Showdown Jerusalem. Hans J Muth
oder einem Monsignore zusammen. Es ist äußerst wichtig!“
Zanolla versuchte, seine Stimme forsch klingen zu lassen, doch ihm selbst kam sie vor wie das Krächzen eines ungeölten Türscharniers.
„Einer wie Sie wird das Fundament der Kirche nicht zum Schwanken bringen. Gehen Sie weiter!“ Die Anordnung des Gardisten war kurz und knapp. Er sah Zanolla auffordernd und drohend zugleich an. Trotz aller Ernsthaftigkeit in der Miene des Gardisten konnte Zanolla darin den Hauch eines mitleidigen Lächelns erkennen.
„Hören Sie!“, begann Zanolla erneut und versuchte seiner Stimme einen eindringlichen Klang zu geben. Sein Herz schlug ihm fast zum Hals heraus. „Sie werden Ihre Konsequenzen ziehen müssen, wenn sie verhindern, dass meine Nachricht den Vatikan erreicht. Ich würde es mir an Ihrer Stelle gut überlegen.“
Zanolla hatte eine Idee, die ihm Oberwasser geben würde. „Wenn Sie mich nicht augenblicklich zu jemand Kompetentem geleiten, werde ich mich von hier aus zur Presse begeben. ‚La Stampa“ oder ‚La Republica‘ oder auch ‚Libero‘ werden mir aufmerksam zuhören, darauf können Sie sich verlassen.“
Zanollas Stimme klang nun fest und fordernd, so dass er über sich selbst erstaunt war. Er stellte mit Genugtuung fest, dass der Gardist zusammenzuckte und hörte seine knappe Frage.
„Und um was genau geht es?“
Ich habe gewonnen, dachte Zanolla hocherfreut. Er wird mich vorlassen. Siegessicher sah er den Gardisten an. „Ich kann es Ihnen nicht sagen. Aber ich verspreche Ihnen: Man wird es Ihnen danken, wenn Sie mich melden.“
„Warten Sie hier!“ Kopfschüttelnd drehte sich der Gardist ab und winkte seinen Kollegen achselzuckend zu sich. Sie wechselten einige Worte, worauf der andere den Platz des ersten einnahm und Zanolla weiterhin den Weg in das Innere des Gebäudes versperrte.
Der von Zanolla angesprochene Wachmann drehte sich um und begab sich hinter dem wuchtigen schmiedeeisernen Tor in das Innere des Gebäudes, dessen Tür er hinter sich ins Schloss fallen ließ.
Es wird klappen! Es muss einfach klappen! Luigi Zanolla umfasste seine kleine hochauflösende Digitalkamera in seiner Hosentasche. Wenn sie Beweise wollen, dann bekommen sie Beweise, frohlockte er. Alles ist festgehalten. Klar und deutlich. Makro-Aufnahmen. Man kann alles genau erkennen.
Natürlich befanden sich nicht alle Aufnahmen auf dem Chip der Kamera. Oh nein! dachte Zanolla. Die eigentlichen Trümpfe habe ich versteckt. Dort bleiben sie bis zu dem Moment, an dem man mich entlohnt hat. Nur ich weiß von dem Versteck. Und Merlot, mein Freund. Falls mir etwas zustoßen sollte.
Zanolla hatte sich alles genau überlegt. Jean-Pierre Merlot, einen Franzosen mit Wohnsitz in Paris, hatte er im Suff eingeweiht. Er war der einzige, dem er sich anvertrauen konnte, der so war wie er selbst. Einer, der das Leben nicht allzu ernst nahm und stets auf seine Chance lauerte. Das glaubte Zanolla ernsthaft.
Dass er selbst im Moment dabei war, seinem Forscherteam in den Rücken zu fallen, es zu verraten und die gesamte Arbeit der vergangenen Monate in Frage zu stellen, kam ihm nicht in den Sinn. Zanolla sah nur seinen Profit. Geld, das er durch den Verrat für sich herausschlagen würde. Viel Geld. Man würde eine große Summe zahlen für sein Wissen, dessen war er sich sicher.
Der erste Schritt war getan. Obwohl Zanolla innerlich bebte, war er dennoch zufrieden. Es lief alles nach seinem Plan. Er drehte sich langsam um und betrachtet das rege Treiben auf dem Petersplatz. Menschen, die teils eilig umher eilen, andere, die über den riesigen Platz flanieren und sich an den Schönheiten dieser Stelle Roms ergötzen.
Und Tauben. Graue Tauben, keine weißen, dachte Zanolla. Und das hier auf dem Petersplatz. Eigentlich müsste es hier doch von weißen Tauben wimmeln. Wenn nicht hier, wo denn dann?
Zanolla schaute langsam wie aus der Sicht eines Weitwinkelobjektivs von links nach rechts über den Platz und nahm plötzlich einen kleinen weißen Blitz wahr, der auf dem Dach des ersten Hauses an der linken Seite der Piazza Pio XII für den Bruchteil einer Sekunde aufflammte.
