

      „Was heißt ‚Bammel‘? So was geht doch einfach nicht, vor allem nicht auf Dauer.“

      „Warum geht das nicht?“

      „Weil … weil …“

      „Weil unsere kulturelle Tradition das nicht zulässt? Weil die Natur – oder der liebe Gott – die Zweierbeziehung favorisiert?“

      „Ja … so etwa …“ und er lachte.

      „Ich sag dir mal eins. Es sind schon unzählige Menschen vor die Hunde gegangen, weil sie mit irgendwelchen religiösen oder bürgerlichen Moralgesetzen in Konflikt geraten sind. Sie haben sich entweder verbiegen müssen, um sie zu erfüllen, und sind deswegen seelisch krank geworden, oder sie wurden mit Ausgrenzung oder Sanktionen konfrontiert oder auch stigmatisiert, weil sie sie bewusst missachtet haben. Solche Moralgesetze können nicht gut sein. Man darf sie ignorieren.“

      Über einen solchen Frontalangriff auf die bürgerliche Moral war Bernhard schon fast entsetzt. Von seinem Vater hätte er das jetzt gar nicht erwartet.

      „Also kann jeder machen, was er will?“

      „Natürlich – solange er damit niemandem schadet. Das kannst du an prominenter Stelle nachlesen. Weißt du, wo?“

      Bernhard sah ihn nur fragend an.

      „Grundgesetz, Artikel 1! – Aber lass mich dir eine Geschichte erzählen, die dein spezielles Problem auf den Punkt bringt. Der junge Goethe, fünfundzwanzig war er da etwa, hat ein Theaterstück geschrieben über eine Dreierbeziehung. ‚Stella‘ heißt es. Kennst du es?“

      „Nein.“

      „Das alte Lied. Man lernt in der Schule nicht die wichtigen Dinge. Aber zurück zu Goethe. Das Stück endet in einem ménage à trois, also einer Ehe zu dritt. Da war vielleicht was los. Empörung allenthalben. Ein Schlag ins Gesicht der bürgerlichen Moral. Das Stück war kaum aufführbar. Und wenn, wurde es nach ein, zwei Aufführungen wieder abgesetzt oder sogar polizeilich verboten.“

      „Wen wundert’s,


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