Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich

Preis des aufrechten Gangs - Prodosh Aich


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sie nicht sinnvoller wäre, sich um eine Stelle in Bonn zu bemühen, als sich in Düsseldorf für die Deutsche Bank abzurackern. Mit einem erfolgreichen Studiensemester, mit einigen Nebeneinkünften, mit dem bewilligten Stipendium und schließlich mit der Aussicht auf eine Stelle bei Weisser im Rücken überrede ich meine Frau bei der Deutschen Bank so rechtzeitig zu kündigen, daß sie bereits im Mai 1959 nach Bonn zieht. Ob diese Überredung für sie richtig und günstig gewesen ist, wird für immer ungeklärt bleiben. Unmittelbar nach dem Umzug hat sie eine Magenschleimhautentzündung. Die Ärztin von nebenan verordnet meiner Frau viel Ruhe, geriebene Äpfel und Erdbeeren mit Schlagsahne. Ihr Umzug nach Bonn wird für mein Studium und für unser späteres Leben ausschlaggebend sein.

      Unsere Heirat hat uns beiden nicht wenig Ärger eingebracht. Ich spreche nicht von alltäglicher Diskriminierung. Schlagartig verliert meine Frau alle ihre Bekannten und Freunde an der Kölner Universität. Wie konnte sie einen farbigen Ausländer heiraten? Sie bewirbt sich in den Ministerien, erhält aber keine Stelle, obwohl sie mit dem Thema „Die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit“ ihren Doktorgrad mit „Sehr Gut“ im Juli 1957 erworben hatte. Der Hauptreferent war der Verfasser des „kleinen Heyde“, des Standardlehrbuchs in Sozialpolitik seinerzeit, Ludwig Heyde, nachdem der eigentliche Betreuer, der Versicherungswissenschaftler Walter Rohrbeck, verstorben war. Der Koreferent war der eigentliche Erfinder der sozialen Marktwirtschaft, Alfred Müller–Armack. Auch der Leiter der Abteilung der staatsbürgerlichen Abteilung der Friedrich–Ebert–Stiftung, Günter Grunwald, reagiert unfreundlich, als ich die Stiftung über unsere Heirat informiere. Ärger für mich auch an der Kölner Universität. Darüber später mehr.

      Die Magenschleimhautentzündung meiner Frau klingt dank des Essens indischer Gewürze nach wenigen Monaten ab. Trotz ihres neuen Stresses in Bonn. Wirkliches Abschalten, sich erholen, kann sie möglicherweise im Bridge–Klub. Bevor sie nach Bonn umgezogen ist spielte ich nur ab und an bei kleinen Klubturnieren mit. Der Bonner Bridge–Klub ist was Besonderes. Es ist eigentlich kein Klub, obwohl er als solcher beim Deutschen Bridge–Verband eingetragen ist. Der Bonner Klub ist praktisch eine Privatveranstaltung eines deutsch–englischen Ehepaares namens Clare in deren Privathaus. Mr. F. C. Clare, ein Korvettenkapitän der englischen Armee im ersten Weltkrieg, blieb in Deutschland hängen und lebte von seiner Pension. Zu der Zeit spielt Deutschland Skat. Clare spielt aber Bridge und findet zu Recht Bridge viel interessanter als Skat. Er bringt seiner Frau ebenso Bridge bei wie seinen Freunden. So entsteht der Bridge–Klub in Bonn noch vor dem Deutschen–Bridge–Verband. Ich hatte das Privileg, als sein Partner zu spielen.

      Als meine Frau nach Bonn zog, lebte Herr Clare nicht mehr. Frau Clare übernahm das Vermächtnis, besaß alle Arbeitsunterlagen und unterrichtete weiter. Sie spielt selbst keine Turniere mehr, sie leitet Turniere: wöchentlich einmal in ihrem Privathaus, Hochkreutz 5, Bad Godesberg, ein monatliches Turnier jeweils in der „Lese“ in Bonn und in der Stadthalle in Bad Godesberg und ein Jahresturnier in Bad Neuenahr. Sie sieht es gern, daß ich ihr bei der Ausrichtung und Ausrechnung der Monats– und Jahresturniere helfe. So ist auch meine Frau, quasi selbstverständlich, zum Bridge gekommen. Sie hat bei Frau Clare gelernt, zunächst mit anderen Anfängern die Wochenturniere gespielt, später mit mir alle Klubturniere. Wir sind auch deshalb ein gerngesehenes Paar im Klub, weil wir uns am Bridgetisch nicht zanken.

      Die Bridge–Spieler sind merkwürdige Menschen. Bildungsprivilegiert, wohlhabend, freundlich, sonst mit guten Manieren, nicht aber am Bridge–Tisch. Am Bridge–Tisch sind sie unfair, unfreundlich, unehrlich, ja, ekelig. Nun, Bridge ist kein leichtes Spiel. Es erfordert Intelligenz, schnelle Intelligenz im Gegensatz zum Schach. Und im Bridge kann geblufft werden. Am Bridgetisch wird aus einer spielerisch intellektuellen Herausforderung doch eine Angelegenheit des persönlichen Ansehens. Leider!