Als er den Schmerz mitten in seiner Brust verspürte, war das kleine Licht schon erloschen und mit ihm das seines Lebens, das so viele Hoffnungen in sich trug.
Er spürte nicht einmal mehr den Aufprall auf dem Pflaster vor der Wache der Schweizer Garde, spürte nicht, wie sich sein Blut den Weg durch die brutal geschaffene Öffnung seines Körpers suchte, um die Pflastersteine des Petersplatzes um seinen Körper herum mit einem tiefen Rot zu färben.
Kapitel 2
Vier Tage zuvor. Ägypten, Jabal ar Rukbah Gebirge
Henri Lafettes Magen rebellierte. Lange würde er diese Fahrt nicht mehr durchhalten können. In seinem Mund bildete sich Kinnwasser. Er würde sich gleich übergeben. Er kannte diesen Zustand nur zu gut. Er kannte ihn aus den Zeiten, wo der Alkohol sein liebster Freund gewesen war. Ein Freund, der ihn vergessen ließ, der ihm sein Wohlbefinden in beschissenen Situationen zurückbrachte. Der von einer Sekunde zur anderen auch zu seinem Feind werden konnte. Er, der verlangte, in den zerrütteten Körper geschüttet zu werden, um mit seiner Essenz das Vergessen zu beschleunigen, hatte oft auf sein Recht gepocht, den Körper auf gleichem Wege wieder zu verlassen, so, als habe er mit seiner Umhüllung nur gespielt.
Heute war es nicht der Alkohol. Es war schon lange nicht mehr der Alkohol, der ihn an den Rand seiner selbst trieb. Nein, darüber war er hinweg. Er hatte es geschafft. Alleine. Trotz seiner Einsamkeit. Ohne Freunde, ohne eine Frau, die ihm beigestanden hätte. Alleine eben. Konsequent, diszipliniert. Aus Angst vor dem Tod, der allgegenwärtig war und ihm Tag für Tag die volle Flasche gereicht hatte. Morgens, mittags und abends.
Henri Lafette sah die Flasche förmlich vor sich und sein Magen schien sich vom bloßen Anblick umzudrehen. Seine Hand klammerte sich an den metallenen Haltegriff über der Beifahrertür, denn seine Füße berührten kaum noch den Boden des Land Rovers, der, bedingt durch die tiefen Unebenheiten der trockenen und steinigen Wüstenlandschaft, mit seiner Federung auf eine harte Probe gestellt wurde.
Lafette wollte seinem Fahrer etwas zuschreien, wollte ihn auffordern, anzuhalten, doch er bekam kein Wort heraus. Sein Mageninhalt schnürte ihm die Kehle zu. Verzweifelt schlug er mit der linken Hand in Richtung des Fahrzeuglenkers, mehrfach und hektisch, die rechte Hand vor den Mund pressend.
Dann wurde er nach vorne geschleudert. Der Sicherheitsgurt fing ihn auf und presste ihm gegen Brust und Magen. Mit der rechten Hand stieß er die Tür des ausrollenden Wagens auf und übergab sich, in dem noch befestigten Gurt hängend, in die Steinwüste mitten im bergreichen Gebiet zwischen Kairo und der israelischen Grenze.
Hustend und laut fluchend, sich mit dem Rücken der rechten Hand über den Mund wischend, entledigte sich Lafette des Sicherheitsgurtes und stieg aus dem Fahrzeug, wo er mit dem Fuß auf dem steinigen Boden ausrutschte und sich gerade noch mit den Handflächen abstützen konnte, um nicht der Länge nach hinzuschlagen.
„Merde! J'en suis las! Wie ich diese Wüste hasse!“
Lafette schlug sich mit der flachen Hand den Staub aus der Hose, breitete seine Arme aus und drehte sich wie suchend im Kreise.
„George, wo bleiben Sie?“, rief er, während seine Blicke die öde Landschaft streiften. „Leisten Sie mir Gesellschaft beim Betrachten dieses unendlichen Nichts!“
Lafette sah hinüber zu seinem Fahrer, der keine Anstalten machte, der sarkastischen Aufforderung nachzukommen und aus dem Landrover auszusteigen.
„Wir müssen weiter! Wir müssen unser Ziel erreichen, bevor es dunkel wird. Die Nacht wird unangenehm kühl werden“, rief ihm der Fahrer zu, den Lafette George genannt hatte und trat zur Bekräftigung seiner Aufforderung das Gaspedal mehrfach durch.
George hat Recht, dachte Lafette. Er hat immer Recht. Gott sei Dank ist es so. Einer muss immer einen klaren Kopf bewahren, hier draußen, in der Wildnis, in einem Umfeld, in dem auch schon mal eine Gefahr lauern kann.
Lafette nickte und ging langsam zurück zum Landrover.