      Bridge ist ein 52–Karten–Spiel. Am Tisch sind vier Spieler. Die sich gegenübersitzenden Spieler bilden jeweils ein Paar. Die Karten werden gemischt und ausgeteilt. Noch habe ich nie dieselbe Verteilung von Karten in der Hand gehabt. Es ist also jedes Mal etwas anderes, obwohl jeweils nur 13 Karten zu halten sind und es letztlich jeweils nur um 13 Stiche geht. Gereizt wird um einen „Kontrakt“, die Ankündigung, wie viel von den 13 Stichen eine Partnerschaft bei welcher Trumpffarbe machen will, ohne die übrigen 39 Karten zu kennen. Jede Partnerschaft ist bemüht, durch die Reizung die eigene Hand über spezifische „Kartensprachen“ zu beschreiben, damit abgeschätzt werden kann, wie viel Stiche unter welcher Voraussetzung die 26 Karten einer Partnerschaft machen kann. Es ist keine leichte Aufgabe, und es gibt viele Möglichkeiten für Mißverständnisse und des Fehlermachens. Und im Turnier geht es um Punkte, wobei dieselben Austeilungen an allen Tischen gespielt werden. Wenn ein Paar schlechter gespielt hat als die übrigen Paare, ist natürlich der nichtdominante Partner schuld, bei gemischten Paaren der weibliche Partner und bei Ehepaaren die Frau schuld. Es ist unglaublich, aber wahr. Dies ist einer der Gründe, warum Ehepaare ungern Bridge–Turniere spielen. Der unerklärliche Ehrgeiz ist einer sonst harmonischen Partnerschaft nicht förderlich. Wir fielen also auf, weil wir uns nicht, wie zwischen Bridge–spielenden Ehepaaren üblich, zankten, ganz gleich, wie das Ergebnis war. So waren wir im Klub sehr gern gelitten. Für uns war das Bridge–Spielen gute Erholung. Beim Gewinnen freuten wir uns, ohne Neid bei den anderen zu erwecken, und wir haben in Bonn häufig gewonnen. Auch in der stressigsten Zeit haben wir die Bridge–Turniere im Bonner Klub regelmäßig gespielt, nicht zuletzt auch, um Frau Clare bei der Ausrechnung behilflich zu sein.

      1959 ist für mich ereignisreich. Die Methodenseminare des ersten Semesters in Köln lehren mich, daß ich mich intensiver mit den methodologischen Fragen befassen müßte, als dies in den „Seminaren“ möglich ist, sollte aus dem „Unesco–Projekt“ eine wissenschaftliche Untersuchung werden. In den Seminaren werden nicht eigene Untersuchungen herangezogen. Warum? Weil die Lehrenden selbst keine Untersuchungen durchgeführt hatten. Statt also in den Methodenseminaren zu sitzen, lese ich selbst, um ein optimales Untersuchungsinstrument zu konstruieren. Die intensiven Diskussionen mit meiner Frau sind dabei hilfreicher als Gespräche mit den Mitarbeitern von König. Ich habe 1959 überhaupt viel lesen müssen.

      Der Anfrage von Otto Blume über eine Zusammenarbeit mit Weisser folgt dann eine Einladung Weissers. Er bestellt mich an einem Samstag- Nachmittag ins Hotel Dresen in Bad Godesberg. Unsere erste Begegnung. Ich habe nur Gutes über ihn gehört. Ich bin gespannt und natürlich aufgeregt. Das Gespräch ist eine Mischung aus Informationsübermittlung und Prüfung. Er fragt mich aus, ohne eine Atmosphäre einer Prüfung aufkommen zu lassen. Jetzt erst begreife ich, warum Weisser für das Gespräch ein Hotel ausgewählt und mich nicht in sein Arbeitszimmer bestellt hat. Ich erfahre auch, daß er intensiv über die Grundprobleme der Wirtschaftsordnung in den „Entwicklungsländern“ nachdenkt. Ja, damals hießen diese Länder schon so. Davor hießen sie „Unterentwickelte Länder“. Er würde gern genau wissen wollen, wie der Diskussionsstand über dieses Problem im englischen Sprachraum ist. Er denkt auch über eventuelle Veröffentlichungen seiner Gedanken in diesem Bereich nach. Ich bestehe die Prüfung. Im Juli 1959 trete ich die Stelle an. Ich beginne also auch noch Sozioökonomie auf Englisch zu lesen und fertige fleißig deutsche Zusammenfassungen an.

      Meine Frau meint, daß es mit den Zusammenfassungen nicht getan wäre. Ich müßte eigentlich Aufsatzentwürfe vorlegen und sie nach der Besprechung mit Weisser dann auch ins Englische übersetzen, wenn ich die Stelle behalten wollte. Jeder deutsche Mitarbeiter würde das wissen. Ich bin zum „ghost writing“ nicht bereit.

      Weisser lädt regelmäßig seine Mitarbeiter zum „Jour fixe“ ein. Die Ehefrauen der Mitarbeiter auch. Es ist eine nette und nützliche Einrichtung. Nach einem solchen Treffen fragt mich meine Frau auf dem Nachhauseweg, was denn zwischen Weisser und mir vorgefallen sei, daß Weisser sich veranlaßt gesehen hat, ihr zu sagen, daß ich ein wildes Fohlen sei, er aber mich schon noch zähmen würde.

      Eigentlich war nichts Direktes vorgefallen. Aber möglicherweise mittelbar doch. Als Stipendiat ohne monatliches Stipendium der Friedrich–Ebert–Stiftung war ich zu einer Großveranstaltung in der Heimvolkshochschule in Bergneustadt eingeladen. Auch Politiker und Journalisten. Die Heimvolkshochschule in Bergneustadt liegt abgeschieden vom Ort. Abends sitzt man deshalb, nach getaner Arbeit in der hauseigenen Kellerbar. Diskutiert werden dabei meist andere aktuelle Fragen. Der Leiter der staatsbürgerlichen Erziehung der Stiftung,


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